www.Crossover-agm.de BINDER & KRIEGLSTEIN: New Weird Austria
von rls

BINDER & KRIEGLSTEIN: New Weird Austria   (Essay Recordings)

Nein, die Niggaz With Attitude sind zum Glück nicht wieder auferstanden (immerhin starb Mainman Easy E. anno 1995 den AIDS-Tod), wie man anhand des Kürzels "N.W.A." in den Vorankündigungen zu diesem Album hätte befürchten können. Aber erstens entpuppt sich "N.W.A." nicht als Bandname, sondern als Albumtitel, und zweitens steht das Kürzel für "New Weird Austria". Und das Zitat der Melodie von "Oh du lieber Augustin" gleich im Opener "Bratlgeiger" darf programmatisch betrachtet werden, denn aus Sicht des Stromlinienmusikhörers ist hier tatsächlich alles hin. Rainer Binder-Krieglstein, der Mainman hinter diesem Projekt (also nix Duo, wie man hätte mutmaßen können), hatte sich schon zu den Zeiten, als er noch in feste Bandkontexte eingebunden war, nicht gerade leicht verdaulicher Musikkost gewidmet - wer sich etwa noch an Fetish 69 erinnert, wird dies sicher bestätigen können. Nun vermengt er auf seinem vierten Soloalbum Elemente aus der Pop- bzw. Rockmusik, der österreichischen Volksmusik und noch etlichen anderen Stilen. Dem jetztzeitigen Musikhörer springt, wenn er diese Mixtur liest, natürlich zuerst mal der Name Hubert von Goisern ins Gedächtnis, und hier und da lassen sich auch tatsächlich ein paar Parallelen entdecken, wenngleich eher in der Attitüde als an konkreten musikalischen Merkmalen festgemacht. Binder-Krieglstein ist nämlich von Haus aus Schlagzeuger und denkt daher auch aus dieser Position heraus. Selber zeichnet er für die Drums sowie die häufig hinzutretenden Programmings verantwortlich (darunter gelegentliche Samples von E-Gitarren, Akkordeons etc.), dazu kommen ein Geiger, ein Posaunist und ein Klarinettist. Kurt Bauer an den vier Saiten und Richie Winkler am Holzgebläse sind dabei in Tateinheit mit der Kohorte an Gastsängern für die melodischen Elemente des Gemischs zuständig, Michael Bergbauer am Blech beteiligt sich daran bisweilen auch, aber mitunter übt er auch eine baßartige Funktion aus und bringt die gesamte Mixtur zum Grooven. Das passiert allerdings relativ selten, so daß der rocksozialisierte Hörer nach dem Hören der knapp 42 Minuten den Wert des Baßgitarristen deutlich höher einschätzen wird, als das anhand der gängigen Bassistenwitze zu vermuten wäre. In anderen Songs versuchen die Programmings diese Stelle einzunehmen, etwa in "Frage der Zeit", was selbst innerhalb eines Songs mal mehr (Refrain), mal weniger (Strophe) gelingt. So sträubt sich ein Gutteil des Materials, auf diesem Wege ins Ohr zu gehen, und da auch das reine rhythmische Element wenig zur Zugänglichkeit beiträgt (Ausnahme: die melodisch orientierten Trinidad Steel Drums in "Kummst du ma blöd"), müssen die Volksmusiker diese Arbeit mehr oder weniger alleine leisten, bisweilen noch durch die Sänger unterstützt. Aber wenn es sich dabei um bekennende oder tatsächliche Nicht-Sänger handelt (z.B. Heimo Mitterer in "Radkette" oder Mieze Medusa in "Frage der Zeit") und ihre Stimmen auch noch relativ weit in den Hintergrund gemischt werden, so als ob sie sich wegen ihres Antigesanges schämen würden, dann fällt auch diese Möglichkeit weg. Die Austropoplegende Wilfried wiederum, die Binder-Krieglsteiner gleich für den Opener "Bratlgeiger" verpflichtet hat, kann bekanntermaßen singen, klingt hier aber, als habe er vorher leicht an der Heliumflasche genuckelt. Daß das auch besser, gar mitreißender gegangen wäre, beweist Didi Bruckmayr in "Three Strikes", der problemlos vom klassischen Heldentenor zur rauhen Rockröhre und zurück changiert, als wär's das Einfachste der Welt. Und auch das Geflüster von Molto Mosso in "Bist du glücklich" paßt und wertet diesen noch relativ zugänglich konzipierten Song noch einmal auf. Hier und da wurde das Material mit der zu großen Eklektizismuskelle an die Wand geworfen, wollen sich bestimmte Elemente auch nach mehrmaligem Hören nicht erschließen. Weird eben - wie man Weirdness aber trotzdem in anhörbare Formen gießt, beweist "Londabaja", das musikalisch in Richtung Balkan schielt und sozusagen die österreichische Politik der vergangenen Jahrhunderte musikalisch umsetzt, wobei von der anderen Seite der Grenze Zdob Si Zdub und andere Balkanbeater herüberwinken. Ob es Zufall ist, daß gerade diejenigen Songs, auf denen eine Dame namens Makki singt, am überzeugendsten daherkommen, darf angezweifelt werden - Makki singt auch in der Livebesetzung der Binder & Krieglstein-Band, und daher wußte der Mainman offenbar um ihre Stärken und deren wirkungsvolle Umsetzung. Man nehme sich nur mal den kleinen Geniestreich "Puddl di ein" mit seiner paradoxen Mixtur aus Liebes- und Kriegsthematik vor! Hier groovt die Mixtur übrigens auch wieder und ist zudem ausgewogen produziert, also mit der Stimme im Mittelpunkt. Dieses Niveau können nicht alle elf anderen Songs halten, aber vielleicht erschließt sich beim häufigeren Hören dann doch noch die eine oder andere bisher kratzbürstig anmutende Idee. Und das "Fahrradlied" könnte als Metalversion und mit anderem Text glattweg von Running Wild stammen. Gesungen wird übrigens mal im heimischen Idiom, selten in Hochdeutsch und noch seltener in Englisch. Da wird mancher Hörer nördlich des Weißwurstäquators sicherlich so seine Verständnisprobleme haben - aber die gibt's in der Musik selber ja auch, spätestens wenn im Closer "I hob di gern" auch noch der Steirische Jägerchor eine traditionelle Volksweise über einem monotonen programmierten Grundrhythmus und verfremdeten Tuba- oder Baßposaunengrgrummel intoniert. Wer Hubert von Goisern seinen derzeitigen Ausflug in rockigere Gefilde übelnimmt und sich lieber einen in elektronischer angehauchte Welten von ihm gewünscht hätte, der könnte mit "New Weird Austria" eine passende Ersatzdroge finden.
Kontakt: www.essayrecordings.com, www.binderundkrieglstein.net

Tracklist:
Bratlgeiger
Mein größter Schatz
Kummst du ma blöd
Radkette
Frage der Zeit
Three Strikes
Bist du glücklich
Londabaja
Puddl di ein
Fahrradlied
So faungt des an
I hob di gern
 




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