www.Crossover-agm.de MÜNCHENER FREIHEIT: Herzschlag einer Stadt/Traumziel (30 Jahre Jubiläums-Edition Vol. 2)
von rls

MÜNCHENER FREIHEIT: Herzschlag einer Stadt/Traumziel (30 Jahre Jubiläums-Edition Vol. 2)   (Sony)

Das 30jährige Bandjubiläum der Münchener Freiheit anno 2010 gab einen prima Anlaß für verschiedenartigste Aktivitäten ab, zu der auch eine achtteilige Re-Release-Serie der 17 Studioalben von "Umsteiger" (1982) bis "Zeitmaschine" (2003) gehörte. Die vierzehn deutschsprachigen Studioalben der betreffenden Periode wurden chronologisch geordnet je zu zweien auf Doppel-CDs veröffentlicht, die achte Doppel-CD enthält die drei englischen Studioalben. Alle Doppel-CDs enthalten jeweils nur das original auf dem Album befindlich gewesene Material, auf Bonustracks (beispielsweise Single-B-Seiten oder andere Raritäten) hat man verzichtet, was den Vorteil hat, daß der Besitzer der Originalalben nicht wegen der Bonustracks das bereits bei ihm in der Sammlung stehende Material nochmal kaufen muß, allerdings auch den Nachteil, daß eine Raritätencompilation nach wie vor ein Desiderat bleibt. Aber man sollte die Hoffnung natürlich nicht aufgeben, daß vielleicht eines der künftigen Bandjubiläen (und es ist angesichts des Jungbrunnens, in den die Band seit spätestens 2007 gefallen ist, zu hoffen, daß noch einige folgen werden) den Anlaß für eine solche Compilation abgibt, und bis dahin kann man mit der Re-Release-Serie ja noch eventuelle Sammlungslücken unter den regulären Alben schließen. Die Coverartworks aller acht Doppel-CDs sind identisch strukturiert - oben steht ein Bandfoto aus der "Traumziel"-Periode, darunter prangen die originalen Coverartworks der zwei bzw. drei auf der jeweiligen Doppel-CD befindlichen Alben. Die Booklets beschränken sich allerdings leider auf die Tracklisten, weitergehende Informationen oder gar Liner Notes, die ja heutzutage eigentlich zum Standard bei Re-Releases gehören, sucht man vergeblich - eine kleine vergebene Chance.
Das mit der chronologischen Ordnung stimmt im Falle der hier zu rezensierenden zweiten Folge der Re-Releases allerdings nur zur Hälfte: "Herzschlag einer Stadt" war tatsächlich der Drittling der Band, aber danach erschien die Halb-Compilation "Von Anfang an". Hätte man die auf die zweite CD gepackt, wäre es allerdings zu einigen Songdoppelungen gekommen, da "Von Anfang an" auch einiges Material von "Herzschlag einer Stadt" enthielt, teilweise in unterschiedlichen Fassungen, teilweise aber auch in identischen. Um dieses Problem zu umgehen, wurde "Von Anfang an" also auf die dritte Doppel-CD verschoben und dafür "Traumziel", der reguläre Neu-Album-Nachfolger von "Herzschlag einer Stadt", auf die zweite vorgezogen - eine durchaus sinnvolle Regelung, die außer ein paar diskographischen Erbsenzählern auch niemanden entscheidend stören sollte (und die Erbsenzähler können ja, wenn sie beide Re-Releases besitzen, beim Abhören vor der heimischen Stereoanlage die Reihenfolge beliebig wechseln). Freilich wirkt der Entwicklungsschritt zwischen "Herzschlag einer Stadt" und "Traumziel" besonders groß, wenn man den Zwischenschritt, also "Ohne dich (schlaf ich heut nacht nicht ein)" und "Wenn das so einfach ist", die beiden neuen Studiosongs auf "Von Anfang an", nicht im Blickfeld hat. Aber auch der Sprung von "Licht" zu "Herzschlag einer Stadt" ist schon gewaltig: Als Post-NDW-Formation konnte man die Münchener Freiheit spätestens mit letztgenanntem Album nicht mehr einstufen, und speziell die charmanten textlichen Frechheiten waren völlig verschwunden und einer allerdings überwiegend hocheleganten Zwischenmensch-Lyrik gewichen. Leichtfüßige Zeilen wie "Herzschlag ist der Takt - boogie-woo, und ich tanz' dazu" mußte man jedenfalls erstmal hinbekommen, und sie kompensieren auch heute noch problemlos die eine oder andere etwas bemüht wirkende Passage wie den ein bißchen hilflosen Refrain von "Keiner hat mich gewarnt". "Julia" hingegen faßt ein heißes Eisen an, nämlich eine Lolita-Konstellation, die das Zauner-Strobel-Gespann unaufgelöst beläßt. Apropos Zauner-Strobel-Gespann: Hier hatte sich die Kombination gefunden, die in den nächsten Jahren für das Gros des Songwritings verantwortlich zeichnen sollte, ergänzt erstmals allerdings auch um das in der Folge immer mal wieder auftauchende Kunze-Killer-Team. Und apropos Ergänzung: Zwischen "Licht" und "Herzschlag einer Stadt" stand der bis zum heutigen Tage letzte Besetzungswechsel in der Band an: Michael Kunzi übernahm den Baß von Freddie Erdmann, und mit der Hinzunahme von Alex Grünwald, der die Keyboarderpflichten von Stefan Zauner übernahm, war die klassische Besetzung komplett. Die musiziert auf den 36 Minuten keineswegs so düster, wie es das Cover assoziiert und man anhand von Songtiteln wie "Keiner hat mich gewarnt" oder "Melancholie" hätte vermuten können. Dafür bricht sich die Düsternis anderweitig Bahn: Wie Strobel und Zauner in "Sommernachtstraum" eine lauschige urbane Sommernacht akustisch umsetzen, gehört bis heute zu ihren allergrößten Geniestreichen, und daß dieser Song in einer in klassischer Siebziger-Manier durch ausgedehnte Instrumentalsoli verlängerten Fassung, zu deren konkreter Beschreibung Worte nach wie vor versagen, seit einigen Jahren wieder zum Liveset gehört, stellt eine der größten Freuden für den Rezensenten dar, die die Band ihm bereiten konnte. Und die "Tochter der Venus" am Ende des Albums ist praktisch die kleine Schwester von "Sommernachtstraum", die in jedem anderen Kontext ein absolutes Highlight abgegeben hätte und auf diesem Album eben nur den Nachteil hat, daß sie von der großen Schwester überstrahlt wird. Ansonsten enthält "Herzschlag einer Stadt" die ersten größeren Hits der Band, die auch heute noch in keinem Konzert fehlen dürfen, namentlich "S.O.S." und das bluesige "Oh Baby", letzteres von Trommler Rennie Hatzke mitverfaßt - der greift nur selten zur Feder, aber wenn er das tut, kommt ein Treffer heraus. Der Quasi-Titeltrack "Herzschlag ist der Takt" ist aus dem aktuellen Liveprogramm rausgeflogen, was schade ist, handelt es sich doch um einen der live stimmungserzeugendsten, da tanzbarsten Tracks der Band. Gerne mal live auftauchen dürfte auch "Melancholie", geschickt zwischen abgestoppten und flotten Passagen changierend. In der Generalbetrachtung geht die Entwicklung zum anspruchsvollen Edelpop mit großen Schritten vorwärts, wobei Aron Strobels Gitarre streckenweise noch Härtegrade anpeilen durfte, die danach längere Zeit nur noch live en vogue waren. So ist auch "Herzschlag einer Stadt" noch ein Übergangsalbum, allerdings auch für sich betrachtet eine exquisite Poprockscheibe, die das Wiederhervorkramen oder Neuentdecken reich belohnt.
Mit "Traumziel" war dann schon alles anders. "Ohne dich (schlaf ich heut nacht nicht ein)" hatte die Band in vorderste Hitparadenregionen katapultiert, auch wenn ihm die Pole Position verwehrt blieb, und schuf eine immense Erwartungshaltung mit entsprechendem Druck, den die Band freilich mit einem Geniestreich beantwortete, eben jenen neun Songs von "Traumziel", bedeckt vom wohl eindrucksvollsten aller MF-Coverartworks und stilistisch in ebenjenem anspruchsvollen Edelpop mit vereinzelten Rockausflügen angekommen, der das Schaffen der Band noch heute prägt. Acht der neun Songs hätte man problemlos als Single auskoppeln können, beschränkte sich aber auf zwei, die auch die entsprechenden Erwartungen erfüllten: "Es gibt kein nächstes Mal" (obwohl mit 4:42 min für eine Single schon recht lang und keineswegs stromlinienförmig konstruiert) und "Herz aus Glas", wenngleich qualitativ im ruhigeren (nicht balladesken - es steht keine "echte" Ballade auf dem Album!) Sektor hier eigentlich nur zweiter Sieger gegenüber dem wunderbar entspannten Albumcloser "Aus und vorbei". Die beiden Singles sind auch die einzigen Songs, die sich im Liveprogramm festgekrallt haben - der Rest tauchte in den letzten Jahren mit einer Ausnahme erstaunlicherweise nicht mal als "Springer" bzw. als Überraschung im Set auf. Beneidenswerte Band, die es sich leisten kann, solche Perlen wie "Angst vor der Liebe" (trotz des leicht versemmelten Anfangsgesangstones - irgendwas stimmt da nicht) oder "Geheime Wünsche" außen vor zu lassen! "Herz aus Glas" findet sich auf dem vorliegenden Re-Release übrigens in der regulären Albumversion, während die gängigen Kopplungen sonst meist die Single-Version enthalten - eine sinnvolle Ergänzung also. Derjenige Song, den man wohl kaum als Single hätte auskoppeln können (in den Krautrock-Hochzeiten der Siebziger vielleicht noch, aber nicht mehr in den Mittachtzigern), schloß auf der LP die A-Seite ab: "Mach' die Augen zu", knapp acht Minuten lang und quasi Stilmittel der elektronisch geprägteren Krautrockfraktion in ein poppiges Gewand der Mittachtziger zu übersetzen versuchend. Und das gelingt erstaunlich gut! Ebenso erstaunlich ist, daß die Band diesen Weg nicht weiter verfolgte und nur noch einmal ähnliche Pfade beschritt, nämlich mit der langen Version von "Liebe auf den ersten Blick", die das Prinzip mit geringerer Elementdichte wiederholte. Strukturelles Paradoxon: "Liebe auf den ersten Blick" ist eine Komposition von Hubert Kemmler (auch bekannt als Hubert Kah), und der hat auch an drei Stücken von "Traumziel" mitgeschrieben (noch nicht im Verbund mit Markus Löhr, sondern zusammen mit Susanne Müller): "Es gibt kein nächstes Mal", "Venus und Mars" und eben "Mach' die Augen zu". Paradoxon? Oder vielleicht logische Folge? Auch "Es gibt kein nächstes Mal" ist schließlich recht originell strukturiert, während "Venus und Mars" den gängigen Zauner-Strobel-Strukturen noch am nächsten kommt, allerdings aufgrund der originellen Baßfiguren im Hintergrund auch ein Stück weit hervorsticht. Die Formulierung "gängige Zauner-Strobel-Strukturen" soll dabei nicht als Monotonievorwurf verstanden werden, denn die beiden Hauptsongwriter deckten und decken innerhalb ihres selbstgewählten Spektrums ein durchaus weites Feld kompetent ab. Die Perfektionierung der Backing Vocals hatte auf "Traumziel" ebenfalls einen vorläufigen Endpunkt erreicht, vom Soundspektrum her fällt "Schachmatt" (unter Beteiligung des Kunze-Killer-Teams entstanden) neben den genannten Songs am weitesten aus dem sonst üblichen Schema heraus und weist musikalisch partiell nochmal auf die Frühphase der Band zurück, während es textlich das Vorbild von Annihilators "Knight Jumps Queen" abgeben hätte können, wenn denn Jeff Waters Deutsch spräche. Apropos Sound: Da scheint beim Mastern irgendwas schiefgegangen zu sein - zwar dringt alles schön sauber aus den Boxen, aber der Pegel liegt viel weiter unten als der von "Herzschlag einer Stadt", so daß man die Anlage viel weiter aufdrehen muß, um die gleiche Lautstärke zu erzeugen. Dürfte sicher nicht so geplant gewesen sein, tut dem Hörspaß allerdings natürlich keinen Abbruch. "Traumziel" ist jedenfalls einer der absoluten Klassiker im Schaffen der Band und gehört in jeden Haushalt, der auch nur ansatzweise was mit Popmusik der Achtziger was anfangen kann.
Kontakt: www.sonymusic.de, www.muenchenerfreiheit.info

Tracklist:
CD 1:
S.O.S.
Kalt oder heiss
Sommernachtstraum
Keiner hat mich gewarnt
Oh Baby
Herzschlag ist der Takt
Einfach fliegen
Julia
Melancholie
Tochter der Venus

CD 2:
Es gibt kein nächstes Mal
Geheime Wünsche
Herz aus Glas
Mach' die Augen zu
Angst vor der Liebe
Venus und Mars
Viel zu viel
Schachmatt
Aus und vorbei
 




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