www.Crossover-agm.de PENTAGRAM: MMXII
von rls

PENTAGRAM: MMXII   (Sony Music Türkiye)

Lange hat's gedauert, bis die führende türkische Metalband endlich mit einem neuen Studioalbum um die Ecke gekommen ist. Wir erinnern uns: "Bir", der Vorgänger, enthielt als Novum in der Bandgeschichte ausschließlich Texte in türkischer Sprache, was den sowieso schon hohen Originalitätswert der Band für den gemeinen Mitteleuropäer ohne anatolischen Migrationshintergrund noch einmal ein Stück nach oben schraubte, ihm allerdings den Zugang auch ein wenig erschwerte. Nach diesem Album verließ Ilhan Barutcu, der seit dem 1997er "Anatolia"-Album an Bord gewesene feste Ney-Spieler, die Band, und Pentagram entschlossen sich, ihn nicht zu ersetzen, sondern die nahöstlichen Elemente in ihrem Sound künftig wieder ausschließlich mit dem traditionellen Instrumentarium einer Rockband umzusetzen, was selbstredend gelegentliche Beiträge von Gastmusikern nicht ausschließt. Solche sind auf "MMXII" in fünf der zehn Songs dabei, darunter in "Sand" und "Now And Nevermore" auch wieder Barutcu, aber eine songtragende Wirkung entfalten sie nicht, sondern sind jeweils nur als Verfeinerung anzusehen. Man nehme als Beispiel nur mal besagtes "Now And Nevermore" her: Klar, Barutcus Ney-Flöte im ersten Teil des Hauptsolos ist ein schöner Farbtupfer für den Song, aber seine Originalität bezieht er woanders her, nämlich aus dem für mitteleuropäische Ohren völlig ungewohnten Drumrhythmus, den Drummer Cenk Ünnü unter einen ansonsten eher konventionellen Überbau legt, wobei das Gesamtresultat kurioserweise immer noch so eingängig ausfällt, daß man die Nummer problemlos als Single auskoppeln könnte, auch wenn sich das zurückhaltende, fast melodicrockige "It's Dawn Again" dafür natürlich noch besser eignen würde. Passenderweise hat der neue Sänger Gökalp Ergen eine enorm vielfältige Stimme, und in den Refrains setzt er dann bevorzugt seine oft einen ganz leicht klagenden Unterton aufweisenden Klargesänge ein, die bisweilen etwas an Collin Kock, der das völlig unterschätzte dritte Sacrosanct-Album "Tragic Intense" einsang, oder auch an den legendären J. D. Kimball von Omen erinnern. Aber er kann auch anders: Im Finale von "Now And Nevermore" meint man beinahe Obergrabschaufler Chris Boltendahl zu hören, und das heftige "Beyond Insanity", trotz des zurückhaltenden ersten Hauptsolos in der Gesamtbetrachtung die härteste und schnellste Nummer des Albums, sieht ihn wiederum von einer anderen shoutenden bis fast kreischenden Seite. Das mit dem Härtegrad ist übrigens relativ zu betrachten: Mit den thrashenden frühen Pentagram können und wollen sich die aktuellen Pentagram in diesem Punkt nicht messen, und das vor einigen Jahren durch die Metalwelt gebrauste Thrash-Revival ist in songwriterischer Hinsicht gleichfalls an Hakan Utangac und seinen Männern vorbeigebraust, obwohl es ihnen durchaus den einen oder anderen Neufan gebracht haben könnte, der über die alten vielleicht auch die neuen Pentagram kennen- und schätzengelernt hat, zumal Sony Türkiye anno 2008 den kompletten Backkatalog der Band auf CD wiederveröffentlicht und damit das selbstbetitelte Debütalbum erstmals in diesem Format zugänglich gemacht hat. Und wer weiß, vielleicht wird mancher Altanhänger, dem die Alben ab "Anatolia" ein wenig zu stark in die folkmetallische Richtung tendierten (wobei festgehalten werden muß, daß Pentagram mit der heute gängigen Deutung von Folkmetal, die sich meist auf die nord- oder osteuropäische und/oder die von Skyclad geprägte Variante reduziert, nichts am Hut hatten), die deutlich massiver metallische Herangehensweise in den 53 Minuten von "MMXII" auch als willkommene Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln deuten, wenngleich wie beschrieben der rauhe Thrash der Frühzeit natürlich nicht zurückgekehrt ist. Aber massiver Power Metal wie in "Wasteland" (übrigens auch als Single ausgekoppelt) oder "Gecmisin Yükü" ist natürlich auch nicht zu verachten, zumal dann nicht, wenn er in der hohen Qualität dargeboten wird, wie das hier der Fall ist: Intelligentes Riffing paart sich mit origineller Rhythmik, die wie beschrieben nahöstliche Elemente wie selbstverständlich einbezieht, und dazu kommt noch der vielseitige Gesang - da bedarf es der umfangreichen "Fremdunterstützung" eigentlich gar nicht mehr. Interessanterweise besteht das 24seitige Booklet neben drei Doppelseiten mit den Lyrics und den strukturellen Angaben ausschließlich aus einer Art Fotogeschichte über die Erschaffung eines künstlichen Wesens, das dann in der Schlußsequenz an der Hand seines Schöpfers zusieht, wie die Welt untergeht. Ist "MMXII" also ein Konzeptalbum? Es scheint fast so, zumal das abschließende "Apokalips" diesbezüglich bestens in die Argumentation passen würde. Mit seinem großen epicmetallischen Anstrich zählt es auch zu den stärksten unter vielen guten Songs, wenngleich man sich seine sechseinhalb Minuten durchaus noch weiter ausgewalzt hätte vorstellen können. "It's Dawn Again" wiederum hätte als Türöffner für neue Fanschichten dienen können, wenn es denn verdientermaßen zum Hit geworden wäre - aber da sind (mal abgesehen davon, daß es gar nicht als Single ausgekoppelt wurde und auch als Videotrack nicht Berücksichtigung fand - verfilmt wurden "Ápokalips" und "Gecmisin Yükü") auch bei einem Majorlabel die Möglichkeiten begrenzt, und außerhalb der Türkei scheint "MMXII" gar nicht regulär erschienen zu sein, zumindest in Deutschland nicht, so daß man, wenn man nicht zufällig bei einem gut sortierten Importeur fündig wird, beim nächsten Türkeiurlaub oder auch einfach bei einem Zwischenstop auf dem Istanbuler Flughafen, der sich ja zu einem Drehkreuz sondersgleichen entwickelt hat, die Augen offen halten sollte - aus letztgenannter Quelle, also dem CD-Laden auf besagtem Flughafen, hat auch der Rezensent sein Exemplar. Bands wie Pentagram verdienen Unterstützung sowohl aufgrund ihrer Originalität als auch wegen der Qualität, in der sie ihre originelle Musik darbieten, und sie könnten daher für jeden qualitätsbewußten Metaller, dem der gängige Power Metal langweilig zu werden droht und der deshalb nach frischen Ideen sucht, ohne daß deshalb gleich alle Tugenden dieses Stils über Bord geworfen werden, interessant sein. Einzig Hochgeschwindigkeitsfanatiker und diejenigen Uraltfans, die die Entwicklung weg vom rauhen Thrash der Frühzeit nicht mitgehen konnten oder wollten, werden hier nicht glücklich, aber es bleiben immer noch genug Leute übrig ...
Kontakt: www.thepentagram.net, www.sonymusic.com.tr

Tracklist:
Sand
Now And Nevermore
Gecmisin Yükü
Beyond Insanity
Dogmadan Önce
Wasteland
It's Dawn Again
Disturbing The Peace
Uzakta
Ápokalips
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver