www.Crossover-agm.de KIPELOW: Schitj Wopreki
von rls

KIPELOW: Schitj Wopreki   (Misteria Records)

Nachdem das Verhältnis zwischen Live- und Studioreleases bei Kipelow fast manowar-kompatible Züge angenommen hatte, liegt sechs Jahre nach dem bisher einzigen Studioalbum "Reki Wremen" nun endlich ein Nachfolger vor - und was für einer! Dem nicht weiter auffallenden Intro folgt nämlich mit dem Titelsong ein Oberknaller des modernen orchesterunterstützten Power Metals, knapp unter der Speedgrenze angesiedelt und diese an geschickt gewählten Stellen mit schnellen Stakkati auch überschreitend, starke Melodien auffahrend, viel Energie transportierend, den Bombast richtig dosierend, noch ein wildes Solo einbauend und summa summarum ein kleines Meisterwerk, geschrieben übrigens von Bassist Alexei Charkow. Seit 2006 spielen Kipelow mittlerweile in stabiler Besetzung, und das macht sich auch auf dem neuen Album bemerkbar: Die Interaktion funktioniert tadellos, und Chefdenker Waleri Kipelow konnte bedenkenlos das Songwritingzepter für weite Teile des Albums aus der Hand geben - die komplette zweite Hälfte des Albums haben die beiden Gitarristen Andrei Golowanow und der zuletzt hinzugestoßene Wjatscheslaw Molchanow geschrieben, so daß Kipelow selber nur noch das Intro und drei Songs beisteuern mußte. Auch hier setzen die Gitarristen aber die glitzerndsten Farbtupfer, bisweilen flankiert durch Bassist Charkow, der unter "Glamurnaja Ptiza" stellenweise einen donnernden Baß legt und damit eine wirkungsvolle Ergänzung zum Zakk Wylde-artigen Riffing bildet, das man an einigen Stellen ja schon vom "Reki Wremen"-Album her kannte und das diesen überwiegend im klassischen Melodic Metal angesiedelten Song durch einzelne Farbtupfer zu einem enorm eigenständigen und hochklassigen Bild verhilft, wozu freilich das zurückhaltend-melodische Hauptsolo auch noch sein Scherflein beiträgt. Sein songwriterisches Meisterstück dieses Albums hat Kipelow trotzdem schon zuvor abgeliefert, nämlich mit "Wlast Ognja" - geradliniger Speed vom Faß, im Refrain abstoppend und wieder so ein furioses Gitarrenheldensolo einbastelnd, wie man es im Power Metal so liebt. Das sind die Songs, in denen man das Können der Alten bewundert, wobei der Mittfünfziger Kipelow offenbar im Kreis seiner deutlich jüngeren Mitmusiker nochmal so richtig aufblüht (von Trommler Alexander Manjakin abgesehen, sind die anderen Bandmitglieder alle erst um Mitte 30) und die Kombination aus Erfahrung und Frische so richtig funktioniert. Allerdings hatte der Sänger auch immer schon ein gutes Händchen beim Schreiben von Balladen. "Na Grani" ist kein kompletter Kuschelsong geworden, enthält aber doch viele balladeske Elemente und kommt ziemlich entspannt aus den Boxen geschwebt, auch wenn mancher Hörer den einen oder anderen Orchestereinsatz in diesem Song als geringfügig überdimensioniert empfinden wird - das kommt ganz auf die jeweilige Konstitution des Hörers an. Apropos Orchester: Beteiligt waren gleich zwei, nämlich das Kammerorchester "Tschistaja Musika" und das Sinfonieorchester "Globalis", wobei das erste mit Fußnotenziffer beim Intro und das zweite bei "Besumije" an Trackposition 6 vermerkt ist - aber der Einsatz der Orchesterklänge beschränkt sich keineswegs auf diese beiden Songs, also soll das offenbar die Verteilung auf dem Album signalisieren, also auf Tracks 1 bis 5 das erste und ab Track 6 dann das zweite. Mit Track 6 beginnt wie erwähnt auch die Hälfte des Albums, die songwriterisch auf die beiden Gitarristen zurückgeht. Golowanows Hang zu leicht moderneren Sounds wird gleich in "Besumije" deutlich - allerdings auf so geschickte Art, daß eine perfekte Legierung aus Modernität und Tradition entsteht. Man höre nur mal den letzten Teil des Hauptsolos, das von der Leadgitarre her so urtradionell ausgefallen ist, wie nur irgendein Gitarrensolo urtraditionell ausfallen kann - aber darunter liegt ein verschleppter, bisweilen beinahe hüpfkompatibler Drumrhythmus, an den man sich in diesem Kontext erst gewöhnen muß, bis es irgendwann Klick macht und man die Kopplung als integralen Bestandteil dieses Konzeptes, Alt und Neu zu mischen, ohne die Altfans gleich ganz zu vergraulen, erkannt hat. Und die Zakk-Wylde-Gitarren fehlen, wie man es von Golowanow gewöhnt ist, natürlich auch hier nicht, sie fallen sogar relativ stilprägend aus, wenngleich Ozzy als Ex-Arbeitgeber Wyldes hier als Stimme irgendwie schwer vorstellbar wäre. Moltschanows "Tschornaja Swesda" entpuppt sich als ähnliches Konzept, titelgemäß ("Schwarzer Stern") noch ganz leichte Spaceeinflüsse addierend, das Orchester diesbezüglich recht stimmungsdienlich einsetzend und durch die grellen Ahaha-Backings im Refrain auffallend. Daß der Gitarrist aber auch klassische Metal-Brocken komponieren kann, zeigt er in "Jeschtscho Powojujem", wenngleich auch dieser Song stilistisch eher am Rande des bisherigen Kipelow-Spektrums angesiedelt ist: Latente Thrash-Einflüsse der melodischen, aber kantigen Sorte, verbunden mit dem bekannten Kipelow-Melodiespürsinn, einem großen hymnischen und klavierunterlegten Ohoho-Break und einem zwischen Wildheit und Melodik pendelnden, hochgradig begeisternden Hauptsolo erinnern den Hörer ganz markant an Heathen, auf deren "The Evolution Of Chaos"-Meisterwerk dieser Song einen exzellenten Platz eingenommen hätte. Trotz seiner Länge wird er zu keiner Sekunde langweilig, und während man auf dem Vorgänger "Reki Wremen" noch hier und da das Gefühl gehabt hätte, die eine oder andere Passage hätte noch etwas gestrafft werden können, so beschleicht einen dieses Gefühl auf dem neuen Album zu keiner Zeit. Nur an ganz wenigen Stellen fragt man sich nach dem Warum, zu denen übrigens der komische Schluß des eben genannten Meistersongs mit seinem nachgestellten Baßton gehört. Auch in "Dychanije Poslednjei Ljubwi" kommt eine solche Stelle vor, nämlich der im Hintergrund vor sich hinpluckernde Schlagzeugeffekt im Hauptsolo dieser ansonsten großartigen orchesterunterstützten Halbballade aus Golowanows Feder. Zum Schluß darf Molchanow nochmal ran: "Na Krutom Bjeregu" ist kein "Katjuscha"-Cover, wie der Kenner traditionellen sowjetischen Liedgutes anhand des Titels möglicherweise gemutmaßt haben könnte, sondern noch einmal ein ungewöhnlich strukturierter Song mit einer interessanten Kombination aus Tradition und Moderne, eine Hymne mit einem sehr ungewöhnlichen Drumrhythmus im ausgedehnten Intro, der sich auch durch die Strophen zieht und nur im Refrain einem geradlinigen schleppenden Beat weicht. Kein Song, der sich nach dem ersten Hören erschließt, sondern einer, der Aufmerksamkeit verlangt und mitten im Hauptsolo plötzlich auch noch zwei klassische Metalsolostrukturen unterbringt, wie sie klassischer nicht sein könnten. Wenn man sich diesen Song einmal erschlossen hat, möchte man ihn auf diesem Album nicht mehr missen, und er stellt den krönenden Abschluß eines Meisterwerkes aus den Weiten Rußlands dar, das zweifellos zu den allerstärksten Alben des Jahrgangs 2011 gehört und für das neue Arija-Album "Feniks" eine sehr hohe Meßlatte darstellt.
Kontakt: www.kipelov.ru

Tracklist:
Intro
Schitj Wopreki
Wlast Ognja
Glamurnaja Ptiza
Na Grani
Besumije
Tschornaja Swesda
Jeschtscho Powojujem
Dychanije Poslednjei Ljubwi
Na Krutom Bjeregu



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