www.Crossover-agm.de 44 LENINGRAD: Don Kilianov
von rls

44 LENINGRAD: Don Kilianov   (Eigenproduktion/Buschfunk)

In Analogie zu einer bekannten Kuhhirtenkapelle aus Finnland denken auch die Schußwaffenfanatiker aus Potsdam nicht daran, ihren Bandnamen der auch schon etliche Jährchen zurückliegenden Wieder-Umbenennung der namensgebenden Stadt anzupassen. Und der Verweis paßt auch musikalisch, denn man könnte "Don Kilianov" in einem Satz zusammenfassen: Wem die mittlerweile stark ausgeprägte Metal-Kante der Leningrad Cowboys nicht liegt, der dürfte mit 44 Leningrad eine erstklassige Ersatzcombo finden. Gegen gelegentliche Hardrockanflüge ist man allerdings auch auf "Don Kilianov" nicht geschützt, wie gleich "Luna Bluna" an zweiter Setposition deutlich macht, das allerdings in Umkehrung der Argumentfolge für den Rockfan der geeignetere Einstieg ist als der eigentliche Opener "Die Elektrische" mit seinem chansonartigen Touch und seinem ungewöhnlichen Sprechgesang von Bassist/Mandolinist/Baßmandolinist Theodor Dietmarjewitsch, der sein ungewöhnliches Hauptinstrument, also die Baßmandoline, auch stolz durch die Digipackfotos trägt, wo man im übrigen alle Bandmitglieder außer dem Neuzugang Romuald Leonin (Baß) in klassischer Winkelementmanier bewundern darf, die man, so man in der DDR sozialisiert wurde, auf etwas statischere Manier bei offiziellen Anlässen kennenlernen durfte oder mußte. Generell bleiben die französischen Elemente in den zwölf Songs allerdings an recht marginaler Position, es dominiert eindeutig der russische Bär (die Franzosen haben 1945 ja auch eine deutlich kleinere Besatzungszone eingenommen als die Sowjetunion - das kurze Instrumental "M.I.P. (Matrjoschkas in Paris)" hat seinerzeit keine politische Entsprechung gefunden), der sich allenfalls aus der Karibik vom befreundeten Brudervolk aus Jamaika, äh, Kuba noch ein paar Gallonen Rum in Gestalt von ein wenig Reggae in den selbstgebrannten Wodka hat gießen lassen. Russische Folklore auf modernisierte und partiell verrockte Art prägt die reichliche Dreiviertelstunde der CD, wobei der Rezensent nicht eindeutig feststellen kann, ob es sich ausschließlich um verleningradete Fremdkompositionen handelt oder ob da auch Eigengewächse herangezogen worden sind, wie es ja für russische Stadtbewohner typisch ist (selbst in einer Stadt wie Wladikawkas mit ihren 350000 Einwohnern hat jedes Haus einen kleineren oder auch größeren Vorgarten, in dem die Bewohner für die Eigenversorgung Kartoffeln anbauen); weder das Presseinfoblatt noch die CD geben diesbezüglich Informationen preis. Einige der Songs sind allerdings eindeutig als fremden Ursprungs kennzeichenbar, etwa "Glocken im Fluss", das auf eine alte russische Weise zurückgeht, die man auch von den ganzen Donkosaken-Formationen kennt und die hier natürlich etwas umgewandelt wird, aber das atmosphärische Versprechen des Intros durch die etwas konfuse Bauart der Umsetzung nicht ganz einlösen kann. Dafür entschädigt das folgende "Geburtstagslied", auch dieses eine Fremdkomposition, an deren originale Behandlung im Russischunterricht vor 20 Jahren sich der Rezensent noch erinnern kann und die hier in einer flotten, mitreißenden und einfach Spaß machenden Bearbeitung im Punkrockgewand zu hören ist (es geht inhaltlich um einen Protagonisten, der an einem trüben Regentag mit dem Akkordeon fröhlich über die Plätze seiner Heimatstadt läuft und auf die verwunderten Mienen seiner Mitmenschen, die sich wundern, warum man an so einem trüben Tag so fröhlich sein könne, entgegnet, daß er heute Geburtstag habe). Das Tempo behält auch das folgende "Morjak" bei, und das ist wohl der Song, der am besten auch auf ein Album der Leningrad Cowboys gepaßt hätte. Apropos Cowboys: Bläser gibt es im Line-up von 44 Leningrad auch, allerdings keinen Saxophonisten, sondern mit Hama Martinowitsch "nur" einen Trompeter, der in vier Songs noch Verstärkung durch den Gastposaunisten Stefan Frommberg erhält. Und die beiden machen ihre Sache richtig gut, so daß man etwa im Vorschlußteil von "Newa Ever" ein nahezu perfektes Zusammenspiel zwischen Trompete, Akkordeon und Balalaika belauschen darf - übrigens einem von nur zwei Songs, in dem deutscher Gesang zu belauschen ist, ansonsten intoniert sich die Sangesfraktion ausschließlich in Russisch oder irgendwelchen anderen slawischen Sprachen, die dem Russischen ähnlich sind. Ob da also auch noch Ukrainisch, Weißrussisch oder eine der 120 Sprachen, die man im Kaukasus spricht, dabei sind, kann der Slawistikkenner (denn nur der wird die Unterscheidung fertigbringen) anhand der CD oder eines der zahlreichen Liveauftritte zu ergründen versuchen. Überhaupt wird man während des Hörens der sauber produzierten 46 Minuten das Gefühl nicht los, daß das zwar auf CD schon Spaß macht, sich derselbe in der Livesituation aber noch potenzieren dürfte, wenngleich der schleppend-düster-epische kaukasische Closer "Bajuschki Baju" (so 'ne Mixtur aus "Sehnsucht" von Purple Schulz und Metallicas "One") seine sich von der kompletten restlichen Musik abhebende Stimmung wohl in der Konservenfassung besser reproduziert. Dafür ist mit "Abendgruß" der in Zukunft wohl unentbehrliche Closer eines jeden 44 Leningrad-Konzertes auf der CD enthalten - es handelt sich tatsächlich um eine jazzig-reggaeige Bearbeitung des Sandmann-Themas aus dem DDR-Kinderfernsehen (dessen Protagonist ja die politische Wende überlebt hat), die im positiven Sinne dem Wodkafaß den Boden ausschlägt. Kaufen, auf ein Konzert gehen und feiern!
Kontakt: www.44leningrad.net, www.buschfunk.com

Tracklist:
Die Elektrische
Luna Bluna
Oh Russland mein
Julitschka
M.I.P.
Glocken im Fluss
Geburtstagslied
Morjak
Newa Ever
Nicht der Wind
Abendgruß
Bajuschki Baju
 




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