www.Crossover-agm.de BLIND GUARDIAN: Beyond The Red Mirror
von rls

BLIND GUARDIAN: Beyond The Red Mirror   (Nuclear Blast)

Eigentlich könnte man es sich einfach machen und große Teile des Reviews zu "At The Edge Of Time" hier nochmal zweitverwerten: Zwar ist "Beyond The Red Mirror" ein Konzeptalbum geworden (Mordred, Artus, die Krähe, Zeit - wer mag, liest sich die Story im Booklet durch und wird Anknüpfungspunkte an "Imaginations From The Other Side" finden), und es ist ein Song mehr drauf als auf besagtem Vorgänger - aber musikalisch und strukturell tun sich frappante Parallelen auf. Beide Alben werden von zwei großen Orchestermetalstücken gerahmt, wobei "The Ninth Wave" noch zusätzlich durch seine Chorsätze lebt (deren lateinische Texte sind übrigens nicht im Booklet zu finden) und als Opener einen hervorragenden Spannungsaufbau an den Tag legt, wobei das Stück nach zweieinhalb Minuten nicht etwa explodiert (was durchaus auch im Bereich des Möglichen gelegen hätte), sondern seinen Dampf schön schrittweise abläßt. Zwar bleibt "Sacred Worlds" aufgrund seines einprägsameren Refrains vorn, aber auch die neunte Welle dürfte sich in der allgemeinen Gunst hoher Sympathiewerte erfreuen. Das Finalstück "Grand Parade" entspricht kurioserweise auf die Sekunde genau dem Opener (9:28), dürfte allerdings kein Symbol für eine symmetrische Anlage des Albums sein, obwohl das metaphorische Bild des Spiegels im Albumtitel durchaus eine solche Möglichkeit offengelassen hätte. Die spannende Frage ist nun allerdings, was Blind Guardian in die reichlich 50 Minuten zwischen den beiden Rahmenstücken gepackt haben. Und ähnlich wie auf dem Vorgängeralbum kommt auch hier in gewisser Weise Ernüchterung auf - aber eben nur in gewisser Weise und vor allem nicht durchgehend, wie das eben auch auf dem Vorgänger war. Auffälligster Beitrag ist hier sicherlich "At The Edge Of Time" - Blind Guardian liefern auf "Beyond The Red Mirror" sozusagen den Titeltrack des Vorgängeralbums nach, eine Praxis, die man von Crematory kennt, die dort allerdings als Konzept durchs ganze Schaffen durchgehalten wurde, während wir im BG-Kontext dieses Phänomen zum ersten Mal erleben. Und interessanterweise hat sich hier ein weiterer Orchestermetalbrocken eingeschlichen, der nach eher dahindümpelnden ersten Minuten doch noch Fahrt aufnimmt, wenngleich auch er das Kardinalproblem zahlreicher der jüngeren Blind-Guardian-Werke aufweist: Austauschbarkeit vieler Passagen und mangelndes Zusammengehörigkeitsgefühl. Und mit ebenjenem Kardinalproblem hat man fast während der ganzen Spielzeit auch hier zu kämpfen: Nahezu keinem der Songs ist eine Stringenz eigen, wie sie die durchaus nicht weniger komplexen Meisterwerke von "Imaginations From The Other Side" von der ersten bis zur 49. Minute zeigten. "Prophecies" wird wenigstens ansatzweise von der langen Leadmelodie zusammengehalten, "Ashes Of Eternity" könnte in einer rauhen Liveversion deutlich mehr zu überzeugen wissen als in der Studiovariante (und das dramatische Exzelsior in der Bridge kann was!), das als Single ausgekoppelte "Twilight Of The Gods" löst das Versprechen des speedigen Intros nicht ein, und "Distant Memories" (an der Spiegelsymmetriestelle des Albums angesiedelt, allerdings nicht strukturell aufgeladen, denn es handelt sich "nur" um den Bonustrack der Mediabook-Edition, der der regulären Albumfassung fehlt) gerät zum unauffälligen Melodic Rock (!) mit Alibi-Orchester-Unterstützung, der nur in der dramatischen Mittelphase nach Größerem streben kann, allerdings durchaus das Potential hat, live ebenfalls mehr zu überzeugen - und hier trauen sich Blind Guardian endlich, endlich mal wieder, eine einzige Hauptsongwritingidee über einen ganzen Song hin umzusetzen, anstatt drei, fünf, zwölf Ideen zusammenzupferchen. Daß es im vorliegenden Fall nun gerade eine ihrer schwächeren Ideen geworden ist, der dieses Privileg zuteil wurde, ist Pech, läßt aber für die Zukunft erhoffen, daß wir auf diesem Wege vielleicht doch mal wieder den einen oder anderen Geniestreich des traditionellen melodischen Speed Metals von der Band serviert bekommen werden. Und kaum ist dieser Song ausgeblendet worden, schon lösen Blind Guardian das Versprechen mit seinem Nachfolger auch ein, nämlich mit den sechs Minuten von "The Holy Grail", einem der besten Songs, die sie in diesem Jahrtausend geschrieben haben: rhythmisch durchaus komplexer, aber nachvollziehbar arrangierter Speed, dezente, aber wirkungsvolle Orchesterunterstützung, ein starker Refrain, einprägsam, aber nicht ausgelutscht in der Melodik, ein nach Einhören durchaus als songimmanent erkennbarer zweiter Grundpart zwischen Hauptsolo und Schlußrefrain - meine Güte, warum nicht öfter so? Das Booklet liefert die Antwort: Der Song stammt hauptsächlich aus der Feder von Drummer Frederik Ehmke, wobei Hansi Kürsch und Andre Olbrich als Co-Komponisten angegeben sind (es steht zu vermuten, daß sie den zweiten Grundpart eingefügt haben). Der Drummer-Jungspund (der allerdings mittlerweile auch schon zehn Jahre an Bord ist) zeigt den Alten also, wie ihre Band auch heute noch richtig mitreißend klingen könnte, aber diese scheuen sich offensichtlich, zuviel "Macht" in dieser Richtung abzugeben, und bleiben lieber bei ihrem Leisten, der nur eben leider aktuell (und eigentlich schon im ganzen aktuellen Jahrtausend) eine zu geringe Highlightdichte liefert. Klar, auch ein Brocken wie "The Throne" ist nicht schlecht, zumal mit Produzent Charlie Bauerfeind und zwei Orchestern (ein ungarisches, ein tschechisches) sowie drei Chören (einem ungarischen, einem tschechischen und einem amerikanischen) Profis am Werk waren und Matthias Ulmer in seinem Hang zur Orchester- und Effektüberfrachtung (man erinnert sich mit Grausen an Helloweens Desaster "7 Sinners") offenbar zumindest partiell gebremst worden ist - aber richtig zu packen weiß diese Nummer nicht, während dem ein wenig in Richtung klassischen Progmetals schielenden "Sacred Mind" noch ein Wachstum bei weiteren Hördurchläufen zuzutrauen ist. "Miracle Machine" setzt dann einen dreiminütigen klavierballadesken Ruhepunkt vor dem bereits erwähnten Abschlußepos "Grand Parade", das allerdings "Wheel Of Time" klar unterlegen ist und sich eher orientierungslos durch seine neun Minuten manövriert, seinem Titelversprechen keine Taten folgen lassend. So stellt man in der Gesamtbetrachtung ernüchtert fest, daß Blind Guardian nach wie vor Großes erschaffen können, das aber viel zu selten tun und ihre Kräfte abermals in Spiegelfechtereien vergeuden, den Berg zum Kreißen bringen und wieder nur eine, naja, nicht Maus, aber Hyäne gebar. Zwei Volltreffer in 71 Minuten sind für eine Band, die früher mal Freudenfeuer am Stück entzündet hat, zu wenig, auch wenn allein schon "The Ninth Wave" und "The Holy Grail" den Erwerb von "Beyond The Red Mirror" rechtfertigen und wie beschrieben auch dem einen oder anderen weiteren Stück noch zuzutrauen ist, daß es seinen Status zumindest etwas erhöht.
Kontakt: www.blind-guardian.com, www.nuclearblast.de

Tracklist:
The Ninth Wave
Twilight Of The Gods
Prophecies
At The Edge Of Time
Ashes Of Eternity
Distant Memories
The Holy Grail
The Throne
Sacred Mind
Miracle Machine
Grand Parade



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver