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PENDRAGON: Men Who Climb Mountains
von rls
(Toff Records)
Obwohl Pendragon vom Musikstil her prinzipiell durchaus ins Beuteschema des Rezensenten passen, gingen sie bisher immer an diesem vorüber, jedenfalls was volle Alben betrifft - der Kontakt beschränkte sich auf den einen oder anderen Samplerbeitrag. Das hat sich mit dem vorliegenden zehnten Album nun geändert, und selbiges paßt noch in einer anderen Hinsicht zum Rezensenten: Auch er gehört zu den Menschen, die im Urlaub am liebsten irgendwo auf den Bergen dieser Welt herumsteigen - allerdings tut er das in deutlich weniger extremer Weise als diejenigen, die Alleinsongwriter Nick Barrett als Inspirationsquellen für das 64minütige lose Konzeptalbum dienten und am Ende des Textabdrucks von "Explorers Of The Infinite" im Booklet genannt werden. Das Gros davon sind Bergsteiger (die Liste beginnt mit George Mallory und Sandy Irvine, die 1924 am Everest verschwanden und bei denen heute noch nicht klar ist, ob sie den Gipfel möglicherweise erreicht haben und dann erst beim Abstieg ums Leben kamen), aber gleich an dritter Stelle steht Robert Falcon Scott, der zwar auch große alpinistische Fähigkeiten besessen haben muß (die Überquerung des Beardmore-Gletschers auf dem Weg zum Südpol ist jedenfalls eine alpinistische Leistung allerersten Ranges), aber nicht wegen jenen in die Geschichte eingegangen ist, was deutlich macht, daß Barrett seine Aussagen nicht auf die Welt der Bergsteiger limitieren lassen möchte. Interessanterweise umfaßt die Liste aber fast ausschließlich Menschen, die beim Bergsteigen oder ihren anderweitigen Entdeckertätigkeiten ums Leben gekommen sind - als markante Ausnahme steht an letzter Stelle Ernest Shackleton, der 1909 nur 160 Kilometer vom Südpol entfernt den verantwortungsvollen Entschluß zur Umkehr faßte, da ihm klar war, daß er im Falle des Weitermarschs den Pol sicherlich erreichen, aber dann den Rückweg nicht mehr schaffen würde. "Ein großer Bergsteiger zeichnet sich dadurch aus, daß er im hohen Alter zu Hause im Bett stirbt" lautet ein bekannter Aphorismus, der die Verantwortung des Individuums auch beim Hinausschieben von Grenzen verdeutlicht - aber selbst bei größtmöglicher Risikovermeidung lassen sich niemals alle Faktoren ausschalten, die den Protagonisten früher als beabsichtigt auf dem Friedhof landen lassen. Anstoß zur Beschäftigung mit diesem Thema war für Barrett, so geht es aus seiner Danksagung im Booklet hervor, John Harlin jr, dessen gleichnamiger Vater in den 1960er Jahren aus der Eiger-Nordwand fiel, weil eine einzige von vielen tausend Sicherungen nicht funktioniert hatte.
Da es hier im wesentlichen um tragische Schicksale geht, hat Björn Gooßes auch entsprechend düstere Illustrationen für Cover und Booklet geschaffen - es geht allerdings fehl, wer jetzt vermutet, daß Barrett auch eine entsprechend düstere Scheibe komponiert hätte. Der Rezensent kennt die neun Albumvorgänger wie beschrieben nur ausschnittweise und kann daher keine generalisierten Urteile abgeben, aber diverse Kollegen meinen, Pendragon seien nach etwas experimentelleren Werken jetzt wieder zu ihrem klassischen Progrock zurückgekehrt, und letzteres Urteil kann man anhand der 64 Minuten Musik auch bedenkenlos unterschreiben. Klar, düstere oder auch zerbrechliche Stimmungen finden sich durchaus, aber sie gehen mit kraftvolleren und optimistischen Passagen eine gekonnte Fusion ein, ohne aber daß Barrett einen Totaltriumph vertont - auch das paßt durchaus zum Sujet: Wenn man einen hart erkämpften Gipfel erreicht, kommt es durchaus nicht selten vor, daß man einfach nur noch wieder hinunter will (Schlechtwetter und andere widrige Umstände tragen gern ihr Scherflein dazu bei) und sich des triumphalen Gefühls, das Ziel erreicht zu haben, erst irgendwann später voll bewußt wird. Barrett läßt sich für die Schilderungen alle Zeit, die er zu brauchen glaubt, aber auch die beiden Zehnminüter "Come Home Jack" und "Explorers Of The Infinite" langweilen nicht, sondern sind intelligent arrangiert, wie man das in diesem Genre erwartet oder zumindest erhofft. Und eine kürzere Nummer wie "In Bardo" prunkt trotzdem mit ihrem ausladenden Solo samt spannender Härtesteigerung, die sich in diesem Fall allerdings überraschenderweise in ein drumlastiges Finale entlädt - möglicherweise die akustische Umsetzung einer Steinlawine. Tonmalerei beherrscht Barrett also ganz ausgezeichnet, und die bis auf den Drumhocker (auf dem aktuell Craig Blundell sitzt) schon seit Ewigkeiten stabile Besetzung mit Bassist Peter Gee und Keyboarder Clive Nolan sowie die tontechnische Betreuung im altbewährten Thin-Ice-Studio von Karl Groom hat sicherlich mit dazu beigetragen, ein routiniertes, aber dennoch nicht in Routine erstarrendes Werk zu erschaffen. (Interessanterweise spielt Barrett in diversen Songs auch noch die Tastenparts selber - stand Nolan nicht die ganze Aufnahmezeit zur Verfügung?) Hier und da kommt dann auch mal ein ungewöhnliches Element zum Tragen, etwa die harschen Vocals in "Faces Of Darkness" oder die fast indiemäßig schrammelnden Gitarren im Intro von "Come Home Jack", die den Gesamtsound bereichern, ihn aber nicht verwässern. Wenn man etwas beanstanden will, dann vielleicht die Tatsache, daß es keine großen merkfähigen Refrains auf der Scheibe gibt und die Einarbeitung ins Material daher eine relativ komplexe Aufgabe darstellt - aber das kann man im Progrock ja durchaus auch als Qualitätsmerkmal auffassen, und so unzugänglich wie die Eiger-Nordwand wirkt das Material von vornherein auch wieder nicht. Wer Kuschelkompatibilität sucht, wird allerdings durchaus fündig, denn mit "Netherworld" steht eine schöne Ballade am Ende der Scheibe und schließt ein Werk auf hohem Niveau ab, das die Fanwelt zwischen Marillion und Anathema durchaus zu begeistern können imstande sein sollte.
Kontakt: www.pendragon.mu
Tracklist:
Belle Âme
Beautiful Soul
Come Home Jack
In Bardo
Faces Of Light
Faces Of Darkness
For When The Zombies Come
Explorers Of The Infinite
Netherworld
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