www.Crossover-agm.de OSSIAN: Lélekerö
von rls

OSSIAN: Lélekerö   (Hammer Records)

Man öffnet den Digipack des neuen Ossian-Albums, wirft einen Blick auf das innenseitig abgebildete Bandfoto - und stutzt: Ossian sind nur noch zu viert? Richtig, der zweite Gitarrist Attila Wéber ist nicht mehr mit von der Partie, und er taucht auch nicht in der Thankslist auf. Sollte es eine Trennung im Unfrieden gegeben haben (die offiziellen Ausstiegsmeldungen, die sich hier und da im Netz finden, entziehen sich dem Verständnis des nicht ungarischkundigen Rezensenten)? Und, wichtiger noch: Ossians Kompositionen waren bisher relativ deutlich auf zwei Gitarristen ausgelegt - ändert sich der Stil auf "Lélekerö"? Vielleicht gar in der Weise wie Accept von "Objection Overruled" zu "Death Row"?
Also die CD flugs in den Player geworfen, kurz ein Blick aufs Display (Ergebnis: 11 Songs mit knapp 45 Minuten Spielzeit, also diesbezüglich alles beim Alten), und schon erklingt der Opener "Hajt A Szív". Im scheinbaren Übergang zum Hauptsolo nach dem zweiten Refrain darf Basser Krisztián Erdélyi akustisch in den Vordergrund treten, aber das eigentliche Hauptsolo kommt dann erst später und scheint den Verdacht zu bestätigen, daß die Komponistenriege in die Richtung gearbeitet hat, das neue Material auch ohne einen Zweitgitarristen live aufführen zu können. Aber dieser Verdacht schwächt sich im weiteren Verlauf des Albums immer weiter ab: Eine typische Band für zweistimmiges Riffing waren Ossian zwar eh noch nie, aber auch auf dem neuen Werk findet sich noch mancherlei Passage, die zur einigermaßen originalgetreuen Liveumsetzung eines Zweitgitarristen bedürfte (man höre beispielsweise mal die Gitarrengirlande im Refrain von "Hiába Szép"). Wie Ossian diese Situation derzeit ausgestalten, ist dem Rezensenten nicht bekannt - auch die Variante, daß das Material noch geschrieben wurde, als Wéber noch in der Band war (sein Ausstieg datiert vom Spätherbst 2014), ist gedanklich nicht von der Hand zu weisen, und im Studio ist die Erfüllung aller gitarristischen Pflichten für Richard Rubcsics natürlich absolut kein Problem. Daß der Mann ein As an seinem Instrument ist, darf mittlerweile als bekannt vorausgesetzt werden, aber auch in kompositorischer Hinsicht leistet er auf dem neuen Album wieder Beachtliches, obwohl ausgerechnet sein einziger Alleinbeitrag, das Instrumental "Üzenet", trotz interessanter Momente insgesamt ein wenig bedeutungslos wirkt. Acht der zehn weiteren Songs haben Rubcsics und Ossian-Chef Endre Paksi gemeinschaftlich verfaßt, und da ist wieder etlicher hochklassiger melodischer Power-Metal-Stoff dabei, wobei man sich abermals genauer mit dem Material beschäftigen muß, um die diversen Feinheiten wahrzunehmen. Da wäre das eine Halbballade antäuschende, aber dann doch deutlich vielschichtigere "Ahányszor Látlak", gefolgt von "Egyszerüen", dem schnellsten Song der Scheibe (auch wenn er temposeitig nicht an frühere Speedies heranreicht) mit einem furiosen Hauptsolo, und dem Titeltrack, der nach speedlastigem Beginn im gewohnten Midtempo weitermarschiert, aber mit den Refrainbeschleunigungen und dem sphärischen Keyboardthema, das urplötzlich ins Hauptsolo eingeworfen wird und dieses in der Folge strukturell bestimmt, noch zwei gehörige Überraschungen für den Hörer bereithält. Lange Zeit hatten Ossian-Alben die Eigenschaft, immer einen herausragenden Titeltrack zu besitzen, was auf den Scheiben der jüngeren Vergangenheit dann seltener oder gar nicht mehr auftrat - mit "Lélekerö" nun stellen sich Ossian ganz selbstbewußt ihrer eigenen Vergangenheit. Und da machen die Ungarn durchaus keine schlechte Figur, auch wenn nach dem Titeltrack das Niveau vom Geniestreich wieder auf die gewohnte Gut- bis Sehrgutklassigkeit zurückfällt und Paksi in den Strophen von "Születésnap" (eine seiner beiden Alleinkompositionen) auch wieder einen etwas merkwürdigen, ganz leicht verfremdet wirkenden Gesangsstil an den Tag legt, der in etwas anderer Ausprägung schon auf diversen Vorgängeralben zu hören war und nicht unbedingt Begeisterungsstürme hervorgerufen hat. Ebendas tut aber gleich nach dem Titelsong noch "Visszajövök", wieder eine scheinbare Halbballade und wieder außergewöhnliche Wege beschreitend, damit den stärksten Viererblock des Albums markierend. Ballade gibt's übrigens auf "Lélekerö" keine? Hm, "Búcsú", die andere Paksi-Alleinkomposition, beginnt balladesk, aber auch hier entwickelt sich bald der gewohnte Midtempo-Metal, der allerdings weiterhin von atmosphärischen Breaks mit Glockengeläut durchzogen wird. Das genannte Instrumental ist auch normalmetallisch und der Closer "Mind Itt Vagyunk" ebenfalls - also in der Tat keine Ballade auf "Lélekerö", dafür im genannten Closer nochmal ein strukturell sehr ungewöhnliches Element in Gestalt eines Tangorhythmus unter dem auch nochmal atmosphärisch unterlegten Refrain, was für eine ungarische Band nur auf den ersten Gedanken seltsam anmutet, nämlich bis einem der Titel des 1992er Albums der Landsleute von Omen einfällt: "Brútalis Tangó". Zufall, daß zwei der damaligen Omen-Bandmitglieder, nämlich die Nagyfi-Brüder, in der Thankslist von "Lélekerö" auftauchen? Wer weiß. Der eine war ja schon auf dem Albumvorgänger "A Tüz Jegyében" als Gastpercussionist dabeigewesen und ist das auch diesmal wieder, wohingegen nirgendwo vermerkt ist, wer denn die Keyboards für diese beiden wirklich exzellenten sphärischen Parts eingespielt hat. Aber angesichts der Qualität des Endergebnisses ist diese Frage eigentlich schon wieder müßig. "Lélekerö" zählt zu den stärksten jüngeren Ossian-Alben und läßt erwartungsvoll in die Zukunft blicken, auch wenn die Frage des zweiten Gitarristenpostens eine spannende bleibt.
Kontakt: www.ossian.hu, www.metalshop.hu

Tracklist:
Hajt A Szív
A Barát
Ahányszor Látlak
Egyszerüen
Lélekerö
Visszajövök
Hiába Szép
Születésnap
Búcsú
Üzenet
Mind Itt Vagyunk
 




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