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von rls

COSMONAUTIX: Energija   (Piranha Musik & IT)

Kosmonauten sind im osteuropäisch gefärbten Sprachgebrauch die Menschen, die im angloeuropäischen Sprachgebauch Astronauten heißen (wenngleich nicht alle Länder des westlichen Lagers diese Bezeichnung übernommen haben, sondern beispielsweise im Dänischen der Kosmonaut durchaus nicht unbekannt ist, wie uns ein Songtitel namens "Kosmonauten Er Död" beweist) und im Chinesischen als Taikonauten bezeichnet werden. Diese Cosmonautix hier jedenfalls kommen aus Berlin (aus Berlin!) und legen mit "Energija" ihr Debütalbum vor. "Balalaika Russian Speedfolk" steht als Stilbeschreibung auf der CD zu lesen, und das kann man bedenkenlos so stehenlassen, wenngleich neben der Balalaika auch die Geige eine tragende Rolle im Gesamtsound des Quartetts spielt und für eine Sorte Melodik sorgt, die nicht nur einmal an jiddisch-osteuropäische Vorbilder erinnert. Passenderweise ist Jiddisch auch eine der sechs (!) Sprachen, in denen sich die zwölf Songs artikulieren, wobei Englisch und Deutsch nur kurze Gastrollen spielen und neben den dominierenden Russisch und Ukrainisch (die der Laie phonetisch sowieso nicht voneinander unterscheiden kann) auch noch Slowakisch vorkommt. In analoger Gewichtung präsentiert sich auch die musikalische Komponente, die mit vielen Folk- und Polkaelementen stark osteuropäisch gefärbt ist, sich aber auch dem angloeuropäischen Einfluß nicht entzieht. Zwar kann man die im Infoblatt angekündigten Punkelemente mit der Lupe suchen und würde doch schwerlich fündig, aber in "Kiszka" zitieren die Berliner mal eben augenzwinkernd "No Limit!" von 2Unlimited und wandeln es in witzigen Folkdancefloor um, was bittebitte nicht zum neuen Trend werden möge, aber als Gimmick in diesem Song die Lachmuskeln strapaziert, wenn auch nicht ganz so stark wie die nicht zu schlagende Verballhornung des gesamten Songs von Osh (die sich den Spaß erlaubt hatten, die Aufforderung "Say: 'Yeah!'" mit einem herzlichen "No!" zu beantworten). Tanzbar ist die reichliche Dreiviertelstunde Cosmonautix-Energie aber zweifellos, zumal die Band das Tempo weitgehend hoch hält, aber im richtigen Moment auch mal herunterschaltet, um dem durchgeschwitzten Publikum zumindest kleine Ruhepausen zu ermöglichen. Heißt in diesem Falle praktisch: dreimal fast pausenloser Highspeed zum Auftakt, dann mit "Ej Uchnjem" ein Song mit düster-melancholischer erster Hälfte, der danach doch noch schneller wird, mit "Valenki" gar eine balladeske Einleitung, die dann aber schnell ins Speedige umschlägt, und mit "Misirlou" eine Herausforderung ans Rhythmusgefühl der Tänzer, denn hier werden geradlinige schnelle Passagen immer wieder von lang ausgespielten Breaks mit Halftime- oder anderweitig verschobenen Rhythmen unterbrochen, und an der richtigen Stelle muß man zudem das Tanzbein noch ganz stillhalten, um statt dessen mit gereckter Faust "Ras, Dwa, Tri" zu brüllen. An der Livetauglichkeit des Materials gibt es also nichts zu deuteln, aber solche interessanten Strukturen erlauben auch ein genußvolles Hören vor der heimischen Stereoanlage, ohne daß man deshalb sein Wohnzimmer umpflügen muß. Dabei entdeckt man dann auch noch ein paar weitere hübsche Details wie das Baßsolo in "Pidmanula" oder generell das dramatisch strukturierte "Gori Kaseki", eine alte Kriegsgeschichte aus der Zeit, als man noch zu Pferde in fremde Länder einfiel und die Dörfer niederbrannte, gesungen übrigens, was man anhand des Songtitels nicht vermutet hätte, in Deutsch und mit der Konklusion der Geschichte in erstaunlich moderne Gefilde überwechselnd. Von der Songauswahl her verarbeiten die Cosmonautix ausschließlich Fremdkompositionen, die sie in ihren typischen Stil umstricken. Zwei Drittel sind als Traditionals gekennzeichnet, ein Drittel trägt Composercredits, darunter der Hit "Dnepropetrovsk" und das jiddische "Rabejnu Tam" (mit der holländischen, aber aufgrund des Namens sicherlich osteuropäisch verwurzelten Shura Lipovsky als Gastsängerin). In nichtosteuropäischstämmigen Kreisen dürfte allerdings der leicht hymnische Closer "Dorogoj Dlinnoju" den größten Bekanntheitsgrad besitzen - unter dem Titel "Those Were The Days" stellt er einen der Unverzichtbar-Titel jedes Konzertes der Leningrad Cowboys dar. Im Gegensatz zu diesen, die in jüngerer Zeit immer metallischer wurden und live mit bis zu vier Gitarristen die Brechstange herausholten, kommen die Cosmonautix interessanterweise völlig ohne einen Gitarristen aus - ihre Instrumentierung beschränkt sich auf Drums, Baß, Balalaika und Geige, in "Poj, Igraj, Garmoschka" titelgemäß noch ergänzt um eine Garmoschka, also ein kleines Akkordeon, wie man es aus dem Geburtstagslied des Krokodils Gena kennt. Selbst wenn 44 Leningrad letzteres auf ihrem "Don Kilianov"-Album schon mal umgesetzt haben: Wäre doch auch ein heißer Tip fürs zweite Cosmonautix-Album ... Bis es soweit ist, muß man sich aber erstmal mit dem Debüt bescheiden, und das lohnt in der vorliegenden Form einen Check definitiv, wenngleich mancher potentielle Interessent, der die Band über eine Liveshow kennengelernt hat, die Konserve möglicherweise als etwas zu blutleer empfinden könnte und Schwierigkeiten haben wird, sich auf die genannte "Zweitverwendung" in der Stereoanlage einzulassen. Wer dazu aber in der Lage ist, der wird reich belohnt.
Kontakt: www.piranha.de, www.myspace.com/cosmonautixberlin

Tracklist:
Balalaika
Pidmanula
Kiszka
Ej Uchnjem
Valenki
Misirlou
Dnepropetrovsk
Rabejnu Tam
Gori Kaseki
Poj, Igraj, Garmoschka
Janoschko
Dorogoj Dlinnoju



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