www.Crossover-agm.de GLENN HUGHES: Live In Australia
von rls

GLENN HUGHES: Live In Australia   (Thompson Music/Edel)

Braucht die Welt noch ein weiteres Livealbum von "The Voice Of Rock" Glenn Hughes? Eine Frage, die angehörs eines unübertreffbaren Meilensteins wie "Burning Japan Live" und des kaum schwächeren "Soulfully Live In The City Of Angels" zunächst mit einiger Berechtigung gestellt wird, als Antwort aus zwei Gründen aber ein deutliches "Ja" erfährt. Erstens halten sich die Songüberschneidungen von "Live In Australia" mit den beiden vorgenannten Alben in Grenzen (es sind jeweils vier Songs identisch, drei mit beiden Alben und dann noch jeweils ein anderer dazu), was im Umkehrschluß acht Neulinge in der Tracklist des Albums bedeutet. Und zweitens handelt es sich nicht um einen regulären Rockgig, sondern um eine Akustikperformance, die sich zudem auch noch von den gängigen MTV Unplugged-Schemata abhebt. Drums oder Percussion gibt es nämlich nicht nur keine verstärkte, sondern überhaupt keine zu hören - statt dessen hat Glenn Hughes ein Streichquartett verpflichtet, das über Songs wie das Moody Blues-Cover "Nights In White Satin" einen titelgemäß passenden, wenngleich anfangs etwas gewöhnungsbedürftigen Schleier legt, im folgenden "Last Mistake" aber beispielsweise nur tupferartig zum Einsatz kommt und daher nie Gefahr läuft, die Songs völlig zuzukleistern, wie mancher Purist nach "Nights In White Satin" befürchtet haben wird. "Last Mistake" stellt auch Hughes' langjährigen Kompagnon JJ Marsh in den Vordergrund, der ein schönes Akustikgitarrensolo abliefert, das nicht nur stilistisch, sondern auch qualitativ nicht weit von Michael Schenkers Glanztaten entfernt anzusiedeln ist. Hughes selbst muß in diesem Song gleichzeitig Gitarre und Keyboards gespielt haben, denn unter besagtem Solo liegen parallel einzelne Akkorde einer anderen Akustikgitarre (oder eines Akustikbasses), aber auch einige Hammondteppiche - ein Instrumentenkünstler ist der Mann also auch noch. Daß sein Spitzname "The Voice Of Rock" nicht von ungefähr kommt, hat er ja auf zahllosen Alben bereits bewiesen, und im Alter scheint seine Stimme gar immer wandlungs- und strapazierfähiger zu werden - auch dieser Livemitschnitt hier enthält einige extreme Schreie oder Falsettpassagen, die man in seinem Alter erstmal hinbekommen muß ("This Is How I Feel" kurz vor Minute 4 als Exempel). Durch den stark reduzierten musikalischen Hintergrund steht die Stimme im Akustikset naturgemäß noch stärker im Mittelpunkt als sonst, aber der Meister zeigt sich dieser Aufgabe mehr als gewachsen, drückt allen Songs seinen Stempel auf und macht sich selbst die original nicht von ihm gesungenen Lieder zueigen, als habe er sie schon seit Jahrzehnten im Repertoire. Die eindrucksvollste Leistung liefert er wohl bei "Mistreated" ab - den Deep Purple-Klassiker hatte er auf "Soulfully ..." schon als Rockvariante interpretiert, die sich mit den Versionen Whitesnakes, Rainbows und natürlich Deep Purples durchaus messen konnte; ihn aber als elfminütige Akustikversion zu bringen muß man sich erstmal trauen. Hughes hat's getan und gewonnen, denn hier wird die immense Wandlungs- und Leistungsfähigkeit seiner Stimme wohl am deutlichsten und führt dazu, daß man nichts, aber auch gar nichts zu vermissen gedenkt, was die sparsame Instrumentierung nicht aufzufahren gedenkt. "Sparsam" sollte allerdings nicht mißinterpretiert werden, denn das Streichquartett füllt zumindest einige Passagen sehr dicht auf (im ersten Solo von "This Is How I Feel" gar so dicht, daß selbst die solierende Akustikgitarre beinahe überdeckt wird), und ein paar kleine gute Einfälle werten das Ganze noch mehr auf - dazu gehört der bereits erwähnte punktuelle Keyboardeinsatz (laut Booklet übrigens von JJ Marsh, aber sollte der tatsächlich in "Last Mistake" zum Gitarrensolo Keyboards gespielt haben? Oder hat gar nicht er dort soliert, sondern Hughes selbst? Eine ähnliche Frage muß auch noch bei "Mistreated" gestellt werden), aber auch die Gitarrenstimmung in einzelnen Phasen von "This Is How I Feel", die doch tatsächlich das Feeling von Led Zeppelin-Akustikballaden hervorruft. Man muß allerdings auch festhalten, daß das eine oder andere Arrangement durchaus noch spannender hätte gestaltet werden dürfen. Wenn man das Streichquartett schon in den Procul Harum-Klassiker "Whiter Shade Of Pale" einbezieht, hätte man es nicht unbedingt die Akkorde der Hammondorgel repetieren lassen müssen, wie es phasenweise geschieht (der Gerechtigkeit halber sei aber angemerkt, daß diese Version trotz allem noch jede Menge Hörspaß macht). Generell geht das Album etwas schwerfällig los - die Akustikversion von "Coast To Coast" ist nicht ganz so mitreißend, wie man sich das an dieser Setposition gewünscht hätte, und der folgende Oldie "I Found A Woman" hebt die Stimmung auch noch nicht weit genug - dafür sorgt erst der nächste Oldie, nämlich Deep Purples "This Time Around", und dann geht's eigentlich nur noch nach oben, von einem kleinen Durchhänger bei "Frail" und "The Divine" abgesehen, die offensichtlich noch zu neu waren, daß sie das australische Publikum schon intensiv kennen und schätzen konnte (das zugehörige Album "Music For The Divine" wurde erst relativ kurz vor dem Mitschnitt dieses Gigs veröffentlicht). Dafür singt das nicht gar zu vielköpfige Häuflein im Kultclub "The Basement" in Sydney "Mistreated" fleißig mit, bedenkt das Streichquartett mit viel Applaus und tobt endgültig, als zu "Gettin' Tighter" noch Jimmy Barnes (in einem pyjamakompatiblen Oberhemd übrigens) als Gastsänger auf der Bühne erscheint - der Mann ist, obwohl schottischer Herkunft, in Europa kaum bekannt, wohingegen sich seine Soloalben wie auch die Werke mit seiner legendären Band Cold Chisel auf dem Känguruhkontinent so gut verkaufen wie Erfrischungsgetränke in der dort reichlich vorhandenen Wüste. Seine Reibeisenstimme kontrastiert hervorragend zum trotz aller Wandlungsfähigkeit immer markanten Organ Hughes' (man höre die kurze schöne Duettpassage kurz vor Schluß!) und macht "Gettin' Tighter" zu einem unter etlichen Höhepunkten dieser knapp 77minütigen CD. Wer statt dessen zur gleichnamigen DVD greift, bekommt (neben dem Bild natürlich) noch einen Livesong dazu, nämlich "This House", das in der Setlist zwischen "Last Mistake" und "Frail" stand und schlicht und einfach längentechnisch nicht mehr auf die CD gepaßt haben dürfte; außerdem sind noch Videoclips zu "Monkey Man", "This House" und "The Divine" zu betrachten. Außerdem können die DVD-Besitzer vermutlich noch das Rätsel um Lachlan Doley lösen, denn ein Mensch dieses Namens ist unter "Vocals" in der Besetzungsliste mit genannt (wohingegen bei Hughes skurrilerweise nur "Guitar, Bass" steht, obwohl es eindeutig er selbst ist, der hier singt, was die Bookletfotos auch nahelegen). Dem CD-Besitzer wird dieses Phänomen verborgen bleiben, aber die 77 Minuten bieten auch so genug Anreize für ein interessantes und originelles Hörerlebnis. Für Hughes-Einsteiger ist zwar nach wie vor "Burning Japan Live" zu empfehlen, aber wem im Rockbereich musikalisches Können, Spielfreude und Witz wichtiger sind als das Beharren auf einer gewissen Grundhärte, dem sei "Live In Australia" ans Herz gelegt - und dem Hughes-Fan, der ja auch sonst ein gewisses Stilsprungvermögen aushalten muß, sowieso.
Kontakt: www.edel.com, www.glennhughes.com

Tracklist:
Coast To Coast
I Found A Woman
This Time Around
Nights In White Satin
Last Mistake
Frail
The Divine
This Is How I Feel
Whiter Shade Of Pale
Mistreated
Soul Mover
Gettin' Thighter
You Keep On Moving



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