www.Crossover-agm.de KELLY KEAGY: Time Passes
von rls

KELLY KEAGY: Time Passes   (Frontiers Records)

Hm, da hat er schon recht, der gute Kelly Keagy: Die Zeit vergeht. Es muß 1992 oder 1993 gewesen sein, als ich mir die 84er Platte "Midnight Madness" von Night Ranger in den Tonträgerschrank stellte, aus dem sie in Zukunft regelmäßig hervorgeholt wurde, um auf dem Plattenteller zu rotieren und Klänge preiszugeben, die sich zu einer der besten Melodic Rock-Platten summierten, die mir bis dato untergekommen war. Und an dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert. Einige "nur" gute Tracks flankieren diverse absolute Highlights wie die auf den ersten Hör unauffällige, aber wunderbar warme Akustikballade "Let Him Run", den mit dem genial abgewürgten "Bruder Jakob"-Thema beginnenden Titeltrack oder den druckvollen Opener "(You Can Still) Rock In America", dessen Gitarrensolo mich auch heute noch zum wilden Luftgitarrenspieler mutieren läßt. Und da war da noch die Halbballade "Sister Christian", zu der es auch ein die Handlung eher überspitzt-lustig abhandelndes Video gab (aus dem Aerosmith ihre Inspirationen für die Videos zu "Crazy", "Amazing" und "Crying" bezogen haben dürften) und die in den Staaten zu einem Riesenhit wurde. Night Ranger bestanden seinerzeit aus fünf Musikern, von denen sich je zwei in die Sangespflichten hineinteilten. Gitarrist Brad Gillis und Keyboarder Alan "Fitz" Gerald sorgten für die Backings, wohingegen sich Bassist Jack Blades mit seinem Trommler über die Aufteilung der Leadvocals einig wurde. Da der Drummer "Sister Christian" geschrieben hatte, sang er es auch selbst und machte es zu einem weiteren Highlight auf "Midnight Madness". An dieser Platte sollten Night Ranger nie wieder vorbeikommen, und auch das vielgelobte Debüt "Dawn Patrol" kommt in meinem Ohren nicht an seinen Nachfolger heran. Und wer bis hierher immer noch nicht gemerkt hat, was die Geschichte von Night Ranger mit "Still Passes" zu tun hat: Der angesprochene Trommler ist kein anderer als Kelly Keagy, der mit "Still Passes" seine erste Soloplatte veröffentlicht hat. Und es dürfte niemanden überraschen, daß "Still Passes" keinen Death Metal, keinen Gothic, keinen Country, keine russische Folklore, keinen Hip Hop und auch keinen Gospel enthält. Kelly entfernt sich stilistisch nur unwesentlich von Night Ranger und hat einen Großteil der Instrumente selbst eingespielt, sich für den Rest aber namhafte Gäste ins Studio geholt, von denen seine Night Ranger-Kollegen sowie Jim Peterik von Survivor die bekanntesten sein dürften. Und die haben selbstredend keinen Mist gebaut - nur zu absoluten Highlights veredeln können sie das gute, aber nicht sonderlich weltbewegende Songmaterial über weite Strecken auch nicht. Daß die Intropassage von "Too Much To Ask" verdächtig nach Boyzone (!) klingt, dürfte zwar Zufall sein, aber die "Uhuhuh"-Backings gehen einem mit der Zeit dann doch auf den Zeiger. Auch hört man Kelly an, daß seit "Midnight Madness" 17 Jahre ins Land gezogen sind, denn seine Stimmgewalt hat doch etwas nachgelassen, obwohl er das, was er sich auf den Leib geschrieben hat, selbstredend immer noch problemlos bewältigt. Um auf einen von vorne bis hinten "Aha, das isses!" schreienden Song zu stoßen, muß man sich bis zu Position 8 gedulden - dort steht "Wrong Again", das in qualitativer Hinsicht auch auf "Midnight Madness" weit vorne gestanden hätte, in dem sich Kelly ein begeisterndes Gesangsduell mit dem flächiger singenden Gary Moon (auch ein Night Ranger-Mitglied) liefert und das zudem durch ein typisches Gitarrensolo von Brad Gillis seine Vergoldung erfährt. Das komplett aus Jim Peteriks Feder stammende "When There's A Woman" beginnt unmittelbar danach mit einem seltsam, aber schön ausharmonisierten Gitarrenriff, verwandelt sich indes bald in eine abwechslungsreiche Halbballade, die wohl sowas wie das "Sister Christian" von "Still Passes" darstellen soll, aber etwas im Sumpf steckenbleibt und sich somit nicht ganz so hoch aufrichten kann. Bei "The Journey" frage ich mich, verzweifelt in meinem Gedächtnis kramend, wo ich die Strophenmelodie schon mal gehört habe, freue mich dann aber, daß der Mittelteil etwas an Eigenständigkeit gewinnt. Noch bekannter kommt mir allerdings die Openingsequenz des an- wie abschließenden "The Moon" vor. Die recht monotone Percussion wird in der Folge von einem warmen Fretlessbaß und einem interessanten Orgeleffekt (Hohlflöte?) kompensiert, was den Song zu so 'ner Art Weiterentwicklung der Marschrichtung von "Let Him Run" macht. Damit klingt eine nicht durchgehend hochklassige, aber permanent mindestens solide Rockplatte aus, die in jede Sammlung eines Night Ranger-Anhängers gehört. Einsteiger sollten sich aber erstmal auf die Suche nach "Midnight Madness" machen oder das in diesem Sound sehr rührige Frontiers-Label durch den Erwerb des letzten Ten-Meisterwerkes "Babylon", das im direkten Vergleich allerdings viel bombastischer ausgefallen ist, supporten.
Kontakt: www.frontiers.it
 




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