www.Crossover-agm.de APOCALYPTICA: Cult (Special Edition)
von rls

APOCALYPTICA: Cult (Special Edition)    (Mercury/Island)

Es ist eine wenig angenehme Angewohnheit mancher Plattenfirmen, einige Monate nach dem regulären Release eines Albums eine erweiterte Special Edition hinterherzuschieben, meist mit Bonustracks versehen, mitunter gar als Doppel-CD. Der Fan einer Formation, der sich selbstredend das Album gleich nach Veröffentlichung gekauft hat, steht dann vor der schwierigen Entscheidung, für sagen wir einmal fünf Bonustracks, von denen zwei von irgendwelchen Singles stammen, die er als fanatischer Sammler selbstverständlich auch schon besitzt, noch einmal den vollen Preis eines Albums oder im Falle eines Doppelalbums gar den von vielen Händlern automatisch berechneten Doppel-CD-Preis zu bezahlen, also unterm Strich einen großen Teil des Geldes für Songs auszugeben, die man in genau der gleichen Version schon einmal besitzt. In dem meisten Fällen siegt letztlich allerdings doch der Wunsch nach Komplettierung der Sammlung - und die Plattenfirma hat mit minimalem Aufwand (die Bonustracks müssen in den allerseltensten Fällen noch extra aufgenommen werden, vielfach existieren sie bereits als Outtakes oder Liveaufnahmen) einen Extragewinn erzielt. Da aber glücklicherweise niemand gezwungen wird, solche Special Editions zu kaufen, und zudem die Wachsamkeit der Konsumenten in letzter Zeit zugenommen hat (keineswegs nur als Folge des Euro), bleiben die ärgsten Mogelpackungen in vielen Fällen wie Blei in den Regalen liegen, und auch bei lohnenderem Zusatzmaterial überlegt sich der Käufer dreimal, ob er dafür Geld ausgibt oder sein nicht eben unendliches Budget lieber noch in die Unterstützung einer weiteren Band (in Gestalt des Tonträgerkaufs) investiert. Man sieht solche Special Editions (und auch die normalen Tonträger, die natürlich nach dem Release einer Special Edition niemand mehr kauft) dann nicht selten zu extrem günstigen Sonderpreisen in den Regalen stehen.
Unter diesem Phänomen hatte auch "Cult" von Apocalyptica zu leiden. Im Jahre 2000 als regulärer Dreizehntracker veröffentlicht, kam es 2001 zum Release einer Special Edition als Doppel-CD, die mir anno 2002 dann erheblich preisreduziert aus dem Regal eines Plattenladens entgegenlachte, so daß ich sie erwarb (ohne allerdings vorher bereits das normale Album gekauft zu haben). Am generellen Stil der vier Finnen hat sich im Vergleich zum Vorgängeralbum "Inquisition Symphony" nichts geändert, wohl aber an der Herangehensweise: Das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkompositionen erfuhr nahezu eine Umkehrung. Bildeten auf "Inquisition Symphony" drei Eigenkompositionen von Ensemblekopf Eicca Toppinen die ersten Gehversuche in dieser Richtung (keine schlechten übrigens), die sich unter die Coverversionen von Metallica- und anderen Metalsongs mischten, so wurden den zehn Eigenkompositionen auf "Cult" fast verschämt noch drei Covers angehängt. Zwei davon stammen in bewährter Weise von Metallica, nämlich "Fight Fire With Fire" und das für eine celleske Umsetzung wie geschaffen wirkende "Until It Sleeps". Nummer drei bildet Griegs "Hall Of The Mountain King", mir persönlich allerdings etwas zu zerrissen und gewollt-avantgardistisch wirkend. Da paßt das Getrümmer und das Jonglieren mit Soundeffekten in vielen der Eigenkompositionen doch bedeutend besser. Die vier Jungs um Eicca Toppinen beweisen erneut, wie viele Möglichkeiten in vier Celli stecken, setzen diesmal aber auch noch einen Kontrabaß ein (man hört ihn allerdings ohne exakt geschultes Gehör kaum heraus) und verwenden echte Percussions, nachdem sie dieses Element bisher ebenfalls mit ihren Celli umgesetzt hatten, aber dabei an natürliche Grenzen gestoßen waren. "Cult" ist moderne Kammermusik, ohne deshalb avantgardistisch im negativen Sinne des Wortes zu wirken, obwohl man fürs Durchhören schon konzentrierte Aufmerksamkeit braucht, da man ansonsten außer ein paar grandiosen Harmonien und hymnischen, zum kollektiven Fäusterecken animierenden Passagen nicht allzuviel mitbekommt. Den Charakter vieler Stücke kann man schon anhand ihres Titels erahnen ("Hyperventilation" ist also ganz sicher keine Kuschelballade ...), und da Apocalyptica nicht mehr an die Struktur von Vorlagen gebunden waren, konnten sie Vielseitigkeit und Ausdruck ganz nach ihrem Belieben gestalten. Davon haben sie auch reichlich Gebrauch gemacht, obwohl das fast siebenminütige "Coma" zwar einerseits den titelgebenden Zustand perfekt illustriert, mir persönlich aber zu langatmig ausgefallen ist. Der Großteil der Ergebnisse kann überzeugen, und ich frage mich nur noch, wann die erste Metalband anfangen wird, ihrerseits Apocalyptica-Kompositionen zu covern.
Den ersten Schritt auf einem solchen Weg markieren die ersten beiden Tracks auf der zweiten CD (also das "Special Edition"-Material). Mit "Path" und "Hope" wurden nämlich zwei der "liedhafteren" Kompositionen Eicca Toppinens nochmal neu eingespielt und mit Gesang versehen. "Path vol. 2" interpretiert Sandra Nasic, durch die Guano Apes weitreichend bekannt. Deren Gesang mochte ich noch nie, aber bei objektiver Betrachtungsweise muß man ihr eine gute Leistung, vervielschichtigt durch diverse Backings, bescheinigen. Für "Hope vol. 2" zeichnet Matthias Sayer von den Farmer Boys verantwortlich. Er hatte die schwierigere Ausgangslage, da Apocalyptica in "Hope" schon eine Art grandiosen hymnischen "Refrain" eingebaut haben, und am Versuch, diesen noch zu überhöhen, scheitert der Schwabe fast folgerichtig, obwohl auch er insgesamt eine gute Umsetzung liefert. Die drei restlichen Tracks auf CD 2 wurden live in München mitgeschnitten, ohrenscheinlich vor einem rockorientierten und nicht einem klassischen Publikum. Dafür spricht diverses Zwischengegröle (das manchmal rapide störend wirkt) und Mitklatschverhalten, aber auch der Fakt, daß "Nothing Else Matters" zumindest ausschnittweise vom Publikum mitgesungen wird, was eine Andeutung von Blind Guardianschem "Bard's Song"-Feeling reproduziert. "Inquisition Symphony" kann den rabiaten Touch der Studioversion nicht ganz umsetzen, und auch "Harmageddon" bleibt ein wenig hinter der Abgründigkeit der CD-Version zurück. Trotzdem: Dies ist der Beweis, daß Apocalyptica kein Studio-Ensemble sind, sondern sowohl ihre Covers als auch ihre Eigenkompositionen in einer Livesituation umsetzen können.
 





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