www.Crossover-agm.de METAL MERCY: The Unborn Child
von rls

METAL MERCY: The Unborn Child   (Karthago Records)

Die metallische Gnade bricht aus Schweden über den Hörer herein, und der Szenekenner vermutet zunächst, es könne sich um einen Ableger von Mercy handeln, bei denen ein gewisser Jan Alfredo Marcolin am Mikrofon stand, bevor er unter dem Künstlernamen Messiah Marcolin mit Candlemass einige metallische Klassiker einspielte. Aber diese Vermutung führt ins Leere - zumindest offiziell gibt es keine Verbindung zwischen diesen Bands. Metal Mercy wurden 1984 in Jönköping gegründet und spielten 1987 zunächst ein Drei-Track-Demo als Quintett ein, bevor Zweitgitarrist und Gründungsmitglied Jörgen Ploewska die Band verließ. Sein Posten wurde nicht wieder neu besetzt, so daß der andere Gründungsgitarrist, Nicklas Arvidsson, fortan die Sechssaitenarbeit allein stemmte. In der neuen Quartettbesetzung entstand 1989 die Vier-Track-Mini-LP "The Unborn Child", aber sie fand keine große Verbreitung, und da auch einige weitere Demoeinspielungen die Band nicht voranbrachten, verschwanden Metal Mercy irgendwann in den frühen Neunzigern wieder auf dem Bandfriedhof und erfuhren erst wieder größere Aufmerksamkeit, als "The Unborn Child" ins Visier diverser Metal-Sammler geriet und plötzlich eine gewisse Nachfrage da war. Ergo wurde anno 2002 eine Picture-EP namens "Liferide" mit den drei Songs des 1987er Demos veröffentlicht, und ein reichliches Jahrzehnt später findet nun auch "The Unborn Child" seinen Weg auf den Tonträgermarkt erneut, nämlich als Re-Release im Rahmen der "Heavy Metal Classics"-Serie des Karthago-Labels, diesmal auf 1000 Exemplare limitiert.
Hat man das Scheibli mit dem eher schlichten Cover erstmal in der Hand und dann in den Player geworfen, springt einen ein Vergleich förmlich an: So wie "In Total Rage" seine Spannung aufbaut, so ähnlich tat das auch vier Jahre zuvor "Beyond The Black", der Opener des formidablen Metal-Church-Debüts. Sicherlich wird das keine Absicht gewesen sein, aber der Bandnamenparallelismus Metal Church/Metal Mercy hat im Nachhinein betrachtet durchaus Charme, wenn man eben auch die musikalischen Parallelen hernimmt. Und dann nennen Metal Mercy den zweiten Song auch noch "Who's In The Dark" (wie hieß gleich noch die zweite Metal-Church-Platte?) ... Wenn man sich das Riffing vor Minute 4 mal genau anhört, sollte ein Deja-Vu in Richtung des Songs "Metal Church" nicht ausbleiben, und zu allem Überfluß klingt Sänger Boogi Igefors auch noch wie Metal-Church-Ursänger David Wayne, nur eine Oktave tiefer. Nun sind die frühen Metal Church sicherlich nicht die schlechteste Referenz im Power-Metal-Bereich, zumal Metal Mercy die Amis auch durchaus nicht 1:1 kopieren, sondern noch andere Elemente verarbeiten. Arbeiten sie etwas schleppender, kommen Landsleute ins Gedächtnis: Heavy Load etwa oder, jawohl, Candlemass, freilich ohne deren Pathos und auch ohne zu weit ins Doom-Genre vorzustoßen. Die vier Songs der Mini-LP stehen am Anfang des Re-Releases, und sie weisen summiert immerhin eine Spielzeit auf, die nicht weit von Slayers "Reign In Blood" entfernt ist - aber das ist für epischen Power Metal ja durchaus nicht ungewöhnlich, zumal Metal Mercy durchaus ein gutes Händchen für Songwriting und Arrangement besaßen und auch knapp achtminütige Songs wie den erwähnten Opener "In Total Rage" so gestalten konnten, daß der Hörer nicht Gefahr läuft, in Morpheus' Arme abzugleiten. "Who's In The Dark" besitzt den einprägsamsten der Refrains, aber auch die anderen Songs sind durchaus mit merkfähigen Passagen ausgestattet und legen dem metalgeübten Hörer wenig Steine in den Weg der Erschließung. Zumindest für die beiden Songs der früheren B-Seite dürfte kein Mastertape als Vorlage für die CD zur Verfügung gestanden haben, da die Vinylquelle doch immer mal knackt, aber generell ist der Sound durchaus annehmbar (Michael Kusch hat das Remastering besorgt), wenngleich man nach dem Akustikintro vielleicht doch ein geringfügig cleaneres Klangbild erwartet hätte. Aber es funktioniert auch so.
Die nächsten drei Songs sind die 1987 eingespielten und 2002 auf der Picture-EP veröffentlichten - sie haben ein durchaus markant anderes Klangbild, und klängen die Becken nicht so wie die Schlittenglocken von Santa Claus, es gäbe auch hieran, bedenkt man die Einspielungssituation, wenig auszusetzen. "Life Ride" und "Two Time Looser" bewegen sich gleichfalls im Midtempo-Power Metal mit gelegentlichen Ausflügen, diesmal aber nach oben, und mit "Between Life And Death" ist sogar ein richtig schneller Song dabei. Interessanterweise klingt der Gesang auch nur in "Two Time Looser" so wie auf der zwei Jahre später eingespielten Scheibe (und selbst da gibt's mal einen richtig hohen Schrei, den man von Boogi sonst so gar nicht kennt), während man in den ersten beiden Songs vermuten könnte, einen anderen Sänger vor sich zu haben, der höher und auch in einer etwas anderen Stimmfärbung singt. Gemäß Bandbiographie soll auf den ersten Demos noch Nicklas gesungen haben - ist er das hier noch, oder handelt es sich um Boogis natürliche stimmliche Entwicklung? Auf "Moran City" und "Mister War", den ersten beiden der letzten fünf Songs, also den nach der Scheibe eingespielten Demotracks, klingt er nämlich nochmals anders, noch etwas rauher, aber immer noch powermetalkompatibel und nicht ins Thrash-Shouting abgleitend, auch wenn der instrumentale Background manchmal ein ganz klein wenig zum Thrash rüberschielt. Ausladende Epik gibt's zwar hier auch immer mal noch, aber generell sind diese Songs deutlich schneller ausgefallen, während die generell hellere Anmutung des Klangbildes keine Absicht gewesen sein muß, sondern schlicht und einfach am Demosound gelegen haben kann, der durchaus anhörbar ist, aber keine Bäume ausreißt (die Becken klingeln nicht mehr ganz so wie auf den Songs der Picture-EP, aber der Klirrfaktor ist immer noch groß genug). Kurioserweise könnte man beinahe vermuten, hier Demoaufnahmen späterer Werke von Morgana Lefay vor sich zu haben - ein Vergleich, der einen bei den vorherigen Songs eigentlich weniger angesprungen ist, aber auch auf "Dark Life" an Position 11 anwendbar wäre. Dazwischen steht allerdings noch "Danger", offensichtlich abermals einer anderen Aufnahmesession entstammend, mit eher gedecktem Klangbild und trotz seiner Kürze eher mit den Mini-LP-Songs vergleichbar. "Dark Life" hingegen prügelt flott los, verwandelt sich allerdings auch wieder in epischen Power Metal, arbeitet sogar mit Halbakustikelementen und weist mit seinem stark atonal geprägten Hauptsolo gleichfalls aufs Mini-LP-Material zurück. Nochmal einen anderen Rhythmusgitarrensound gibt's im Closer "Hills Of Madness", der aber ansonsten durchaus mit "Dark Life" vergleichbar erscheint und daher wohl ein und derselben Einspielung entstammt (der gesprochene Refrain bildet allerdings nochmal ein völlig neues Stilmittel im Kontext von Metal Mercy). Die Liner Notes und die Bandgeschichte im Booklet schweigen sich zur genauen Struktur der späten Demos leider aus, ebenso zur Frage, ob damit das komplette Spätmaterial vorliegt (die CD läuft 62 Minuten, ergo wäre theoretisch noch Platz gewesen, übrigens auch für etwaige frühe Demos mit Nicklas am Gesang). Ansonsten gerät das Ganze recht materiallastig (auch wenn die Lyrics fehlen), wenngleich sich so manche Info nur den Kennern der schwedischen Sprache erschließt, da die diversen abgebildeten Zeitungsausschnitte in ebenjener gehalten sind. Dazu kommt auch noch ein ganzer Stapel Fotos, interessanterweise, soweit man das feststellen kann, überwiegend von der Quartettbesetzung, aber die diversen Livebilder mit Bassist Leif Andersson in dekorativer Leopardenmusterhose stammen von einem Quintett-Gig. So ergibt sich insgesamt das Bild einer starken Wiederveröffentlichung, die man als Freund der im Text genannten Bands zumindest einem Testlauf unterziehen sollte und als Metal-Church-Fan eigentlich auch ungehört erwerben kann.
Kontakt: www.karthagorecords.de

Tracklist:
In Total Rage
Who's In The Dark
The Unborn Child
Rendezvous With Death
Life Ride
Between Life And Death
Two Time Looser
Moran City
Mister War
Danger
Dark Life
Hills Of Madness
 




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