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von rls

ROTFRONT: Emigrantski Raggamuffin   (Essay Recordings/Russendisko Records)

Die Single "B-Style" hatte ja schon angedeutet, was von Rotfront zu erwarten sein dürfte, und der Longplayer "Emigrantski Raggamuffin" bestätigt diese Vermutung, fügt ihr allerdings noch einige weitere Elemente hinzu. Von den beiden Bandgründern und prägenden Kräften des Kollektivs trägt Simon Wahorn nämlich ungarische Wurzeln mit sich herum, und so erweitert sich die Mixtur aus westeuropäischer Beatmusik, karibischen Elementen und Balkanfolklore noch um einige ungarische Elemente (so richtig auf dem Balkan liegt Ungarn ja noch nicht, wenngleich durchaus auch nicht so weit davon entfernt). Im folkloristischen Teil rufen Rotfront also praktisch den RGW wieder ins Leben und verknüpfen diesen geschickt mit der EWG. Der zentrale Einfluß, wie sich das gehört, bleibt allerdings der Große Bruder, dem in Songs wie "Zhiguli" (für die Jüngeren: Das war eine sowjetische Automarke, nahe verwandt mit dem Lada) oder "Sovietoblaster" gehuldigt wird. Andererseits knüpft "Berlin - Barcelona" eine Achse, die sich auch schon 1936 in beiden damaligen politischen Lagern auf unterschiedliche Art und Weise bewährt hat (man denke an die Legion Condor und an die Interbrigaden), und "B-Style" ist wie bereits im Singlereview beschrieben eine Hommage an Berlin, wo das Hauptquartier von Rotfront steht, also die aktuelle Kommandozentrale der Internationale (der wievielten eigentlich?). Etliche Themen kehren in mehreren Songs wieder, das Autothema allerdings nicht, wie man hätte vermuten können - "Red Mercedes" entpuppt sich nämlich als Coverversion des 1968er Mary-Hopkin-Hits "Those Were The Days" bzw. dessen russischen Vorbilds "Dorogoi Dlinnoju", die paradoxerweise aber auf dem Digipack nicht als solche ausgewiesen ist, im Gegensatz zu zwei anderen Covers, "Sohase Mondd" (ein Song ungarischer Provenienz, was das Songwriting angeht, allerdings mit einem klassischen Tangorhythmus unterlegt, der erst im Refrain durchbrochen wird) und "Remmidemmi" von Deichkind, das auch auf besagter Single enthalten war und zu dem man alles Interessante im dortigen Review nachlesen kann. Das Problem von "Emigrantski Raggamuffin" ist nun, daß "Remmidemmi" der eingängigste und beste Song der Scheibe ist - da müssen die Eigenkompositionen noch ein bißchen stricken, um diese Mixtur aus Eingängigkeit, Anspruch und Abgedrehtheit hinzubekommen. Aber zumindest in einigen Fällen ist der Abstand nicht allzugroß, wie gleich die drei eröffnenden "B-Style", "Zhiguli" und "Sovietoblaster" unter Beweis stellen können. Positiverweise halten sich Mad Milians Rapvocals in genießbaren Dosen, nur im Mittelteil von "Red Mercedes" hätten sie nun wirklich nicht sein müssen. Insgesamt steuern übrigens gleich acht Menschen Gesänge verschiedenster Provenienz bei. Will man Parallelen zu anderen Künstlern ziehen, fallen einem natürlich als erstes die im benachbarten Potsdam beheimateten 44 Leningrad ein, mit denen Rotfront auch die generelle Instrumentierung gemeinsam haben, von der hier fehlenden Baßbalalaika mal abgesehen. "Ya Piv" etwa hätte in einer Fassung 44 Leningrads sicherlich nicht wesentlich anders geklungen, wobei in der Gesamtbetrachtung die Leningrader aber etwas fokussierter zu Werke gehen (sie konzentrieren sich ja auch auf den russischen Teil, was die östlichen Elemente betrifft), während man bei Rotfront auf deutlich mehr Überraschungen gefaßt sein darf oder muß (je nach Sichtweise). Eine Überraschung erlebt man übrigens schon im Intro von "Zhiguli", denn die Akustikgitarre wird dort in genau der gleichen Weise gezupft wie auf Kirill Njemoljajews absurd-genialem "Komitscheskije Kuplety". Mitunter lösen Songs nicht ein, was einzelne ihrer Elemente zu versprechen scheinen. Das ist mitunter kein Problem, etwa im Titeltrack, dessen einleitender Satzgesang irgendwie etwas anderes erwarten läßt, sich dann aber doch erstaunlich gut in den Gesamtgestus des Songs einfügt. Aber das funktioniert leider nicht immer; anhand der Posaunenmelodie im Intro von "Gypsy Eyes" erwartet man eigentlich großes Breitwandkino im Stile eines Karl-May-Soundtracks, bekommt ihn aber nicht, sondern statt dessen ein in diesem Falle relativ ungenießbares Gemisch aus Balkanbeat, Scratching und den erhalten bleibenden majestätischen Bläsern, dem Miss Flints nervende Vocals die Krone aufsetzen, wenngleich der sich nach hinten steigernde Micky-Maus-Effekt irgendwie was Niedliches hat. Da hört man lieber Dorka Gryllus zu, etwa in "Tüz", einem interessant strukturierten Song: Die Strophen lassen relativ gewöhnlichen Balkanbeat erwarten, der Refrain nimmt dann aber plötzlich das Tempo raus und wird hymnisch, und ein flott-locker gezupftes Hauptsolo (wohl von Gastgitarrist Attila Sidoo) bringt noch eine weitere Farbe ins Spiel. Interessanterweise handelt es sich auch hier um eine Coverversion - die Songwriterangaben weisen zwei ungarische Namen aus, die weder in der aktuellen Mitgliederliste noch unter den allesamt aufgezählten Gast- und Ex-Mitgliedern zu finden sind. Hier steht also eine Art riesiges Kollektiv dahinter, das auch live recht variabel agiert, je nachdem, wer nun gerade verfügbar ist. In der Konzertsituation dürfte ein guter Teil des 55minütigen Materials noch mehr Spaß machen als auf Konserve, und das nutzen Rotfront zu einer interessanten Fanbindungsaktion: Anstelle eines Booklets ist dem Digipack ein Paß der Emigrantski Republik beigelegt, und den kann man sich, wenn man ein Rotfront-Konzert besucht, in Gestalt eines Visums abstempeln lassen; für Vorweiser einer bestimmten Mindestanzahl von Visa gibt es dann immer mal Sonderaktionen. Ideen muß man halt einfach haben, in der Vermarktung wie im Songwriting. Da kommt dann halt auch mal ein Treffer wie "Klezmerton" heraus, der Textzeilen enthält wie "Klezmer is dead - ja jescho njet", also "Klezmer ist tot - ich noch nicht" und dieses Motto durch die klangliche Modernisierung des Klezmer, der partiell auch mit einer fetten Metalkante ausgestattet wird, untermalt. So entsteht ein bunter Salat, in dem viele Zielgruppen etwas Schmackhaftes finden werden, der aber auch als Ganzes durchaus genießbar ist.
Kontakt: www.essayrecordings.de, www.rotfront.com

Tracklist:
Intro
B-Style
Zhiguli
Sovietoblaster
Kemények A Fények
Berlin - Barcelona
Red Mercedes
Ya Piv
Remmidemmi
Sohase Mondd
Gypsy Eyes
Rotfront FM
Tüz
Devil
Emigrantski Raggamuffin
Klezmerton
Youtube Song
 




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