www.Crossover-agm.de MARILLION: Happiness Is The Road
von ta

MARILLION: Happiness Is The Road   (Intact Records)

Es piekt mich gewaltig, das sagen zu müssen, aber "Happiness Is The Road" ist das schwächste Marillion-Werk seit "Radiation" von 1998. "Marbles" 2004 war ein Götterwerk, das ohne Wenn und Aber auf den Musikolymp gehört; "Somewhere Else" 2007 war schwächer, aber ging immer noch als gutes Marillion-Album durch; "Happiness Is The Road" würde ich auch nicht als wirklich schlecht bezeichnen, aber der Abwärtstrend nach "Marbles" wird nur allzu deutlich fortgesetzt, denn das Album ist zu lang und deshalb unfertig geblieben. "Happiness Is The Road" ist eine Doppel-CD (bzw. zwei Einzel-CDs, je nach Edition) mit etwa 100 Minuten Spielzeit und diese Spielzeit ist gemessen an der Qualität des Dargebotenen nicht gerechtfertigt, zumindest, wenn man Marillion-Maßstäbe anlegt, also die Maßstäbe einer der besten Bands der Welt.
Die beiden CDs unterscheiden sich der Ausrichtung nach etwas: Während CD 1, "Essence", konzeptuell geschlossener daherkommt, stellt CD 2, "The Hard Shoulder", die einzelnen Tracks mehr in den Mittelpunkt, ist songorientierter. Ich bespreche beide Alben dennoch en block bzw. unterteile in die Ausrichtungen der Tracks.
Da wäre die Klasse der Space-Bombaster, die auch die wesentliche Neuerung gegenüber den Vorgängeralben markiert: Songs mit 7-8 Minuten Spielzeit mit abgehobenen Synthieflächen, etwas Faser-Effekten auf der Gitarre, minutenlang improvisiert klingenden Soli - da liegt aber auch schon der erste Hund begraben: Manchmal wirken diese Songs einfach nur dahingespielt, uninspiriert und erstaunlich unvollendet. Das fällt bei "The Man From The Planet Marzipan" mit seinem hypnotischen, hohen Bassthema zu Beginn, dem fetten Groove in den Strophen und den verschiedenen Keyboardsounds nicht weiter ins Gewicht, aber "Essence" macht einen wirklich planlosen Eindruck, man höre nur auf den unmotivierten Einsatz des Verses "Sit in silence and watch the sky" in der vierten Minute, wenn die ganze Band plötzlich lostöst. Das sololastige "Asylum Satellite #1" hängt irgendwo dazwischen.
Die zweite, eng verwandte Klasse sind die typischen Neo-Marillion-Tracks, die verträumten Falsettnummern, die durchweg sehr schön sind: "This Train Is My Life" im auf "Afraid Of Sunlight" vorherrschenden Stil sanfter Gangart, "Wrapped Up In Time", das mit elektronischen Drum-Samples an "You're Gone" erinnert, und "Trap The Sparks", bei dem sich Gesang, Gitarre und Keyboard immer in den richtigen Momenten die Hände reichen. Perfekt arrangiert und alles sehr zerbrechlich, aber angenehm anzuhören. Die Ballade "Older Than Me" besteht nur aus Gesang und weihnachtlichem Glockengebimmel und betört gerade durch ihre Sparsamkeit. In der Rezension eines Kollegen wurde geätzt, dass Steve Hogarth immer mehr seine männliche Seite zugunsten der weiblichen aufgeben würde - wer diese in gewissem Sinne korrekte Behauptung nachprüfen möchte, für den sind diese Songs die richtigen Ansprechpartner!
Das Gegenstück sind die Rocker, die besonders auf CD 2, "The Hard Shoulder", zu finden sind: Das knackig-kurze, schnurgerade "Whatever Is Wrong With You" war als Vorabsingle eher schwach, macht aber im Albumkontext mit seiner Eingängigkeit und durch die straffe Komposition überraschend viel Spaß. "Especially True" ist etwas gemäßigter und kombiniert den unwiderstehlichen Surf Rock-Groove auf halbem Tempo, den Drummer Ian Mosley seit Jahren schon fährt, mit einer guten hookline, zu "Real Tears For Sale" fällt mir nichts Rechtes ein: Weder ein Höhepunkt noch eine schlechte Nummer. Sehr zerhackstückelt wirkt "Thunder Fly", das von Garagenrock mit Orgel in dramatische Themen zurückfällt und strukturell an "The Other Half", den Opener des Vorgängeralbums, erinnert. Etwas willkürlich, aber doch m.E. einer der interessantesten Tracks beider Alben. Der letzte Rocksong ist der zehnminütige Titeltrack "Happiness Is The Road", der durchweg gelungen ist, vom sich nach und nach ausbreitenden Intro über den lockeren Offbeat-Groove der Strophen bis in den hymnischen Refrain hinein.
Die letzte Klasse besteht aus den experimentellen Pop-Nummern. Während man die Kritik an den oben besprochenen Tracks noch an zumindest ansatzweise objektiven Parametern ausrichten kann, sind diese Nummern von jeher Geschmackssache gewesen und für mich in diesem Fall fast durchweg eine Enttäuschung: "Woke Up" und "A State Of Mind" sind kitschige Akustik-Pop-Balladen ohne Höhepunkte, "Throw Me Out" klingt wie die Beatles beim Einschlafen, den Vogel schießen allerdings zwei andere Tracks ab: "Nothing Fills The Hole" ist ein strukturloses Etwas, ein hoher Gospelrefrain, um den zwei komplett stimmungslose Strophen wie ein Intro und ein Outro gebastelt wurden, das aber bei dem genannten, sehr aufdringlichen Refrain immerhin so nervt, dass es schon wieder cool ist; an "Half The World", das in banalem "dududu" gipfelt, ist dagegen nicht mehr viel zu retten.
Von den beiden noch nicht genannten Stücken ist eins ein etwas aufwändigeres, sehr stimmungsvolles Klavierintro ("Dreamy Street") und das andere ein weder wirklich schlechtes noch wirklich gutes Ambient-Interlude ("Liquidity").
Um zwei weitere, letzte Kritikpunkte komme ich nicht herum. Die Produktion knallt nicht, es fehlen die ausgewogenen Mitten und Bässe, außerdem kommen die breiten Keyboardflächen nicht zur Geltung. Und zuletzt sind die Texte an manchen Stellen nur noch nervig. H ist allen Unkenrufen zum Trotz ganz zweifellos in der Lage, gut zu dichten, er schafft es, Bekanntes, Banales und Einfaches schön zu verpacken, auch auf diesem Album. Aber die Texte von bspw. "Half The World", "Happiness Is The Road" oder "Real Tears For Sale" bestehen fast nur aus Platitüden, zudem verbrät h die behandelten Themen (Zukunftsoptimismus, die Schönheit der Frau, böse Musikindustrie) bereits seit Jahren immer wieder aufs Neue. In diesen Fällen war gut gemeint dann tatsächlich das Gegenteil von gut gemacht.
Alles in allem ist "Happiness Is The Road" eine Sammlung guter Ansätze, die aber zu leichtfertig dahingespielt sind, nicht zuende gebracht wurden und deshalb inspirationslos wirken. Nicht durchweg, aber für Marillion einfach zu oft. Hätten Marillion ihre Energie darin gesetzt, die Ansätze der guten 50 Minuten dieses Albums weiter zu bearbeiten, wäre vielleicht ein gutes, wäre vielleicht ein tolles, vielleicht ein großartiges Album dabei herausgekommen. Aber sie haben ihre Energie genutzt, um weitere 50 unfertige Minuten auf CD zu bannen. Das macht "Happiness Is The Road" zu dem nur mittelklassigen Album, das es letztlich geworden ist.
Kontakt: www.marillion.com

Tracklist:
CD 1 - Essence
1. Dreamy Street
2. This Train Is My Life
3. Essence
4. Wrapped Up In Time
5. Liquidity
6. Nothing Fills The Hole
7. Woke Up
8. Trap The Spark
9. A State Of Mind
10. Happiness Is The Road

CD 2 - The Hard Shoulder
1. Thunder Fly
2. The Man From The Planet Marzipan
3. Asylum Satellite #1
4. Older Than Me
5. Throw Me Out
6. Half The World
7. Whatever Is Wrong With You
8. Especially Yours
9. Real Tears For Sale



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