www.Crossover-agm.de HEATHEN: The Evolution Of Chaos
von rls

HEATHEN: The Evolution Of Chaos   (Mascot Records)

Schon zwischen den ersten beiden Longplayern Heathens, "Breaking The Silence" und "Victims Of Deception", lagen vier Jahre, aber der Drittling "The Evolution Of Chaos" hat nun stolze 19 Jahre auf sich warten lassen, eine ausgedehnte Bandauflösungsperiode zwischenzeitlich inbegriffen. Nun gelten die ersten beiden Alben als Klassiker der melodischer orientierten Sparte des Bay Area-Thrashs, allerdings liegt das eine noch auf dem großen Ungehört-Stapel beim Rezensenten, und das andere hat sich noch gar nicht in seiner Kollektion eingefunden - Direktvergleiche sind also nicht möglich. Aber es genügt auch das alleinige Durchhören dieser knapp 70 Minuten Musik, um festzustellen, daß Heathen abermals einen Klassiker eingespielt haben. Und man erkennt deutlich, wie unterfordert Gitarrist Lee Altus doch bei den Krupps war, auch wenn das dortige Engagement ihm in den 90ern nicht zuletzt über eine finanzielle Durststrecke hinweggeholfen haben mag und damals, als Heathen auf Eis lagen, niemand ahnen konnte, welchen Status ehrlicher Thrash Metal der alten Schule anno 2010 wieder haben würde. Das Benefizkonzert zugunsten des krebskranken Testament-Sängers Chuck Billy am 11. August 2001 brachte neben anderen aufgelösten Legenden wie Exodus auch Heathen wieder zusammen, allerdings dauerte es bei ihnen bis zum ersten neuzeitlichen Longplayer halt nochmal ein knappes Jahrzehnt, bedingt nicht zuletzt durch Lee Altus' Engagement bei den erwähnten Exodus. Und die werden es schwer haben, "The Evolution Of Chaos" zu übertreffen! Direktvergleiche sind allerdings auch hier nicht ganz einfach, obwohl beide Bands zumindest im gleichen Subgenre, also im Bay Area-Thrash angesiedelt sind. Aber David White singt im Direktvergleich ein gutes Stück melodischer als sein Exodus-Kollege Rob Dukes, und generell erscheinen die Heathen-Kompositionen etwas leichtfüßiger, luftiger angesiedelt zu sein und werden durch deutlich melodielastigere Soli gekrönt. In der Gesamtbetrachtung siedeln Heathen ein Stück näher am Power Metal-Genre, wie das Albumhighlight "No Stone Unturned" deutlich macht, zugleich einer der besten Songs des Metaljahres 2010 und in elf Minuten Spielzeit all das zusammenfassend, was der Power Metal-Fan so liebt: einen stampfenden Hauptteil mit griffigen Riffs, die im Hauptsolo wirkungsvoll mit ergreifenden Gitarrenmelodielinien kombiniert werden, dann nach fünfeinhalb Minuten, als man schon das Songende erreicht zu haben glaubt, ein atmosphärisches Fretless Bass-Solo (gasthalber eingespielt von einem weiteren Ausnahmekönner, nämlich Steve DiGiorgio, der auch schon die Sitar im Intro der CD beigesteuert hat), das in einen nach wie vor atmosphärisch geprägten rockigeren Part übergeht, bevor kurz nach Minute 8 das Tempo auf Speed hochgeschraubt wird und die beiden Gitarristen (neben Lee Altus noch Neuzugang Kragen Lum, der sich hervorragend in die Mannschaft eingefügt hat) zu zaubern beginnen, bevor der Refrain aus dem ersten Teil nochmal wiederkommt, aber diesmal ebenfalls im Speedtempo. Das ist Heavy Metal in Reinkultur, das sollte man einem Außerirdischen vorspielen, der wissen möchte, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Und viele andere der zumeist überlangen Songs (die erwähnten knapp 70 Minuten teilen sich nur auf zehn Songs plus Intro auf) beinhalten ähnliche Qualitäten, unter denen das Solospiel der Gitarristen nochmal hervorgehoben werden muß - was Altus und Lum hier auf diesem Album leisten, ist Weltspitzenklasse, nicht weniger. Angestachelt durch die Gastsoli von Gary Holt und Terry Lauderdale? Vielleicht, aber das ist ja letztlich auch egal - hier hat sich jedenfalls ein neues Dream Team gefunden, und das zeigt, wie begeisternd Thrash Metal, der keinerlei moderne Elemente enthält, auch anno 2010 noch sein kann. Dazu kommt das Drumming von Darren Minter, der zwar auch aberwitzige Breaks spielen kann, aber nur dann das Tempo wechselt oder komische verschleppte Rhythmen einbaut, wenn es dem Song auch tatsächlich nützt, und das ist hier eher selten der Fall. Statt dessen ist Geradlinigkeit über weite Strecken Trumpf, die freilich nicht mit Monotonie verwechselt werden darf - aber in der heutigen Metalwelt ist man durchaus froh über jeden Schlagzeuger, der mal 30 Sekunden lang das Tempo hält und nicht in dieser Zeit ebensoviele Tempowechsel und Breaks spielt. Daß Minter das auch könnte, deutet er hier und da an, aber er spielt hier eben songdienlich im besten Sinne des Wortes. Und die bereits früher erwähnte Leichtfüßigkeit ist nicht zuletzt auch auf sein lockeres Spiel zurückzuführen - er wirkt zumindest im tonkonservierten Resultat irgendwie völlig unangestrengt, was man ihm anhand seiner Figur gar nicht zutrauen würde. Mit "A Hero's Welcome" trauen sich Heathen sogar an eine Halbballade heran, in deren harten, aber dennoch melodisch geprägten Passagen man sich an David Whites Stimme erst ein wenig gewöhnen muß, da sie hierfür fast ein wenig zu rauh wirkt, während er in den ruhigen Passagen eine ungewohnte Wärme an den Tag legt. Wie sich diese Stimme seit den ersten beiden Alben entwickelt hat, müssen andere beurteilen - die Rauhigkeit paßt in den anderen Songs aber perfekt, zumal sie nicht selten flächig gemildert wird und nie im unangenehmen Kontrast zu den fein ziselierten Gitarrenmelodien steht. Somit erweist sich auch White als unabdingbarer Bestandteil der alten wie der neuen Heathen. Perfekt eingefügt hat sich offensichtlich auch Jon Torres, der aktuell den Schleudersitz des Bassisten eingenommen hat - ein alter Hase freilich, den man von Lääz Rockit kennt und der weiß, wie der Hase läuft. Mit "Bloodkult" hat er auch einen eigenen Song beigetragen, während für den Rest der Kompositionen die beiden Gitarristen verantwortlich zeichnen und White das Gros der Texte schrieb (darunter auch solche, über deren Inhalt man mal genau nachdenken sollte, z.B. den zu "A Hero's Welcome"). "Bloodkult" ist vielleicht einen Deut komplizierter strukturiert als der Rest, und auch die orientalische Tonfolge der Gitarren gibt es sonst nicht nochmal auf dem Album, aber das mag Zufall sein - der Song fügt sich problemlos ins Ganze des Albums ein, selbst das kurze Baßsolo stört nicht (das darf schon mal sein, wenn der Bassist einen Song schreibt ...). Als Kuriosum hingegen dürfte durchgehen, daß der Refrain von seiner Struktur her etwas an den von Nitrolyts "Commercial Break" erinnert; die Theorie, daß Jon Torres diesen Song jemals gehört hat, wäre sehr stark zu bezweifeln. Apropos Refrains: Wenn man denn an "The Evolution Of Chaos" Verbesserungswünsche vorbringen dürfte, dann vielleicht den, hier und da doch noch einen etwas griffigeren Refrain einzubasteln, um sich schneller in die Songs vorarbeiten zu können. Aber andererseits ist ein Songteil wie der balladeske Beginn der Umweltschützerhymne "Red Tears Of Disgrace" auch so ergreifend genug, um dem Hörer im positiven Sinne die Haare zu Berge stehen zu lassen (der Text tut das dann aus anderen Gründen); hier scheinen musikalisch die besten Tage von Iced Earth (also die der ersten beiden Alben) durch, und das Outro hat zudem etwas von Gamma Rays "Armageddon"-Ausklang, nur daß Heathen auf die große Explosion zum Schluß verzichten. "Silent Nothingness" schließt dann ein Album ab, das zu den allerstärksten des Jahrgangs 2010 zählt, in den Schrank JEDES Metalfans gehört und nur die Hoffnung offenläßt, daß bis zum Nachfolger nicht wieder x Jahre vergehen.
Kontakt: www.mascotrecords.com

Tracklist:
Intro
Dying Season
Control By Chaos
No Stone Unturned
Arrows Of Agony
Fade Away
A Hero's Welcome
Undone
Bloodkult
Red Tears Of Disgrace
Silent Nothingness





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