www.Crossover-agm.de NOVEMBERS FALL: Broken Memories
von ta

NOVEMBERS FALL: Broken Memories   (Eigenproduktion)

Novembers Fall?
Neukirchen-Vluyn?
Broken Memories?
Zugegeben, der Zeitpunkt, ab welchem der gut gebildete Metalhead mit dem einen Namen die beiden anderen automatisch verbinden wird, ist m.W. noch nicht eingetreten, aber Novembers Fall, die jüngst als "Broken Memories" getarnt ihr zweites musikalisches Machwerk von Neukirchen-Vluyn (NRW) aus in die große weite Welt schickten, sind auf dem besten Wege, dafür zu sorgen, einen solchen Zeitpunkt in die Annalen des Death Metal notieren zu können. Das liegt natürlich schlicht daran, dass "Broken Memories" ein erstklassiges, melodisches und äußerst abwechslungsreiches Teil geworden ist. Bands wie At The Gates, Antestor, jüngere Immolation und ältere Opeth standen hier neben vielen anderen Pate und doch entzieht sich das Ergebnis allzu forschen Kategorisierungsversuchen mit jedem neuen Riff. Die Detailanalyse liest sich demnach wie folgt.
"Novembers Fall" ist so etwas wie der Schweden-Song auf "Broken Memories": Geschickt pendelnd zwischen Up- und Midtempo, mit eingängigen und melodischen Riffs ausstaffiert, ferner mit Gesang, der zwischen tiefen, brutalen Growls und heftigen Black Metal-Screams mühelos wechselt, dabei aber dies alles in einer etwas komplexeren Variante als man es vom typischen IKEA-Sound gewohnt ist. Nicht zuletzt der Opeth-artige Akustik-Mittelteil bestätigt den Verdacht, dass hier einem hohen kompositorischen Anspruch in Richtung Vielschichtigkeit gedient wird. Sehr schön und definitiv repräsentativ für vieles, was einen hier noch erwartet.
"Brutal Truth" ist dann kein Grindcore, sondern erweitert das Klangbild um ein paar neue Versatzstücke, die besonders dem Black Metal entlehnt sind. Da wäre einmal mehr das hohe Gekreische von Benjamin Marschner, das nun mit Jonas Janssens melodiösem Breitwandriffing der düsteren Schule gekoppelt wird, welches ordentlich in den Nacken geht. Die zweistimmigen, vorantreibenden Rhythmusgitarren ergeben kombiniert mit Michael Zettls grollender Doublebass und Marschners grollendem Gesang ein Bild, wie es auch die Amis Immolation nicht packender und farbintensiver hätten zeichnen können. Und natürlich, an dieser Stelle geht es sicher etwas eigenständiger (besonders angesichts der Tatsache, dass sich dasselbe Bild an späterer Stelle noch einmal wiederholen wird), aber Deibel auch: Ein Trupp, der melodischen Death Metal spielt ohne eine nennenswerte In Flames-Reminiszenz unterzubringen, wird dem Rezensenten durch nennenswerte Immolation-Reminiszenzen umso sympathischer, weil das Abgrenzungsbestreben in einem Subgenre, das von identitätslosen Clones überflutet ist, hier deutlich sichtbar wird - und das Ergebnis lässt sich mit Gewinn hören.
Wo Originalität gerade thematisch ist: Einen Death/Black-Song mit einem Walzerrhythmus anheben zu lassen, ist mitnichten das Paradebeispiel eines Standardarrangements und kommt einem Geniestreich gleich. Und "Life Between Tiles" bietet dann auch gleich eine ganze Handvoll an Megariffs, zu deren Gewinn, was bisher verschwiegen wurde, auch Bassist Fabian Swars seinen gewichtigen Teil beiträgt, der stetig seine ganz eigenen Linien unter die Doppelaxt Janssen/Marschner pflastert und die harmonische Breite der Tracks immens erweitert. Da passen die Akustikgitarren und der elegische Klargesang im Mittelteil wie die Faust aufs Auge, so dass der Rezensent sogar geneigt ist, selbiges klug mit Okular versehene angesichts der nicht ganz sauberen Umsetzung großherzig zuzudrücken.
"Warcult" bietet dann den angekündigten zweiten Verweis nach Übersee bzw. Immolation (man beachte insbesondere Marschners kellertiefes Growling) und kann folgerichtig an den richtigen Tagen für Blutnacken sorgen, entpuppt sich aber mit der Zeit als komplexester und sperrigster Track auf "Broken Memories". Vertrackte Rhythmen stehen hier neben schnellen Thrash-Beats und doomigen Walzen, kaum ein Riff wird wiederholt, die ständigen Riff-, Tempo- und Rhythmuswechsel werden aber nicht flüssig in einen Zusammenhang gebracht, am ehesten noch durch ein explosionsartiges Riff zu Anfang des hinteren Drittels zu Expositionen eines einzigen Höhepunktes degradiert, was sicherlich nicht Ziel der ganzen Angelegenheit war. In solchen Momenten schießt die Band dann doch mal übers Ziel hinaus - hier wird zu viel gewollt und am Ende weiß keiner mehr so recht, wo die vielen Ideen untergebracht werden sollen. Dass das Ergebnis immer noch spannender klingt als Standardware derselben Sparte, die einfach vorgegebenen Arrangementmustern folgt, darf natürlich nicht verschwiegen werden, aber Novembers Fall könnten ihre Effektivität und ihren Druck unter Wegkürzung einiger verwirrender Einfälle noch deutlich steigern.
"Dropped To Death" führt schließlich alles Gehörte noch einmal zusammen und bietet wieder einen tiefen Einblick in die kreativen Köpfe, die hier tätig sind: Funk- oder Akustikrockriffs, die verzerrt gespielt werden, ergeben ein zerhacktes, böses Bild, in das sich die rigiden Tempoausbrüche und das brutale Death Metal-Geschredder perfekt einpassen. "I Want To Die" brüllt Marschner und beinahe ist man geneigt, ihm zu glauben. Definitiv der brutalste Track auf dem Album, bei dem lediglich die partiell eingesetzte Clean-Stimme Fragezeichen beim Hörer hinterlässt. Der melodische Part am Ende hat übrigens das Niveau von Opeth zu "My Arms, Your Hearse"-Zeiten, und dieses Etikett können sich nicht viele Bands ans Revers heften. Respekt.
Warum "Alter Ego" als Bonus Track geführt wird, verstehe, wer will. Die vielen Samples, die sehr schnellen Wechsel im Gesangsstil (clean, Growls, Kreischen), das Riffdurcheinander, der ausbrechende Bass - alles Facetten, die das Ergebnis sehr zerfahren erscheinen lassen. Komischerweise ist der Song aber völlig cool, ein positives Durcheinander und ein kleines Highlight. Verwirrende Welt Neukirchen-Vluyn.
Summa summarum: Für Spartenfreunde ebenso wie für Experimentierlüstige und Progger ein gefundenes Fressen, für Plattenfirmen und ähnlich hohe Tiere der Branche mindestens ebenso. Die durchsichtige Produktion und die Tatsache, dass das gesamte Album auf www.novembersfall.com zum kostenlosen Download bereitsteht, sind dann schon nur noch Epiphänomene eines durch und durch hervorragenden Gesamteindrucks. "Broken Memories" kostet, im CD-Format erworben, harmlose vier Euro (inkl. Versand) und sollte schleunigst unter gen. Adresse oder bei Benjamin Marschner, Herkweg 32, 47506 Neukirchen-Vluyn, geordert werden.

Tracklist:
1. Novembers Fall
2. Brutal Truth
3. Life Between Tiles
4. Warcult
5. Dropped To Death
6. Alter Ego



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