www.Crossover-agm.de COMPLEX 7: Process
von ta

COMPLEX 7: Process  (Eigenproduktion)

Eine Band, die das Wort "komplex" in ihren Namen einbaut, wäre vermutlich anmaßend oder ironisch, wenn sie Grindcore oder Kuschelpop spielen würde. Complex 7 favorisieren keine der beiden Spielarten, fühlen sich im Genre des Progressive Metal stattdessen fühlbar wohl und invadieren auch nicht in Gebiete, die nicht unmittelbar mit dem Terminus "Progressive Metal" assoziiert werden, sieht man von bluesigen Ausflügen, wie sie den Soloteil von "Vicious Circle" schmücken, einmal ab und vergisst man auch einmal, dass progressiv sein auch anderes bedeuten kann/sollte. Auch Complex 7 stehen als Vertreter ihrer musikalischen Nische für die Emanzipation von in der Popularmusik vernachlässigten Taktarten ein, haben ein Faible für gewagte Harmonien (zweistimmiger Gesang auf Tritonusbasis (!), nachzuhören im Ausklang von "Trust") und kommen um das eine oder andere Kabinettstückchen der Technikschule nicht herum, sind aber demzutrotz zu den geradlinigen Vertretern ihrer Zunft zu zählen. Das liegt zum einen daran, dass der reine Instrumentalanteil zum mit Gesang unterlegten Teil in einem der Nachvollziehbarkeit adäquaten Mengenverhältnis steht, zum anderen daran, dass die Liedstrukturen - im Gegensatz zu den Arrangements - selten den aus 99% der U-Musik angewöhnten Rahmen überschreiten. Hinzu kommt, dass Complex 7 in Sachen Vertracktheit ihre Möglichkeiten gemäßigt und mehr oder weniger unauffällig wahrnehmen. OK, für den abartig coolen Rhythmus aus der dritten Minute von "Interactive" habe ich eine Weile gebraucht, aber das kann ja meinem begrenzten Horizont anzurechnen sein. Fakt ist zumindest, dass ein Stück wie das harte, mitreißend inszenierte, beinahe mitbrüllkompatible "Tired" mit einigen mathematischen Grundkenntnissen beinahe schon Banger-tauglich ist, auch, weil Complex 7 die Sechssaitige angenehm braten lassen. Und wo wir gerade beim Metal-Anteil von "Process" sind: Die versierte Rhythmusabteilung ist zuallererst nicht unter "Metal" einzuordnen. Basser Björn Müller, der durch die überaus transparente, sehr gelungene Produktion kontinuierlich gut zu hören ist, sorgt für viele spannungsvolle Harmoniefundamente und solistische Aufhorcher, auszugsweise nachzuvollziehen im Eingangsteil von "Trust", und Schlagzeuger Guido Schneider kommt fast vollständig ohne die Doublebass über die Runden, hinter der sich Metaldrummer so gerne verstecken, und erinnert stattdessen in verspielten Momenten gelegentlich an Mark Zonder von Fates Warning, mit denen auch Gitarrist Arne Schuppner vetraut sein dürfte, wie etwa der halbakustische Song "Nightbirds" nahelegt. Als Referenzquelle können die Amis um Jim Matheos trotzdem kaum herangezogen werden, allein, weil Complex 7 einen völlig anderen Umgang mit Melodien pflegen. Hier liegt nun auch der Knackpunkt von "Process": Wenn Sänger Norbert Vornam mit seiner prinzipiell recht wandlungsfähigen Stimme bellt wie ein Matthew Barlow (Ex-Iced Earth; die Nähe der beiden Stimmen ist wirklich phänomenal!), werden stampfende Songs auch vokalartistisch gut unterstrichen. Das bereits erwähnte "Tired" fällt eindeutig in diese Kerbe, über weite Strecken auch "Vicious Circle", selbst wenn hier die Instrumentalabteilung wirklich filigrane Arbeit abliefert. Mit ungekünstelter, "normaler" Stimme allerdings ist Vornam vor die Aufgabe expliziter, vordergründiger Melodiearbeit gestellt und macht stellenweise einen eher ernüchternden Eindruck, weil seine Melodien nicht richtig greifen, er auf seltsame Art und Weise für sich allein, von der Musik abgekoppelt zu singen scheint. Das Eröffnungsduo "Torn" und "Trust" leidet besonders unter diesem Makel, die Melodien klingen unspektakulär, zweitrangig, also auch nicht "abgefahren", sondern teilweise richtiggehend banal. Hinzu kommt, dass Vornams Angewohnheit, das Vibrato einen Halbton tiefer anzusetzen als dem harmonischen Unterbau gemäß wäre, für etwas Verwirrung bei mir sorgt, weil ich nicht einordnen kann, welchen Zweck das haben soll. Punkten wiederum tut er mit einigen hohen Schreien, die das komplexe "Interactive" noch um eine Spur beklemmender machen, was auch Sinn der Sache sein wird: "Interactive" ist eine kritische Betrachtung der Macht der Medien (die ja in der Öffentlichkeit ebenso oft erkannt wie wieder vergessen wird) und bildet zusammen mit "Toadstool", einer ebenso kritischen Betrachtung von selbsternannten Führungspersönlichkeiten (möglicherweise besonders religiösen, was eine Zeile wie "I'll save you from evil, just do what I say" vermuten lässt), die allerdings, obwohl gegen den grundsätzlichen Anspruch auf Mündigkeit des Individuums keine Beschwerdegründe vorliegen, etwas pauschal ausfällt, den einzigen Text, in dem allgemeine Aussagen getroffen werden. Alle übrigen Texte sprechen (sofern man sie nicht allzu weitläufig interpretiert) von persönlichen Erfahrungen, wobei einerseits ein finsteres Lebensbild gezeichnet wird, andererseits der Prozess einer Menschwerdung ersichtlich wird (in "Like I Was" etwa geht es um die ungesteuerte Abkapselung von der eigenen Identität, ein Thema, das mir persönlich in gewissem Sinne nahegeht), womit sich schlussendlich der Kreis zum Albumtitel schließt.
Summa summarum kann auch der eine oder andere anbitternde Beigeschmack die Suppe, die hier gekocht wird, nicht verderben. "Progress" ist ein gutes Prog-Album. Für neun Euro ist die knapp dreiviertelstündige Scheibe zuzüglich Postgebühren bei Complex 7, Björn Müller, Hinter der Höhe 4, 35080 Bad Endbach, Germoney zu erstehen, Interessenten können sich auch vorher einen visuellen Eindruck der Band unter www.complex7.de verschaffen. In dem Sinne: Viel Erfolg!

Tracklist:
1. Torn
2. Trust
3. Vicious Circle
4. Nightbirds
5. Toadstool
6. Like I Was
7. Tired
8. Interactive
 




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