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HOURGLASS: Oblivious To The Obvious
von rls

HOURGLASS: Oblivious To The Obvious   (Eigenproduktion)

Eine 140minütige Doppel-CD als Eigenproduktion zusammenzuschrauben und zu veröffentlichen erfordert eine Großpackung an Fanatismus und Hingabe, und mit Hilfe von Aufnahmetechniker Tony Korologos haben Hourglass wirklich alles in Eigenregie gestemmt - selbst die optische Gestaltung blieb "in der Familie", denn die für diese Komponenten verantwortlich zeichnende Rachel Dunston dürfte verwandtschaftliche Beziehungen zu Drummer John Dunston pflegen. Die meiste Arbeit hatte allerdings Gitarrist Brick Williams als wichtigster Komponist, Fast-Allein-Texter und Produzent des Albums - und damit kann er sich eine wahre Großtat gutschreiben lassen, nicht nur in voluminöser, sondern auch in qualitativer Hinsicht. Hourglass spielen nämlich äußerst ideenreichen, aber nachvollziehbaren Progmetal, der seine Vorbilder in den Dream Theater-Alben "Images And Words" und "Awake", ganz besonders aber im Song "A Change Of Seasons" findet und sich auch in qualitativer Hinsicht durchaus nicht verstecken muß. Freilich: 2009 (in diesem Jahr erschien das vorliegende Monumentalwerk) ist das Überraschungspotential deutlich geringer ausgeprägt als noch 1992, 1994 oder 1995, als die drei genannten Werke das Licht der Welt erblickten, aber dafür können Hourglass natürlich nichts, und wenn das eben die Sorte Musik ist, die sie gerne spielen möchten, dann ehrt es sie, wenn sie das auch anderthalb Dekaden später noch mit Stolz tun, anstatt krampfhaft zu versuchen, neue Wege zu gehen. Und sie sind auch keine Dream Theater-Kopisten; für Unterscheidungspotential sorgt vor allem Michael Turners Gesang. Der Glatzkopf kann exakt wie James LaBrie in dessen Normalstimmlage klingen, wenn er will, aber das angerauhte Element LaBries fehlt ihm, wohingegen er sich bisweilen in eine sanftere Richtung bewegt, die manchmal ganz leichte Anklänge an Toxic Smiles Larry B. erkennen läßt (höre "Homeward Bound"), mit dem er übrigens auch die Frisur teilt. Außerdem unterscheiden sich die Arrangements und Klangfarben der Backing Vocals bei Hourglass deutlich von denen bei Dream Theater, statt dessen taugen viel besser wieder mal Toxic Smile als Vergleich, wenn Basser Robert Brenner dort als Zweitstimmengeber fungiert. Diesen Job nimmt bei Hourglass interessanterweise ebenfalls der Bassist ein, der allerdings Eric Blood heißt und sich auch optisch deutlich von Robert unterscheidet. Aber um dem Faß den Boden endgültig auszuschlagen: Besagtes "Homeward Bound" hätte auch perfekt ins Repertoire von Toxic Smile gepaßt, wobei man denen zumindest in ihren früheren Tagen sowieso eine gewisse Dream Theater-Lastigkeit nachsagte, die sich auf den jüngeren Werken allerdings deutlich relativiert hat. Wer mit dieser gewonnenen Eigenständigkeit Toxic Smiles und der sowieso in ganz andere Richtungen verlaufenen Entwicklung Dream Theaters nicht glücklich ist, bekommt mit "Oblivious To The Obvious" jedenfalls eine perfekte Ersatzdroge vorgesetzt, und das wie eingangs erwähnt auch noch in riesiger Menge. Interessanterweise besteht das Doppelalbum aus gerade mal zehn Songs, von denen der 30minütige Titeltrack noch in fünf Teile untergliedert ist. Von den anderen neun erreichen gerade mal drei die Zehnminutenmarke nicht, wobei dem erwähnten "Homeward Bound" lediglich zwei Sekunden fehlen und auch "Skeletons" mit 6:58 min und "Estranged" mit 7:05 min nicht gerade als kurz einzustufen sind, selbst für Progverhältnisse nicht. Hourglass geben der Entfaltung von Ideen und Stimmungen viel Zeit und unterscheiden sich darin beispielsweise von der gängigen Mathcore-Herangehensweise, die gleiche Anzahl an Ideen nicht in zehn, sondern in zweieinhalb Minuten verarbeiten zu wollen. Natürlich braucht man Zeit und Muße beim Hören von "Oblivious To The Obvious", aber das Album lohnt die investierte Mühe reichlich, und wer Spaß an solchen Dingen hat, kann auch mal die Drumwirbel John Dunstons mit denen von Mike Portnoy in "A Change Of Seasons" vergleichend analysieren oder die Baßleads von Eric Blood in "Homeward Bound" mit gleichartigen Elementen aus dem Schaffen Robert Brenners. Zu entdecken gibt es in den 140 Minuten jedenfalls reichlich, und das auch noch in allen möglichen Stimmungsvarianten vom wilden Gefrickel bis zur entspannten Ballade. Daß Hourglass aber auch das Genre der spannenden Ballade beherrschen, zeigen sie im Aufbau des knapp viertelstündigen "Facade", das die zweite CD eröffnet (auf diesen Spannungsaufbau wären auch Riverside stolz), und daß sie notfalls auch ohne einen Sänger noch hervorragende Ergebnisse zu erzielen in der Lage wären, demonstriert neben der dreiminütigen Einleitung des Openers "On The Brink" auch das zehnminütige Instrumental "Delirium". Aber Michael Turner ist schon ein Könner und zweifellos als Trumpf einzustufen - das äußerst emotionale fünfeinhalbminütige Pianoballadenintro zum zwölfminütigen "Faces" sollte auch den letzten Zweifler von seinen Fähigkeiten überzeugen, wenngleich der eine oder andere Hörer ihm vielleicht die dort zu hörenden "Abschneidungen" mancher ausgehaltener Töne nach hinten hin ankreiden wollen würden. Und auch die Einpassung der Backings im flotten Schlußteil funktioniert an ein, zwei Stellen nicht ganz richtig. Dafür schneidet die Gitarre von Brick Williams nach Minute 7 jede Herzklappe durch. Sollte jemand auch noch fremdländische Einflüsse serviert bekommen wollen, wäre "Pawn II" ein geeignetes Menü. So findet eigentlich fast jeder Prog-Hörer in diesen 140 Minuten sein persönliches Nonplusultra, von der Fraktion "Ich will's aber trotzdem kompakt" vielleicht mal abgesehen. Daß Hourglass auch das können, wenn sie wollen, haben sie mit zwei unter fünfminütigen Songs auf dem 2004er Albumvorgänger "Subconscious" bewiesen. Waren die ersten drei Alben jeweils auch schon über eine Stunde lang und erschienen im Zweijahrestakt, so ist mit den fast zweieinhalb Stunden Material von "Oblivious To The Obvious" in einer Entwicklungszeit von fünf Jahren auch noch das durchschnittliche Arbeitstempo ungefähr identisch geblieben. Lange Rede, kurzer Sinn: Für Freunde der frühen Glanztaten von Dream Theater und Toxic Smile ist ein Anchecken von Hourglass definitiv Pflicht, und wenn man sich "Oblivious To The Obvious" beispielsweise via www.hellionrecords.de zulegt, kann man auch gleich die nicht weniger reizvollen Prog-/Epicmetaller The Hourglass aus Syrien mit in den Einkaufskorb legen.
Kontakt: www.hourglassband.com

Tracklist:
CD 1:
On The Brink
Homeward Bound
Pawn II
Faces
38th Floor

CD 2:
Facade
Skeletons
Estranged
Delirium
Oblivious To The Obvious:
  Part 1 - No Chance
  Part 2 - Realization
  Part 3 - Remember Me
  Part 4 - In My Hands
  Part 5 - Redemptions


 



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