BOANERGES: Hora Novena von rls (Eigenproduktion)
Zu den Bands mit immenser Veröffentlichungsdichte zählten Boanerges noch nie. Vom ersten Demo bis zum 1998er Debütalbum "Senales Antes De Fin" vergingen fünf Jahre, und "Hora Novena" ist nun das zweite Studioalbum, allerdings auch schon wieder 2009 erschienen, bisher ohne Nachfolger und erst mit dreijähriger Verspätung im CD-Player des Rezensenten gelandet. In den elf Jahren zwischen den beiden Alben war die Band immerhin nicht ganz untätig: 2002 gab es eine EP mit drei neuen Songs, einer Adaption von "Ein feste Burg ist unser Gott" und einem Cover von Strypers "Soldiers Under Command", und für 2004 steht eine Split-EP mit Renacer zu Buche. Deren beide Songs "El Valor Del Presente" und "Suena" finden sich auch auf "Hora Novena" wieder, allerdings wahrscheinlich in Neueinspielungen, denn die Spielzeiten unterscheiden sich etwas (das Booklet macht über die Aufnahmezeiträume keine Angaben, und die Split-EP besitzt der Rezensent bisher nicht, so daß er keine Direktvergleiche anstellen kann). Nun stellte "Senales Antes De Fin" eine der erfrischendsten melodischen Speed-Metal-Scheiben der damaligen Zeit dar, die für Gourmets wie Kollege Thorsten eine wahre Labsal in den für traditionellere metallische Klänge eher schwierigen Neunzigern bildete, und es stellt sich die Frage, ob sich in den elf Jahren bis "Hora Novena" größere musikalische Veränderungen ergeben haben. Die Antwort ist ein klares Jein. Denn obwohl nach dem orchestralen Intro "Consumado Es", das übrigens nicht vom hauptamtlichen Keyboarder Gastón Morales, sondern gasthalber von Guillermo De Medio beigesteuert wurde, der eigentliche Opener "Un Mundo Diferente" erstmal losflitzt, als gäbe es kein Morgen, so bremst schon der Übergang in die erste Strophe das Tempo auf mittlere Geschwindigkeit herunter, und diese Tempolage bestimmt auch weite Strecken des reichlich einstündigen Albums, freilich in mannigfachen Variationen und durchaus mit etlichen Speedelementen durchsetzt, so daß das Material nie eintönig wirkt. Zudem haben Boanerges die Anzahl der Breaks und Tempowechsel etwas erhöht, so daß die Songs teilweise einen Schlenker ins Progressive hin bekommen, freilich trotzdem stets nachvollziehbar bleiben. Dazu kommen noch ein paar kleine moderne Gitarrenquietscheffekte, beispielsweise auch gleich in "Un Mundo Diferente", die demonstrieren, daß die beiden Gitarristen Walter Estébez und Javier Fracchia durchaus nicht im luftleeren Raum leben, sondern das, was um sie herum geschieht, registrieren und bedarfsweise auch einbasteln können. Die Dichte solcher Elemente ist in "Un Mundo Diferente" (könnte der Titel Programm sein?) auf der CD am höchsten, so daß, wer als Traditionalist mit dem Opener kein Problem hat, das ganze Album ohne Schwierigkeiten durchhören können wird. Ob freilich auch so viel Begeisterung aufkommt wie damals beim Debüt, steht auf einem anderen Blatt, denn dazu bedarf es schon etlicher Durchläufe, und zudem fehlen ein wenig die ganz großen Melodien und Refrains auf der Scheibe. Zudem muß man sich auch erst an Gabriela Sepúlvedas im Vergleich mit früher etwas tiefergelegten Gesang gewöhnen, was durch die Tatsache, daß sie im sonst schön klaren Klangbild etwas weit in den Hintergrund gemischt wurde, nicht eben vereinfacht wird. Nach etwas Einarbeitungszeit offenbaren sich allerdings doch mancherlei Highlights, wobei allerdings zumeist die Instrumentalarbeit als der höhere Trumpf zu werten ist - die Gitarristen und der Keyboarder wissen in den Soli hörbar, was sie tun, und sie zeigen ihr Können gerne, ohne daß sie die Songs damit überladen. Mitsingen fällt dem gemeinen Mitteleuropäer zudem dahingehend schwer, weil Boanerges in Spanisch singen - immerhin enthält das Booklet alle Texte, so daß man sich, auch wenn man sie nicht versteht, zumindest im phonetischen Mitformulieren üben kann, und die Danksagungen lassen auch wenig Zweifel darüber, daß Boanerges ihrer kompromißlos christlichen Marschrichtung weiter folgen, wobei alle abgedruckten Texte noch mit zwei- bis dreizeiligen Kommentaren versehen worden sind, aber auch die eben in Spanisch. Gerade angesichts der musikalischen Ausgestaltung von "Tierras Liberades", das klassische Melodic-Metal-Passagen mit zusätzlicher Percussion, leicht orientalisch wirkender Melodik und einem appellierenden Part durch ein Megaphon kombiniert, wäre es interessant zu erfahren, worum es hier konkret geht - und nicht zuletzt angesichts der uneinheitlichen Trackbenennung wüßte man gerne, was da gemeint ist: Im Booklet steht nämlich nicht "Tierras Liberades", sondern "Tierras 'Liberades'", also möglicherweise eine Ironisierung des Sachverhaltes. Eher peinlich kommt dagegen der falsch geschriebene Albumtitel auf dem Cover rüber - wenn man schon mit den Buchstaben als Symbole auf einem Zifferblatt spielt, muß man sich ein künstlerisches Konzept überlegen, wie man mit der Anzahl der Buchstaben zurechtkommt, damit dann hinterher keiner fehlt und zudem das Spiel mit dem V als römischer Fünf aufgeht. Ob freilich auch hinter dieser scheinbaren Inkongruenz vielleicht Absicht steckt, könnte die Lektüre des Textes zum Titeltrack dem Spanischkundigen verraten.
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