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Michael Rauhut: Rock in der DDR
von rls anno 2003

Michael Rauhut: Rock in der DDR

Mancher Bewohner der EAL (Elf Alten Länder) mag erst kopfschüttelnd fragen, ob es denn das überhaupt gegeben habe, Rock in der DDR. "Durften die denn das?" könnte eine Standardfrage lauten, bevor sich der eine oder andere der etwas älteren Generation vielleicht doch daran erinnert, daß er irgendwann in den 70ern oder 80ern in Stuttgart, Köln oder Lübeck mal so eine Band namens Karat oder Puhdys live gesehen habe, "aber die klangen so wie unsere Bands vor fünf Jahren". Mit dieser Quasi-Klammerbemerkung ist ein großes Dilemma des DDR-Rocks bereits dargestellt: Die abgeschottete Lage der DDR machte selbstredend auch vor Kulturfragen nicht halt, und so konnten die üblicherweise aus dem NSW (dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet) stammenden musikalischen Einflüsse oft nur langsam durchsickern, so daß im DDR-Rock Subgenres zur Blüte gelangten, die man im Westen schon längst für ausgestorben hielt. Diese Abschottung besaß aber auch einen einzigen im künstlerischen Sinne positiven Faktor: Die DDR-Bands gerieten selten in die Versuchung, einfach nur die angloamerikanischen Vorgaben nachzuahmen (was ihre Kollegen im Westen Deutschlands fleißig taten und damit der kulturellen Amerikanisierung spürbaren Vorschub leisteten - als westdeutsche popmusikalische Eigenentwicklung von Rang geht im Prinzip einzig die "Münchener Schule" um Giorgio Moroder durch) und erschufen daher eine ganz eigene Stilistik, die trotz aller berechtigten Vorbehalte, die der Musikstilistiker angesichts der Unterschiede zwischen sagen wir mal Lift und Pankow anbringen könnte, nachträglich verklärend unter dem Terminus "Ostrock" subsummiert wird.
Michael Rauhuts Verdienst mit seinem Buch ist es, einen kompakten und doch quellen- und materialreichen Überblick über die Rockmusik in der DDR zu geben. Manchmal ist er gar so materialreich, daß der Lesefluß des eigentlichen Textes erheblich gestört wird. Dabei handelt es sich nicht um ein Bandlexikon, sondern um eine geschichtliche Abhandlung. Ein Kapitel über das Verhältnis von Rockmusik und Politik leitet das Buch ein und erklärt dem Uneingeweihten in knapper Form, wie die Kultur (und somit auch die Rockmusik) in der DDR tatsächlich funktionierte und wie sie nach dem Willen der Politik hätte funktionieren sollen. Da wird etwa aus der "Jungen Welt" (der seinerzeitigen Tageszeitung der FDJ) zitiert: "Sein 'Gesang' glich seinem Gesicht: dümmlich, stumpfsinnig und brutal. Der Bursche war völlig unmusikalisch, krächzte wie eine an Keuchhusten leidende Krähe ... Er sprang herum wie ein hochgradig Irrer, schüttelte seinen Unterleib, als habe man ihm unverdünnte Salzsäure zu trinken gegeben, und röhrte dabei wie ein angeschossener Hirsch, nur nicht so melodisch." Ein Bericht von einem Underground-Death Metal-Konzert anno 1988, etwa von Löwenherz, den späteren Manos? Mitnichten - wir befinden uns im Jahre 1957, und es geht um Elvis Presley. Anderthalb Jahre später enthüllte das gleiche Blatt: "Die transatlantische Veitstanzmusik Rock'n'Roll gehört in das Konzept der NATO, in das Konzept des kalten Krieges und der psychologischen Kriegführung." Die Junge Welt konnte sicherlich nicht ahnen, wie nahe sie mit dieser Einschätzung tatsächlich an der Realität war - nur hatte sie sicherlich nicht die fortschreitende Amerikanisierung der europäischen und zahlreicher anderer Weltkulturen gemeint.
Die nächsten drei Kapitel gehören einer chronologischen Abhandlung der Geschehnisse von 1964 bis zur politischen Wende. Die Rockmusik bewegte sich in dieser Zeit durch gewaltige Wechselbäder der Gefühle. Die 1964 flutartig um sich greifende Bewegung, im Zuge des Beatles-Erfolges selbst Musik zu machen, wurde staatlich zunächst noch zu kanalisieren versucht, erfuhr andererseits aber auch einen Aufschwung durch den Zufall, daß das 1964er Deutschlandtreffen der Jugend einen eigenen Radiosender spendiert bekommen hatte, der danach kurzerhand auf Sendung blieb: DT 64. Nachdem es bei Tanzabenden aber immer mehr zu Konflikten zwischen Jugendlichen und Ordnungshütern gekommen und schließlich die Berliner Waldbühne (wohlgemerkt im Westen der Stadt) bei einem Stones-Konzert vom Publikum zu Kleinholz verarbeitet worden war, griff der Staat durch und erteilte zahlreiche Spielverbote, die Proteste bei der Jugend auslösten (darunter fällt z.B. die relativ unorganisierte "Beat-Demonstration" vom 31.10.1965 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig, die nichtsdestotrotz staatsmachtlich aufgelöst wurde), was wiederum durch noch mehr Härte gekontert wurde (der berühmte und auch im Buch, wenn auch nicht ganz dem Originalwortlaut entsprechend, zitierte Ulbricht-Satz "Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Yeah Yeah Yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluß machen" stammt aus dieser Periode). Das Problem verlagerte sich allerdings nur - die Mitglieder der verbotenen Bands gründeten kurzerhand neue Kapellen und warteten auf politisches Tauwetter, das wenige Jahre später auch tatsächlich eintrat. "Wellen" dieser Art sollten sich in den Folgejahrzehnten noch mehrmals wiederholen, wenn auch die Heftigkeit der Repressionen spürbar abnahm. Die FDJ wurde, mitunter auch gegen ihren Willen (etwa mit der ungewollten Initialzündung für das Open Air-Konzertwesen durch die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin - die Open Airs wurden wiederum zu gigantischen Anlaufpunkten für die Jugend, was erneut Konflikte mit der Staatsmacht auslöste, die in den Zusammenstößen bei den 1000-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt Altenburg anno 1976 gipfelten), zum Förderinstrument des DDR-Rocks, und das staatliche Plattenlabel Amiga releaste (wenn auch unter Aufsicht) reihenweise Singles und LPs, wobei man sich Mitte der 80er Jahre gar bis zum Heavy Metal vorgearbeitet hatte ("Live im Stahlwerk" von Formel Eins aus dem Jahre 1986 ist und bleibt ein Klassiker). Selbst die Stasi konnte trotz einiger "Erfolge" insgesamt wenig ausrichten, die Textzensur wurde vielfach hintergründig umgangen - die Rockmusik der DDR behielt eine Dynamik, die ihr in den ganzen Jahrzehnten das Überleben ermöglichte und bei der eher technische Defizite (vernünftige Beschallungsanlagen beispielsweise bekam man nur im NSW gegen teures Geld, da irgendwann auch die Selbstbaumöglichkeiten mal ausgereizt waren) als limitierende Faktoren am Werk waren. Ausreisen zahlreicher Künstler schwächten die Szene, öffneten aber gleichzeitig auch Räume, in die Nachwuchsbands stießen, die besonders ab Anfang der 80er Jahre noch nonkonformer agierten als ihre Vorgänger und die man später unter dem Begriff "die anderen bands" zusammenfassen sollte. Trotzdem waren es eher die "Gestandenen", die nur eine Woche nach der Gründung des Neuen Forums 1989 eine Resolution veröffentlichten, in der sie sich mit dem Anliegen des Neuen Forums und der Demokratiebewegung solidarisierten. Sie sollten nicht ahnen, daß sie sich damit für einige Jahre ihr eigenes Grab geschaufelt hatten, denn die Wendegeschehnisse überrollten die Ost-Künstler und so auch die Musiker völlig.
Rauhut läßt es aber nicht mit dem Ende der DDR bewenden, sondern wirft auch noch einen Blick darauf, wie sich die Rockmusik in den FNL (Fünf Neuen Ländern) weiterentwickelte. Die Prinzen fehlen dort logischerweise ebensowenig wie Rammstein oder Bell, Book & Candle - mit dem großen Unterschied, daß bei den erstgenannten jeder weiß, daß sie aus dem Osten kommen, bei zweitgenannten schon nur noch ein Teil und bei letztgenannten nur noch wenige Eingeweihte. Drei Erfolgsgeschichten mit dreimal unterschiedlichem "ostpolitischen" Hintergrund. Und sonst? Viele Amiga-LPs gibt es längst auch auf CD, anachronistische Bands gehen auf Revivaltouren, und andere tun das, was eine gesunde Szene eigentlich immer tun sollte: Sie entwickeln sich (und damit die Szene) weiter. Und das ist gut so.

Michael Rauhut. Rock in der DDR. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2002. 148 Seiten. ISBN 3-89331-459-8. Bezug über BpB-Vertrieb, DVG, Postfach 1149, 53333 Meckenheim. Weitere Infos auf www.bpb.de






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