www.Crossover-agm.de BÚC TUÒNG: Ngày Khác
von rls

BÚC TUÒNG: Ngày Khác   (Eigenproduktion)

Mit dem Gründungsjahr 1994 gehörten Búc Tuòng zu den dienstälteren Metalbands Vietnams und brachten in der Folgedekade ein Demo und drei reguläre Alben heraus, bevor sie 2006 ihr letztes Konzert gaben, das mitgeschnitten und unter dem Titel "The Last Saturday" auf Konserve veröffentlicht wurde. Aber lange haben sie es nicht in der musikalischen Abstinenz ausgehalten: 2010 kehrte die Band zurück und spielte mit "Ngày Khác" das nächste Studioalbum ein, das allerdings manchen Altanhänger zu verschrecken in der Lage sein dürfte. In der ersten Aktivitätsphase widmete sich die Band nämlich noch traditionellem Metal, während "Ngày Khác" deutlich moderner ausgefallen ist und zudem auch härtemäßig etwas zurückschaltet. Gerade Anhänger traditionell ausgerichteter Metalbands reagieren bei "Soundmodernisierungen" ihrer Lieblinge ja oft etwas empfindlich, was in den 90ern so mancher amerikanischer und europäischer Band mit lautem Knacken das Genick gebrochen und sie in der Versenkung verschwinden lassen hat, bevor nicht wenige von ihnen nach der Jahrtausendwende wieder auftauchten, nun allerdings zumeist wieder der traditionellen metallischen Lehre frönend. Ob auch Búc Tuòng eine ähnliche Entwicklung nehmen werden oder es schaffen, genügend neue Anhänger zu finden und damit den zu erwartenden gewissen Aderlaß der alten zu kompensieren, bleibt abzuwarten. Immerhin hat das Quintett nun nicht alle seine alten Gepflogenheiten über Bord geworfen: Speziell den Gitarristen hört man ihre traditionsmetallische bzw. klassisch-hardrockige Prägung schon noch deutlich an, sie wissen noch genau, wie man das Wort "Gitarrensolo" buchstabiert, und auch im melodischen Bereich entfalten sie eine Vielseitigkeit, die man von vielen anderen Vertretern im heutigen Modern Rock so nicht kennt. Das reicht dann durchaus mal so weit, daß "Cho Buoc Chan Em Di" an dritter Position der CD, über einem breit schwingenden Dreiertakt angesiedelt, phasenweise fast an klassischen, leicht angedüsterten Epic Metal (oder epischen Düstermetal, wenn man so will) erinnert. Kurioserweise liefert auch der Sänger mit seinem bisweilen etwas klagenden Organ ein Indiz für eine gewisse Traditionsverhaftung der Band: An einigen Stellen, etwa in "Choi Trau", fühlt man sich ein wenig an Ex-Arija-Sänger Waleri Kipelow erinnert, wobei über dessen Bekanntheitsgrad in Vietnam hier nicht spekuliert werden soll. Der einzige Faktor, der viele der Songs deutlich in die modernere Richtung drückt, ist die Schlagzeugarbeit - um diese These aufzustellen, genügt schon ein Hineinhören in wenige Sekunden des Openers und Titeltracks, und nach Durchlauf der 56 Minuten fühlt man sich bestätigt. Wenigstens arbeitet der Schlagzeuger zumeist durchaus songdienlich, an einigen Stellen aber selbst für Modern-Rock-Verhältnisse zu hektisch - weniger ist manchmal eben doch mehr, und nicht jeder Halftimegroove paßt an jeder Stelle. Daß der Kerl spielen kann, steht außer Frage, und in bestimmten Passagen zeigt er das auch gern, etwa im aberwitzig strukturierten ersten Soloteil von "Bai Ca Song Hong". Besagter Song fällt allerdings auch noch in anderer Hinsicht aus dem Rahmen: Stücke wie den Titeltrack hätte auch jede amerikanische oder europäische Band schreiben können - in "Bai Ca Song Hong" bauen Búc Tuòng aber ab dem zweiten Soloteil noch ein ohrenscheinlich heimatliches Saiteninstrument ein, erst unbegleitet, dann aber in die reguläre Rockinstrumentierung eingebunden. Keine Ahnung, was das ist (die mir vorliegende CD geizt auf der Papphülle mit jeglichen die Tracklist und vier Bandfotos übersteigenden Informationen), aber es klingt originell und interessant zugleich und verleiht den zugehörigen Passagen einen leicht sphärischen Touch. So verschafft sich das Quintett zumindest im Weltmaßstab einen Originalitätsfaktor, der in Zukunft gerne noch weiter ausgebaut werden darf, wenn man mal aus europäischer Perspektive aus urteilt - ob man innerhalb der vietnamesischen Szene das ähnlich sieht, steht auf einem anderen Blatt, denn in analoger Argumentation dürften die Vietnamesen dann von den deutschen Rock- bzw. Metalbands die verstärkte Einbindung typischer deutscher Instrumente einfordern oder von den russischen Bands mehr Balalaika-Einsatz. Wie auch immer: Zwei verschiedene Typen von Songs unter den 12 vertretenen machen hier am meisten Hörspaß: die originellen wie etwa das bereits erwähnte "Bai Ca Song Hong", der leicht bombastische Closer "Hoa Ban Trang" oder das halb angedüsterte, vielseitige und im Zentralbreak fast musicalartige Züge aufweisende "Co Gái Quàng Khan Do" und diejenigen, in denen der Drummer dann doch mal etwas geradliniger, vielleicht auch etwas flotter zu Werke geht - für Tempofetischisten ist die CD jedenfalls ungeeignet, und Altfans von Búc Tuòng, sofern es denn unter der CrossOver-Leserschaft welche gibt, sollten vor dem Erwerb auch erstmal probehören. Dafür werden Pink-Floyd-Anhänger in "Choi Voi" eine Abwandlung des markanten Keyboardthemas aus "High Hopes" entdecken und Leute, die anhand von Bandfotos die Stilistik der Musik zu erraten versuchen, verwirrt sein: Das eine der Fotos zeigt die fünf Musiker in edlem Zwirn, zwei davon sogar mit Schlips, während die anderen drei Bilder, zwei davon im Hafen einer nicht näher zu identifizierenden Stadt geschossen und das dritte auf einer befestigten Fläche neben einer Grünanlage, dem üblichen Bild einer Rockband schon viel eher entsprechen; einer der fünf hat übrigens reichlich nackenlange Haare, die anderen kurze bis sehr kurze. Worüber sich der Sänger in den 12 Songs ausläßt, können freilich nur Kenner der vietnamesischen Sprache entschlüsseln (auf das Gros der diakritischen Zeichen in den Songtiteln wurde hier im Sinne weltweiter Lesbarkeit ohne Zeichensatzkonflikte verzichtet), und vom Klanggewand her steht "Ngày Khác" gängigen amerikanischen oder europäischen Produktionen nicht nach, wobei das Quintett darauf verzichtet hat, alles zuzukleistern, sondern gern relativ bodenständig an die Sache herangeht. Eine Entdeckung für manchen Nicht-Vietnamesen sind Búc Tuòng jedenfalls allemal, und es bleibt nur noch die Frage, wie man hierzulande an ein Exemplar der Scheibe herankommt; meins ist jedenfalls ein Direktimport aus Vietnam gewesen (danke nochmal an Sophie Kamprad fürs Mitbringen!), und wer mal in der Bandheimat Hanoi weilt, hat vielleicht eine Chance, fündig zu werden.
Kontakt: http://buctuong.com

Tracklist:
Ngày Khác
Nguòi Bao
Cho Buóc Chan Em Di
Choi Trau
Bài Ca Song Hong
Moi
Tieng Goi
Co Gái Quàng Khan Do
Choi Voi
Anh Se Den
Rung Chong Vàng
Hoa Ban Trang
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver