www.Crossover-agm.de BRAINSTORM: Soul Temptation
von rls

BRAINSTORM: Soul Temptation   (Metal Blade Records)

Kein Schritt nach vorn, sondern erneut eher einer rückwärts. Hatten Brainstorm mit "Metus Mortis" ein sehr kompaktes Power Metal-Album eingespielt, so schielen sie mit dem neuen Werk "Soul Temptation" eher wieder zurück zu "Ambiguity", ihrem 2000er Werk, zumindest zu dessen etwas höherer Vielseitigkeit. Das äußerlich deutlichste Zeichen für diese Ausrichtung stellt die zentrale "Trinity Of Lust" dar, denn hier gibt's wieder ein paar der orientalischen Elemente zu hören, die der Anhänger seit "Maharaja Palace" kennt und liebt. Aber es wäre keine stringente Argumentation, wenn es bei einem solchen Zeichen bliebe. Sollte es Leute geben, die die Ausrichtung von Alben anhand der ersten 15 Sekunden des Openers beurteilen, so werden diese Schiffbruch erleiden, denn elektronisches Flackern in besagtem Teil von "Highs Without Lows" ist nicht gerade das, was man von Brainstorm vermutet, bevor der Song dann doch in einen relativ straighten Midtempo-Metalsong übergeht. "Doorway To Survive" lotet in Beibehaltung der Tempofolge von "Ambiguity" die obere Geschwindigkeitsgrenze der Süddeutschen aus, bevor "The Leading" den ersten richtigen Höhepunkt der CD markiert: wieder eher im Midtempo stampfend, aber vielschichtiger, ohne deshalb gleich progressiv zu sein, mit einem sehr schönen getragenen Übergang ins Hauptsolo und einer weiteren Rückblende: So hoch wie im Refrain dieses Songs hat Andy B. Franck seit Ivanhoe-Zeiten nicht mehr gesungen. Schön zu hören, daß er es noch nicht verlernt hat, denn diese Höhensteigerung macht einen nicht unbeträchtlichen Teil des Reizes des Refrains aus. Der spannungsgeladene verschleppte Einleitungsteil von "Nunca Nos Rendimos" (trotz des Titels hauptsächlich in Englisch intoniert) verspricht etwas mehr, als der Song letztlich halten kann, aber guter Power Metal ist's allemal noch, zumal mit einem hymnischen Refrain, der die Spannung mittels der doublebassunterlegten Halbtaktigkeit erneut aufbaut und diese in einer schönen Leadgitarre solistisch auflöst. Das charakteristischste Merkmal von "Fading" bilden die Keyboard-Streicherflächen, die übrigens der nicht ganz unbekannte Michael Rodenberg (aka Miro) in den Wolfsburger Gate Studios einspielte, während der große Teil des Restes in den bewährten Händen von Achim Köhler seine Form erhielt. Noch ein kleines Detail dieses Songs erscheint bemerkenswert, nämlich eine fast folkloristische Melodie, mit welcher einer der Gitarristen, entweder Todde Ihlenfeld oder Milan Loncaric, das Hauptsolo einleitet. Mit "Fading" endet die Reihe der Songs, die ich auf meiner Promoversion nur als gekürzte und irgendwann nach dem Hauptsolo ausgefadete Versionen habe - der Rest ist komplett vertreten. Sitarklänge (vermutlich synthetischen Ursprungs, denn Angaben über einen entsprechenden Gastmusiker fehlen) leiten "Shiva's Tears" und damit eingangs erwähnte Trilogie ein, bezüglich deren lyrischen Gehalts bzw. Backgrounds ich einfach mal das Infoblatt zitiere: "Long ago ... what has been said by honour, is exceedingly conducive to my welfare. Abandoning all pleasure, the lofty-minded daughter performed the propitiation by means of profound meditation. On hearing these words, she pondered over me mentally ... and so the story goes ... (the Skanda Purana)". Experte für Ostreligionen, übernehmen Sie! Ansonsten setzen sich mehrere Tracks kritisch mit dem Thema Krieg auseinander, wobei ich als Erweiterung auch die Kurzinfo zu "The Leading" noch anführen möchte: "Don't fall into error, heresy, and atheism, and don't allow anyone to abandon to commit murderous wars and massacres". Soll da Ironie drinstecken? Ich weiß es nicht. Also lieber wieder zu musikalischen Fakten. Im Rahmen der Trilogie schließen zwei Midtemposongs das schnellere "Fornever" ein, das aber außer dem etwas erhöhten Tempo keine besonderen Kennzeichen aufweist. Hingegen verarbeitet der die Trilogie abschließende Titeltrack noch einmal arabisch-asiatische Skalen (oder das, was man in Mitteleuropa dafür hält), wobei Drummer Dieter Bernert im ersten langen Akustikpart eine Snare so verschiebt, daß man beim ersten Hören geradezu erschrickt - 'ne winzige Adaption der "Sinfonie mit dem Paukenschlag" sozusagen, später auch nochmal wiederkehrend. Generell ist Brainstorm mit diesem Track eine große Hymne gelungen, in der lediglich das Cembalofigürchen zu Beginn der zweiten Strophe konzeptionell nicht so richtig passen will, wohingegen man den von einer Geräuschkulisse in einen sanften Akustikpart übergehenden und sich dann immer mehr ins Bombastische steigernden Vorschlußteil sehr bald als integralen Bestandteil des knapp achtminütigen Songs begriffen hat. "Dying Outside" erinnert durch Andys Steigerungsschrei zu Beginn vage an Priests "Bullet Train" und kehrt das auch bei Brainstorm nicht selten vorkommende Schema "zurückhaltende, verschleppte Strophe - schnellerer Refrain" um 180 Grad um. Auch hier gibt's wieder ein furioses schnelles und trotzdem nicht ins Selbstverliebte abgleitende Gitarrensolo zu hören. Irgendwie neigen Deutsche nicht so sehr dazu, sich bei solchen Elementen gehen zu lassen - das kann man wahlweise als Kompliment oder Kritik auffassen. Jedenfalls schrauben Brainstorm in "To The Head" nochmal das Tempo bis zu ihrer selbstgewählten Höchstgrenze, ohne jedoch die Power Metal-Gefilde zu verlassen und etwa im Thrash hausieren gehen zu wollen. Auch dieser Song vollführt die erwähnte Tempoumkehrung mit und mündet im Solo dann doch in einen kleinen Frickelpart beider Gitarren (aber einen guten!). "Rising" schließt den regulären Teil des Albums in vergleichsweise epischem Midtempo und mit sehr gut akzentuiertem Piano ab - die limitierte Erstauflage von "Soul Temptation" setzt hier noch "Amarillo" dran, sicher nicht die typischste Coverwahl, denn das Original stammt von Tony Christie. Außerdem enthält besagte Erstauflage noch eine Bonus-DVD, die den Set vom 2002er Summer Breeze-Festival transportiert (keine Ahnung, ob's der komplette ist oder nur ein dreiviertelstündiger Ausschnitt). Aber auch das reguläre Album (auf dem hinter "Rising" auch noch nicht ganz Schicht im Schacht ist) ist kaufenswert, wenn man relativ "undeutsch" klingenden Power Metal mag. Es ist eingängiger als "Metus Mortis", aber trotzdem nicht flacher, und es enthält neben etlichem guten, aber nicht herausragenden Stoff einige Highlights, die man sicher demnächst auch wieder live bewundern kann.
Kontakt: www.metalblade.de, http://truemetal.org/brainstorm

Tracklist:
Highs Without Lows
Doorway To Survive
The Leading
Nunca Nos Rendimos
Fading
Trinity Of Lust: Shiva's Tears - Fornever - Soul Temptation
Dying Outside
To The Head
Rising




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