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von ta

FISH: Return To Childhood - Live   (Snapper/SPV)

Eine Regularität und ein Kuriosum: Auf zwei CDs verteilt präsentiert Fish Songs aus unterschiedlichen Phasen seines Schaffens. Mit Selbstverständlichkeit enthalten ist die Darbietung einiger Stücke aus der Solo-Karriere des Mannes, der bis 1989 bei den Briten Marillion hinter dem Mikro stand, CD 1 vollzieht diese Darbietung. Bei differenziertem Sound, der jedes Instrument klar hören lässt, mit tatkräftiger Unterstützung einiger Blechbläser und einer Gastsängerin, mit einer verspielten, versierten Band im Rücken - und natürlich der unverwechselbaren hohen, weichen Stimme von Mr. Derek W. "Fish" Dick himself. Dass der abwechslungsreiche Prog Rock des Meisters, der sowohl poppige als auch hardrockige Sphären streift, einen Hör wert ist, muss hier nicht weiter thematisiert werden. Dass das Ganze am Ende ein Live-Album sein soll, ist nur eine Randbemerkung wert: Die Fans sind während der Songs quasi gar nicht, dazwischen in lediglich bescheidener Lautstärke zu hören, Sound und Instrumentierung haben ohnehin Studiocharakter. Aber sei's drum, der Fisher wird seine Freude dran haben.
Und das Herzstück des Doppel-Live-Albums ist ohnehin etwas anderes, nämlich CD 2. Nicht nur, dass diese mit 71:33 min fast zwanzig Minuten länger als CD 1 ausfällt, sie gab "Return To Childhood" auch seinen Namen: "Misplaced Childhood", das Marillion-Erfolgsalbum von 1985, wird in voller Länge gespielt und um einige weitere Bonus-Songs von Marillion aus der Fish-Ära ergänzt, die da wären "Incommunicado", "Market Square Heroes" und "Fugazi". Ein Track des dem "Misplaced Childhood"-Album ebenbürtigen Marillion-Debüts "Script For A Jester's Tear" ist da wohl das Einzige, was zum Glück des Marillion-Fans der ersten Ära fehlt. Wirklich? Der Rezensent hätte da ein paar Gegenbehauptungen, die das ganze Programm einer Regenerierung eines zwanzig Jahre alten Werks in CD-Form betreffen:
1. "Misplaced Childhood" wurde kurz nach VÖ bereits mit einem Live-Album geadelt, das an Intensität sogar das Albumoriginal übertroffen hat. Weswegen braucht man das gesamte Album nun noch in einer dritten Fassung allgemein bzw. in einer zweiten Fassung live?
2. "Misplaced Childhood" hat in den 80ern seine endgültige Form erreicht. Jeder Fan, der das Album von daher kennt, hat es sich nämlich in der damals vorliegenden Form und keiner anderen als dieser Form angeeignet (man bedenke auch, dass gerade das durchgängige Konzept des Albums zur intensiven Beschäftigung und Aneignung geradezu aufforderte). Eine Neuauflage kann entweder diese Form so originalgetreu wie möglich kopieren und ist dann im Live-Erlebnis Nostalgie und auf einem Album sowohl Nostalgie als auch überflüssig (weil ja altbekannt) - oder die Neuauflage weicht so bewusst vom Original ab, dass ein quasi neues Album oder ein neuer Kontext für ein altes Album entsteht (Pain Of Salvation haben das auf ihrem "12:5"-Akustikalbum mustergültig vorgeführt).
3. Beides ist hier nicht passiert: Über weiteste Strecken wurde die Leitlinie von 1985 beibehalten, die instrumentale Gestaltung und der Gesang bewegen sich also sehr nah am Original. Einige Freiräume, besonders in den ruhigen Momenten, wurden aber für Abweichungen genutzt, diese wiederum bleiben jedoch denkbar vage: Da wird hier mal ein wenig mehr Spielerei auf der Clean-Gitarre veranstaltet ("Kayleigh"), da werden dort mal einige Vokale überakzentuiert (Sprechteil von "Bitter Suite"); auffälligste Abweichung ist die Einbindung der bereits auf CD 1 zu hörenden Gastsängerin, die einige Refrains mit zweiter Stimme versieht, ohne allerdings brauchbare eigene Akzente zu setzen. Als nicht gelungen muss so etwas wie der Gospel-artige Ausklang von "Heart Of Lothian" bzw. Übergang in "Waterhole" bewertet werden: Hier wird eins der wichtigsten, schwermütigsten Arrangements des Albums verhunzt. Wenn schon Abweichungen, dann doch bitte konsequent (der ganze Song ist ansonsten in seiner traditionellen Form erhalten geblieben) - und nicht so singulär, dass nur der Eindruck entsteht, hier würde alter Wein in neue Schläuche verpackt. Dass die Stimme von Fish selbst sich über die Jahre kaum verändert hat, nur vielleicht etwas dunkler geworden ist, weiß man ja auch. Und dadurch wird das Projekt "Return To Childhood" noch ein wenig fragwürdiger, weil überflüssiger. (Der Fairness halber sei aber gesagt, dass das dem Promo-Exemplar nicht beiliegende Booklet laut Information der für die Werbung Zuständigen mit einem Artwork daherkommen soll, welches "das 20 Jahre alte Konzept des Originals in die Jetztzeit transportiert". Das wäre möglicherweise tatsächlich etwas substanziell Neues.)
4. Weswegen werden des Experiments wegen nicht ein paar Marillion-Songs der (seit 1989 bestehenden und so großartige Alben wie "Seasons End", "Afraid Of Sunlight" und "Marbles" gezeitigt habenden) Steve Hogarth-Ära dargeboten? Das dürfte doch jeden Fan von Marillion wie von Fish als dem ersten Marillion-Sänger interessieren.
5. Positive Aspekte, die allerdings in diesem Kontext eher eine Randfunktion übernehmen: Das Album bietet natürlich allerfeinste Musik, 1985er state of the (progressive) art, streckenweise zutiefst ergreifend ("Blind Curve" auch in der Fassung 2006 noch), melancholisch und melancholisch machend. Die Band ist natürlich spielerisch topfit. Der Sound ist, wie auf CD 1, klar, sauber. Und Fish singt noch immer toll.
Aber wie man es auch dreht und wendet: Letztlich ist das, was hier geboten wird, reine Nostalgie (mit einigen Abstrichen) und das heißt, dass der Rezensent es damit in CD-Fassung für nicht wirklich nötig hält. Nur wer beim Konzert selbst dabei war, wer "Misplaced Childhood" bzw. die Live-Fassung aus den 80ern noch nicht kennt und/oder wer ohnehin alles sammelt, was nach Marillion und Fish klingt, der kann hieran eine gewisse Nötigkeit entdecken; zumindest die zweite Personengruppe aber ist mit den zwanzig Jahre älteren Dokumenten besser beraten (das Album der Texte und die Livescheibe der Intensität wegen). In diesem Sinne ist "Return To Childhood" zur einen Hälfte eine gewöhnliche Live-Scheibe, eine Regularität, und zur anderen Hälfte Reproduktion von etwas Anderem, eine Reproduktion, die nicht ganz identisch, aber auch nicht substanziell anders ausfällt - ein Kuriosum ... das allerdings im Musikveröffentlichungszirkus unserer Zeit schon einen offiziellen Platz zugestanden bekommen hat, vergleichbare Veröffentlichungen gibt es nämlich schon zur Genüge. Was das Ganze freilich nicht sinnvoller macht.
Kontakt: www.the-company.com

Tracklist:
CD 1
1. Big Wedge
2. Moving Targets
3. Brother 52
4. Goldfish And Clowns
5. Raingods Dancing
6. Wake Up Call (Make It Happen)
7. Innocent Party
8. Long Cold Day
9. Credo

CD 2
1. Pseudo Silk Kimono
2. Kayleigh
3. Lavender
4. Bitter Suite
  (i) Brief Encounter
  (ii) Lost Weekend
  (iii) Blue Angel
5. Heart Of Lothian
  (i) Wide Boy
  (ii) Curtain Call
6. Waterhole (Expresso Bongo)
7. Lords Of The Backstage
8. Blind Curve
  (i) Vocal Under A Bloodlight
  (ii) Passing Strangers
  (iii) Mylo
  (iv) Perimeter Walk
  (v) Threshold
9. Childhood's End?
10. With Feather
11. Incommunicado
12. Market Square Heroes
13. Fugazi



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