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KARFAGEN: 7
von rls

KARFAGEN: 7   (Caerllysi Music)

Fünf Songs, von denen der fünfte eine "edited version" des ersten darstellt - eine EP? Mitnichten: Das - wen wundert's - siebente Album von Karfagen rotiert reichlich 67 Minuten im Player, und der genannte erste Song, zugleich der zentrale des Albums, bringt es allein knapp auf eine halbe Stunde, von denen die ersten reichlich 18 Minuten rein instrumental gehalten sind, von einigen Spoken-Words-Parts (von Co-Produzent William Mackie) im Intro abgesehen. Diese reichlich 18 Minuten widmen sich allerdings nicht einer schrittweisen Intensitätssteigerung, sondern wandern einmal kreuz und quer durch den Progrock der Siebziger und besitzen trotz fließender Übergänge und nicht ausgewiesener Einzelsätze eher einen suitenartigen Charakter, wobei gewisse Themen allerdings durchaus in mehreren Teilen behandelt werden und einige markante Widerhakenmelodien bereitstehen, sich als Orientierungshilfe im Ohr des Hörers festzusetzen. Auffällig in diesem Teil sind gelegentliche Folkrockeinschübe fast tanzbaren Charakters, für deren Ausgestaltung Chefdenker/Keyboarder Antony Kalugin nicht die Soundbibliotheken bemühte, sondern sich der Dienste des Akkordeon- und Bajanspielers Serg Kovalov versicherte. Auch die Holzblasinstrumente in diesem Song sind echt - Helen Bour spielt Oboe, und Lasya Kofanova steuerte Quer- und Blockflöten bei, das Kunststück vollbringend, phasenweise an Jethro Tull zu erinnern, phasenweise aber auch gerade nicht, wofür der eher die Klangwelten Debussys reminiszierende Part ab Minute 16 als perfektes Exempel gelten kann, wobei Max Velychko dort allerdings noch eine Akustikgitarre hinzugibt, so daß man auch keineswegs von einer Debussy-Kopie sprechen kann. "Seven Gates" hat Kalugin, so schreibt er in den Liner Notes im Booklet des Digipacks, im Frühjahr 2015 mehr oder weniger am Stück komponiert und sich daraufhin entschlossen, noch drei weitere kürzere Songs (was hier relativ zu sehen ist - sie dauern sechs-, sieben- bzw. neuneinhalb Minuten) zu komponieren, die die Stimmung und Thematik von "Seven Gates" (es geht um die verschiedenen mythologischen Bedeutungen der titelgebenden Ziffer) weiterspinnen. Die knapp zehn mit Gesang (von Kalugin selbst) versehenen Minuten fügen sich prima ins große Ganze ein, wobei in den ruhig fließenden Strophen der bereits im Review zur Raritätensammlung "Lost Symphony" festgestellte Anklang an die Space-Progger Dice ein weiteres Mal zur Geltung kommt, während der dynamisch hervorstechende Refrain einerseits an Ayreon zu "Dream Sequencer"-Zeiten und andererseits durchaus auch an Seven (!) Steps To The Green Door erinnert. Das große melodische Gitarrenthema ab Minute 25 hätten in ähnlicher Weise durchaus auch Yes zu ihren zugänglicheren Zeiten schreiben können, aber auch hier gibt es noch einen weiteren Vergleich, zu dem im Hirn des Rezensenten der Bandname noch nicht präsent ist.
Hat Kalugin seinen kompositorischen Ideen hier viel Freiraum zum Atmen gegeben (ohne sie aber künstlich in die Länge zu walzen), so tut er das auch in den kürzeren Nummern des Albums, auf etwaige kommerzielle Nutzbarkeit dabei keinerlei Rücksicht nehmend. "Now And Ever" etwa hätte eine hübsche, rein musikalisch problemlos im Formatradio spielbare Ballade abgegeben, wenn sie nicht einige überraschende Wendungen wie die plötzliche Soundexplosion nach Minute 4 und eben insgesamt sechseinhalb Minuten Länge aufwiese. So kann sich der Progfreund relativ exklusiv dem Genuß dieser Musik hingeben - er muß aber wie bereits im Review zu "Lost Symphony" angeklungen trotz aller fließender Ruhe und Entwicklung durchaus auf die eine oder andere Überraschung gefaßt sein, die auch den Einsatz als simpler Wellnessklangteppich verhindert, obwohl sich über weite Strecken der Musik durchaus ein friedlicher Gestus legt. Auch in "Hopeless Dreamer" fließt die Musik erstmal eine reichliche Minute dahin, bevor Drummer Kostya Shepelenko plötzlich einen vorwärtsdrängenden Beat im relativ treibenden Midtempo einwirft und den Song damit eindeutig in die Melodic-Rock-Ecke schiebt, in der er dann auch bis zu seinem Ende bleibt, trotz gewisser Tempovariabilität. Hier finden sich auch die markantesten Beiträge eines Neuzugangs im Kalugin-Kosmos: Olha Rostovska bereichert Karfagen nicht nur optisch (das Foto im Booklet zeigt eine äußerst attraktive Blondine), sondern steuert hier Gesangsdialogpassagen mit Kalugin bei, die noch ein wenig herausstechender hätten produziert werden können, aber auch so schon ein interessantes Element darstellen. Den Eindruck von "7" als Gesamtwerk unterstreicht der Umstand, daß Themen aus "Seven Gates" auch in "Alight Again" nochmals verarbeitet werden. Diese Nummer hat zugleich den massivsten Refrain, in dem doomige Gitarren mit bombastischen Keyboards und dem wie fast immer eher zurückhaltenden Leadgesang wetteifern, wobei die Härte aber wie erwartet auf der Strecke bleibt und die ruhig fließende Bewegung den weiteren Song dominiert. Damit sind wie bei 52 Minuten Gesamtspielzeit angekommen, was den mathematischen Schluß zuläßt, daß die eingangs erwähnte Edited Version von "Seven Gates" immer noch 15 Minuten dauert und nicht etwa auf eine single- oder eben radiokompatible Länge zusammengestaucht wurde. Der Gesang setzt hier "schon" nach acht Minuten ein, und nach einigen wenigen Takten Einleitung hören wir gleich eines der zentralen Gitarrenthemen, das aber bald einem markant verschobenen Grundrhythmus Platz macht und auch dem Edit-Hörer klarmacht, daß er hier keine vergleichsweise leicht verdauliche Melodic-Rock-Kost geradliniger Bauart erwarten darf, sondern trotz allen grundsätzlich vorherrschenden friedlich-fließenden Charakters genauer hinhören muß und zudem gelegentlich einen aufgetürmten Bombastberg zu besteigen hat. In den 13 herausgeschnittenen Minuten freilich dominieren die ruhigen Passagen, so daß die Edited Version unterm Strich doch einen leicht zupackenderen Charakter aufweist als die Vollversion. Die Tanz- und Folkpassagen aber gibt es auch hier, und die grundsätzliche Klang- wie Stimmungsvielfalt bleibt in ihren Grundfesten unangetastet, so daß sich der Edit als kompaktere Einstiegsversion in die Karfagen-Klangwelt anbietet, wenngleich auch er mit seiner Viertelstunde noch genügend Aufmerksamkeit verlangt. Wer am Progrock gerade das akustische Flächenbombardement nicht schätzt, aber nicht auf Anspruch verzichten will, der könnte mit diesem ukrainischen Klangzeugnis gut bedient sein.
Kontakt: www.antonykalugin.net, www.caerllysimusic.com

Tracklist:
Seven Gates
Now And Ever
Hopeless Dreamer
Alight Again
Seven Gates (Edited Version)
 




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