www.Crossover-agm.de ARCANAR: Pylnyi Wladyka
von rls

ARCANAR: Pylnyi Wladyka   (Stygian Crypt Productions)

Der klassische Gothic Metal, in anderen Regionen der Welt, die sich als fortschrittlich begreifen, längst vom Aussterben bedroht, feiert in Rußland immer noch fröhliche Urständ'. Und das ist, wenn man Arcanar als Maßstab hernimmt, auch gut so, denn dieses Quintett liefert mit seinem Debütalbum "Pylnyi Wladyka" zwar kein absolutes Genrehighlight, aber doch einen recht starken Beitrag ab. Zunächst fällt auf, daß sich unter den neun Songs gleich vier Instrumentalstücke befinden, was allerdings kein Indiz bezüglich etwaiger stimmlicher Probleme von Aleksandr Zernow darstellen dürfte, denn der Mann beweist großes Können in allen geforderten Stimmlagen - das sind deren drei: finsteres Grollen, mäßig energisches Kreischen und mittelhoher, leicht entrückt wirkender Klargesang. Daß der Sänger auf dem Cover auch noch als Modell für dreiteilige Schizophrenie herhalten muß (Ähnlichkeiten zu Nasty Savages "Psycho Psycho"-Motivik sind nicht zu übersehen, finden in der Musik aber keinerlei Parallelen), sollte allerdings nicht als diesbezügliche Anspielung verstanden werden, zumal sich keine entsprechenden Zuordnungsmerkmale finden lassen und alle drei abgebildeten Zustände mehr oder weniger psychotische Züge aufweisen, während dem Klargesang und auch fast der kompletten instrumentalen Untermalung ein allermindestens latentes, häufig auch offen zur Schau getragenenes Moment der Sehnsucht nach Harmonie innewohnt. Das betrifft keineswegs nur die beiden sanften Interludien, beide mit dem Gattungsbegriff "Etüde" versehen und lediglich von Akustikgitarren bestritten; auch das sehnsuchtsvolle Intro macht eine zentrale Grundstimmung der knapp dreiviertelstündigen CD bereits klar. Der Übergang von "Etjud No. 1" zum Titeltrack mit seinem klassischen Gothic Metal-Riffing aus der ganz alten Paradise Lost-Schule markiert praktisch die Endpunkte der Arcanar-Stilskala, allerdings wird der Titeltrack bald von Klavierklängen und Streichersamples ergänzt, und zudem legt Drummer Dmitri Osadtschew nicht nur hier, sondern auch in einigen anderen Songs nicht nur punktuell ein leicht hektisch (und damit auch wieder psychotisch) wirkendes Drumming, obwohl er auch geradlinig einen Rhythmus durchklöppeln kann. Auf der Metalseite wirken die beiden ersten dem Intro folgenden Songs "Tjen Samowo Sebja" und "Bjes Pjeremen" wie die beiden Endpunkte der internen Skala, erstgenannter an der harten Seite, zweitgenannter mit den dunklen Cleanvocals und etwas zurückhaltenderer Instrumentierung. Eine ähnliche Kombination findet man mit dem Titeltrack (wohl der härteste der CD, und das nicht nur wegen des bereits beschriebenen klassisch-düsteren Riffings) und dem Instrumental "Ja Mogu Bytj Drugim", dem längsten Song der ganzen CD, dem allein schon durch das Fehlen des Gesangs ein wichtiges Moment der Extremitätsausprägung der CD verlorengeht und das durch das eher sanfte Intro seinem Titel "Ich könnte ein anderer sein" alle Ehre macht - es folgt nämlich bald ein energisch zupackender Metalpart, und der Rest des Songs besteht aus einer gekonnten Kombination dieser beiden Elemente, die trotz ihrer insgesamt über sechsminütigen Länge und der Tatsache, daß sie die metaltypische geradzahlige Wiederholung vieler Parts ebenfalls anwendet, nicht langweilig wird, sondern im Gegenteil den Hörer interessiert an die Boxen kettet. Irgendwie ist man fast traurig, daß nach sechs Minuten hier schon Schluß ist, aber die "Etjud No. 2" wischt solche Gedanken schnell weg - erneut haben wir so ein schönes Akustikgitarreninstrumental vor uns, wenngleich es etwas bodenständiger zu Werke geht als die an Verträumtheit wirklich kaum noch zu überbietenden Akustikgitarrenpassagen auf den frühen Scheiben von Anathema. "Bjessonniza" an achter Trackposition läßt einen aufgrund des orgelartigen Keyboards und des schleppenden Beats anfangs sogar an Type O Negative denken, aber mit dem Einsetzen des Gesangs werden die Parallelen mehr oder weniger marginalisiert, obwohl uns dieser Keyboardklang noch über die erste Strophe hinweg erhalten bleibt - dann allerdings wird er durch Streicherflächen ersetzt, und spätestens hier sollte dem Genrefreund einfallen, an wen einen die metallische Komponente der Arcanar-Mischung erinnert: Morphia. An deren "Frozen Dust"-Meisterwerk kommt das Arcanar-Debüt zwar nicht ganz heran (nicht zuletzt durch das Fehlen eines Überhits wie "Emptiness"), aber wer mit Morphia etwas anfangen kann, darf sich "Pylnyi Wladyka" auf jeden Fall ganz oben auf den Einkaufszettel schreiben, ebenso derjenige, der die frühen Werke von Tristania zwar generell mag, aber glaubt, auf weibliche Gesänge komplett verzichten zu können. Frauen haben Arcanar nämlich nicht ins Studio Elixir Music gelassen, wo sie ihr Werk mit Juri Slokasow eingezimmert haben - bei absolut konkurrenzfähigem, durchaus noch rauhem, aber nicht rohem und an den richtigen Stellen auch butterweichem Sound übrigens. Die Bandhymne "Arkanar" an letzter Stelle der Tracklist beginnt mit einem fast nirvanaverdächtigen Baßlauf, aber das soll sich bald geben, und es entwickelt sich einer der anfangs noch zäheren, später aber leicht beschleunigenden, rhythmisch "wiegenden" Tracks der temposeitig durchaus vielschichtig arbeitenden Band. Guter Stoff aus Rußland, der ein weiteres Mal beweist, wie viele starke Bands dort drüben ihr Unwesen treiben, von denen man in Mitteleuropa wenig bis gar keine Ahnung hat.
Kontakt: www.arcanar.ru, http://stygiancrypt.cjb.net

Tracklist:
Intro
Tjen Samowo Sebja
Ja Mogy Bytj Drugim
Etjud No. 1
Pylnyi Wladyka
Ja Mogu Bytj Drugim
Etjud No. 2
Bjessonniza
Arkanar



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver