www.Crossover-agm.de MARILLION: Somewhere Else
von ta

MARILLION: Somewhere Else   (Intact)

Ich finde Marillion ja nicht ganz schlecht. (Untertreibung des Jahres - Anm. rls) Ich habe auch nicht erwartet, dass Marillion jemals werden an "Marbles" anschließen können. Und ich habe ebenso nicht erwartet, dass "Somewhere Else" das Album 2007 werden muss. Aber ... was, aber? Kein Aber, "Somewhere Else" ist ein schönes Album geworden, kein "Marbles II", zum Glück nicht (warum auch, wenn es doch "Marbles" gibt?), mit tiefen Momenten, aber nicht so tief wie nur ginge und wie in der Geschichte dieser Band schon mehrere Male ging, abwechslungsreich, aber nicht so abwechslungsreich wie nur ginge und in der Geschichte dieser Band schon mehrere Male ging. "Somewhere Else" ist "Somewhere Else" ist "Somewhere Else", sphärisch, manchmal poppig, manchmal rockig, manchmal progressiv, meistens melancholisch, ein buntes Bild mit einem leichtem Schleier.
Rockig: "The Other Half", abgehoben und ungerade, mit Schlagzeugsynkopen und einem ganz wunderschönen zweiten Teil, Melodien nicht von dieser Welt; "The Wound", das man sofort mitsingen möchte und das ab Mitte vorwärts das leicht trippige Feeling von "Quartz" wieder aufnimmt - und dieser Song stand bekanntermaßen auf "Anoraknophobia"; "The Wound" weist dann sogar bis zu "Afraid Of Sunlight" zurück, als "Cannibal Surf Babe" die Massen verwunderte: Rotzfrech dahingezimmert, locker und naiv, inkl. völlig debiler Melodieführung, die sich über den zynischen Text erklärt, der Statussymbole aufs Korn nimmt: "He who dies with the most toys is still dead". Cooles Teil, wenngleich solche Tracks wirklich der äußerste Rand dessen sind, was Marillion spielen können, ohne dabei nicht mehr Marillion zu sein. Und irgendwie ist man auch froh, dass der Song nach zweieinhalb Minuten schon wieder vorbei ist. Auffällig ist, dass Rotherys Gitarre in diesen drei Songs wieder mehr kracht als noch auf "Marbles", wie die rockige Seite Marillions überhaupt die ist, die man das letzte Mal auf "Anoraknophobia" zu hören bekam. Also: Gelungene Traditionsaufnahme.
Poppig: Da wäre die Single "See It Like A Baby", die für mich den Schwachpunkt des Albums markiert. Wie in "The Other Half" sorgt die Rhythmusarbeit für einen schönen Schwebezustand, aber der emphatische Einsatzrefrain ist dann doch etwas zuviel des Guten bzw. Gutgemeinten und spätestens wenn man den oberschmierigen Text zu Gesicht bekommt, ist der letzte Anflug von Wohlgesonnenheit dahin. Manchmal ist weniger eben tatsächlich mehr. "Thankyou Whoever You Are" dagegen fängt perfekt Beatles-Vibes ein, kombiniert sie mit einem Piano-Thema, das etwas an den "Marbles"-Closer "Neverland" erinnert, und mündet schließlich in einen herrlichen, melodischen Bombastpart. Das Piano wirft Kelly diesmal vergleichsweise oft an, die weiten Flächen mit ihren vielen Details dagegen sind weniger häufig. "Faith" zuletzt ist eine Akustikballade mit einigen perlenden Synthie-Sounds in der Mitte, insgesamt sehr sparsam und auf Hogarth zugeschnitten. Der singt übrigens überraschend oft überraschend hoch und soft auf diesem Album, was der generellen Marschrichtung gut tut, aber jegliches Aufbegehren im Keim erstickt. Entspannt wäre vielleicht das richtige Wort, teilweise richtiggehend bekifft.
Damit ist der Übergang zum dritten Songtypus geschaffen, den entspannten, melancholischen Prog Rockern, die dann auch den Rest des Album stellen. "Somewhere Else" und "A Voice From The Past" sind das konservative Doppel, das stilistisch irgendwo zwischen "Marbles", "Brave" und Lounge-Songs á la "House" ("marillion.com") oder "This Is The 21st Century" ("Anoraknophobia") hängt: Sehr ruhig, mit kleinen Gitarrenspielereien im Hintergrund, einem schmerzlich betroffenen Hogarth im Vordergrund, "Somewhere Else", sich immer mehr aufbauend und mit großem Finale, "A Voice ...", über das sich fast dasselbe sagen lässt. Eine großartige Albummitte, in der Hogarth endlich auch wieder beweist, dass er mithin die schönsten Texte über Schmerz und Sehnsucht schreiben kann, die es gibt auf dieser Welt. "No Such Thing" und "The Last Century For Man" fallen dagegen etwas ab. Beide Songs hängen ebenfalls zwischen den genannten Polen, allerdings mit starker Neigung in die Lounge-Richtung: Relaxt, sanft, zum Beine-Hochlegen und Abspannen. "No Such Thing" mit seinem ständig wiederholten Gitarrenthema und dem sich ebenso ständig wiederholenden Vers "There's no such thing" grenzt schon an ein Mantra, das langsam erlischt, ehe durch einen kurzen treibenden Mittelteil wieder etwas Kohle ins Feuer geworfen wird.
Und das war auch schon das ganze Album. Etwas über 52 Minuten sind es diesmal geworden, lange Epen bleiben aus, die meisten Songs kommen relativ schnell auf den Punkt, was man bereits oberflächlich an der Tatsache ablesen kann, dass Hogarth fast durchgängig wenige Sekunden nach Start eines Titels zu singen anhebt. All das wäre wirklich desaströs, wenn man hier ein zweites "Marbles" erwartet, also ist man am besten damit beraten, eben das nicht zu tun. Resultat einer ergebnisoffenen Haltung ist ein gutes Stück Musik, das an viele Traditionsfäden anknüpft, die diese Band auf ihrer Vielzahl an verschiedenen Alben einmal gelegt hat, in keinem einzigen Fall in derselben Konsequenz, in der es auf dem Album geschehen ist, an das jeweils angeknüpft wird, aber immer noch sehr überzeugend und erstmals auch überaus entspannend. "Somewhere Else" ist keine Zäsur im Schaffen Marillions - dafür verschwindet das Album nach dem Hören einfach zu schnell wieder aus dem Gedächtnis -, ist aber auch weit davon entfernt, zu enttäuschen. Ein reifes Alterswerk, nicht mehr und nicht weniger.
Kontakt: www.marillion.com

Tracklist:
1. The Other Half
2. See It Like A Baby
3. Thankyou Whoever You Are
4. Most Toys
5. Somewhere Else
6. A Voice From The Past
7. No Such Thing
8. The Wound
9. The Last Century For Man
10. Faith
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver