www.Crossover-agm.de GAMMA RAY: Lust For Live
von rls

GAMMA RAY: Lust For Live   (EarMusic)

Livematerial von Gamma Ray aus der Ära mit Ralf Scheepers am Mikro existiert ja durchaus einiges, allerdings wurde es eher entlegen strukturiert veröffentlicht. Schon auf der ersten Japantour nach dem exquisiten Debütalbum "Heading For Tomorrow" liefen die Maschinen mit, und das Ergebnis erschien als Video "Heading For The East". Auch die 1993er "Melodic Metal Strikes Back"-Tour, konzipiert mit Rage als Co-Headliner sowie Conception und Helicon als Supportacts, wurde mitgeschnitten und erschien 1994 als Doppel-CD-Box "Power Of Metal" mit etwa einer Stunde Material pro Headliner und etwas weniger pro Support. Im Jahr zuvor war der Albumdrittling "Insanity And Genius" veröffentlicht worden, nach dem etwas orientierungslos wirkenden Zweitling "Sigh No More" wieder ein klares Bekenntnis zum melodischen Speed Metal, den man vom Debüt und natürlich auch von Kai Hansens Ex-Band Helloween kannte und schätzte. Offensichtlich brannte die Band darauf, das neue Material und zugleich die neue Rhythmussektion aus Bassist Jan Rubach und Drummer Thomas Nack auch live vorzustellen - so setzte man im heimatlichen Hamburg am 25. September 1993 einen Einzelgig an, der zugleich der Vorbereitung auf die genannte Tour mit Rage, Conception und Helicon dienen sollte, und auch dieser wurde mitgeschnitten und abermals als Video unter dem Titel "Lust For Live" veröffentlicht. 23 Jahre später erscheint dieses Material nun auch als Audio-CD und bietet allen Sammlerpuristen, die sich von Videos und DVDs (als solche war das Video zwischenzeitlich schon mal re-releast worden) fernhalten, eine Komplettierungsmöglichkeit auf diesem Medium.
Zwölf Tracks enthält die CD, die beiden letzten sind als Bonustracks gekennzeichnet und waren auf dem Video noch nicht enthalten, wohl aber auf der DVD-Fassung. Dafür fehlt der Audio-CD der Interview- und Feature-Teil, der weiland zwischen die Livetracks geschnitten worden war. Das ist freilich kein großer Verlust, sondern tendenziell ein Gewinn, denn so bekommt der Hörer viel eher ein klassisches Livealbum vorgesetzt, auch wenn die konkrete editorische Situation immer noch unklar bleibt, da nach dem ersten Bonustrack "Dream Healer/Heading For Tomorrow" eine Komplettausblendung erfolgt und der zweite Bonustrack neu eingeblendet wird, also eventuell tatsächlich als letzte Zugabe, vielleicht aber auch irgendwoanders im Set gespielt wurde. Die eher geringe Spielzeit von 57 Minuten läßt es möglich erscheinen, daß auch mit den beiden Bonustracks immer noch nicht der ganze Gig erfaßt ist, aber das können wohl nur die Dabeigewesenen endgültig beurteilen - der Rezensent, der in seinem ganzen bisherigen Leben noch nie Hamburger Boden betreten hat, zählt nicht zu diesem Personenkreis und sah Gamma Ray erst im Folgejahr 1994 erstmals live, nämlich in Halle als Support von Manowar. Den Headlinergig der "Insanity And Genius"-Tour im gleichen Jahr in Leipzig hingegen verpaßte er und erlebte erst denjenigen im Folgejahr zum nächsten Album "Land Of The Free" mit - aber da sang schon nicht mehr Ralf Scheepers, sondern Kai Hansen himself, der wiederum am besagten 25. September 1993 erstmalig seit alten Helloween-Tagen wieder live Leadvocals übernommen hatte, nämlich bei "Heal Me". Das ist einer von sieben Tracks des aktuellen Albums, die in die Setlist übernommen wurden - es fehlen lediglich das düstere "The Cave Principle", die Ballade "18 Years", das von Dirk Schlächter vokalisierte "Your Turn Is Over" und der Closer "Brothers", also überwiegend untypischere Tracks, während das Gros der klassischen Melodic-Speedster den Weg auf die Bühnenbretter fand. Daß, wie Hansen auch in den Liner Notes beschreibt, die Band damals förmlich auf einer Euphoriewelle ritt, wird deutlich, wenn man bemerkt, daß die Liveversionen teilweise noch schneller ausfallen als die Studiofassungen und gerade das Birth-Control-Cover "Gamma Ray" so nochmal einen Härteschub gewinnt, aber auch ein Hyperspeedie wie "Future Madhouse", der eigentlich kaum noch sinnvoll steigerbar erscheint, eben doch das letzte sinnvolle Quentchen mehr Druck eingepflanzt bekommt. Selbiger Song ist nahtlos an seinen Vorgänger angeschlossen worden - ein Helloween-Medley aus "I Want Out", "Future World" und "Ride The Sky", und an den rabiaten letzteren schließt "Future Madhouse" perfekt an. Apropos "Future World": Auf der "Live In The UK"-Scheibe hatte Hansen diesen Song ja mit einem markanten Grieg-Zitat (der Bergkönig, genau) eingeleitet, und dieses erklingt auch hier - aber schon eher, nämlich in "Changes" als Bindeglied zwischen dem langsameren ersten und dem schnelleren Schlußteil. Dieser Song wiederum ist einer von anderthalb, den "Sigh No More" für den konservierten Setteil stellt - der halbe ist, wie der Kenner der Bandgeschichte weiter oben schon festgestellt hat, das konglomeratartig in "Heading For Tomorrow" eingebundene "Dream Healer", und als letzte Zutat fehlt noch "Space Eater" vom Debüt, während der Quasi-Titelgeber, nämlich der Debütopener "Lust For Life", kurioserweise entweder gar nicht gespielt oder, falls doch, dann nicht minder kurioserweise nicht mit auf die Konserve übernommen wurde. "Space Eater" zeigt, daß Scheepers auch in Tiefen singen kann, die man sonst gar nicht von ihm gewöhnt ist - in den Helloween-Tracks schlägt er sich aber genauso prima, selbst wenn er im Übereifer in "Ride The Sky" schon mal früher nach oben gleitet als vorgesehen. Und auch Thomas Nack verzeiht man seinen Übereifer gern - Doublebass und Snare entfalten derart viel Druck, wie man es von keiner anderen Gamma-Ray-Liveaufnahme kennt, schrauben aber dadurch auch den Spielfreudefaktor in unerreichte Höhen. Wer den genannten "Power Of Metal"-Livesilberling besitzt, der ja die gleiche Periode abdeckt, wird feststellen, daß im Direktvergleich dort schon eine Art kontrollierter Routine (natürlich trotzdem auf sehr hohem Niveau und mit immer noch jeder Menge Spaß in den Backen) eingezogen ist und das Material von "Lust For Live" daher auch dann eine Entdeckung lohnt, wenn man die andere (allerdings heute eher seltene) Scheibe schon besitzt. Man muß nur die Enttäuschung verdauen können, daß das Backcover mehr als 80 Minuten Musik verspricht und auf der CD dann nur 57 drauf sind ...
Kontakt: www.gammaray.org, www.ear-music.net

Tracklist:
Intro
Tribute To The Past
No Return
Space Eater
Changes
Insanity And Genius
Last Before The Storm
Heal Me
I Want Out/Future World/Ride The Sky
Future Madhouse
Dream Healer/Heading For Tomorrow
Gamma Ray



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