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Wolfgang Kabus (Hg.): Popularmusik und Kirche - Positionen, Ansprüche, Widersprüche
von *tf anno 2003

Wolfgang Kabus (Hg.): Popularmusik und Kirche - Positionen, Ansprüche, Widersprüche

Dieser Band, gewissermaßen der Nachfolger der Publikation "Popularmusik und Kirche - kein Widerspruch" aus dem Jahr 2001, ist wie dieser eine Tagungsdokumentation. Zum zweiten und sicherlich nicht letzten Mal hatte das von der Arbeitsgemeinschaft Musik, Bundesverband für christliche Jugendkultur, initiierte und in Zusammenarbeit mit der Theologischen Hochschule Friedensau (die auch die vorliegende Veröffentlichung verantwortete), der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik Hannover sowie der Evangelischen Akademie in Loccum durchgeführte interdisziplinäre Forum Wissenschaftler diverser geisteswissenschaftlicher Professionen, Kirchenmusiker, Popularmusiker, kirchliche Administratoren und Theologen von Universitäten, Musikhochschulen und Kirchenmusikhochschulen geladen. Nachdem mit dem ersten Forum grundsätzliche Positionen vorgestellt wurden, ging es nun um das Wesen von Popularmusik und damit verknüpft Andockmöglichkeiten für Kirche. Aber auch in anderer Richtung wurden Versuche aufgezeigt, beides zum Frommen vor allem kirchlicher Gegenwartsbeschreibung und -präsentation miteinander ins Gespräch zu bringen und darüber hinaus in Praxis umzusetzen.
Da Inhalt und Form etwas miteinander zu tun haben scheinen, liegt es nicht fern, dass die abgedruckten Statements wie im Vorgängerband um wesentliche Teile der allgemeinen Diskussion des gesamten Auditoriums ergänzt wurden. Doch zum wesentlichen des Buches gehören zweifellos die Fachreferate, die um das Thema -Kirche und deren kulturelle Relevanz - herum angeordnet darauf ausgerichtet sind.
Die Verhandlungsdisziplinen sind vor allem Musikwissenschaft und Kulturanthropologie in Zusammenarbeit mit Theologie und Philosophie. Im Fadenkreuz stehen Popularmusik und Kirchenmusik. Eine durchaus spannende Konstellation also, die neugierig auf das Geschriebene macht. Wer ist vertreten? Nennen wir die Namen der Autorinnen und Autoren der Einfachheit halber in tagungs- und kapitelchronologischer Reihenfolge. Das mag zudem den Vorteil haben, dass schon beim Überblick etwas von dem sichtbar werden kann, was die Veranstalter als Dramaturgie der Tagung beabsichtigt haben.
W. Kabus als Herausgeber gibt den Takt und die Strategie der folgenden Beiträge und auch die Perspektive des Lesers mit dem ersten Artikel "Vom Unbehagen der Kirche(n) in der populären Umgebung" vor. Grundsätzliches und hintergründiges kommt hier auf den Punkt gebracht zur Sprache.
H. Rösing folgt mit einem von ihm explizit benannten musikwissenschaftlichen "Außenseiterblick" und Überlegungen zu "Pop in der Kirche? Überlegungen zur Funktion von populärer Musik in der Erlebnisgesellschaft". Eine Menge Materie inklusive wechselnder Perspektiven hat sich der Autor damit vorgenommen. Teilweise schafft er es daher nicht, die von ihm zu hoch gelegte Messlatte zu überspringen. So ist beispielsweise die Ausschließlichkeit seiner Argumentation zur Rezeptionsfestlegung des Orgelklangs nicht in allen Punkten nachvollziehbar und auch die Ausführungen zu Musik und religiöser "Brauchbarkeit" bleiben am Anfang des Weges stehen. Gut weil aufs wesentliche reduziert dagegen die Ausführungen zum Popmusik-Begriff und zu Funktionen von Popmusik. Leider markiert das Kapitel "Kirche, Körperbetonung und alltagsästhetisches Spannungsschema" durch offensichtliche Unkenntnis der Terrains einen unnötigen Tiefpunkt. Das ist ebenso schade wie die Thesen am Schluss, die sich mit "man müsste das mal untersuchen" zusammenfassen ließen.
H. Hempelmann richtet danach den Blick auf Kirche in Bezug zur Postmoderne. Seine Darlegungen zeugen von Wissen und dem Wissen über Zusammenhänge. Seine Sezierung des Postmodernismusbegriffs ist an den entscheidenden Stellen treffend und facettenreich. Seine Schlussfolgerungen sind dagegen nur als Glaubenspostulate zu verstehen. Und der Hinweis auf die faktische Unausweichlichkeit religiöser Bindung des Individuums auf Grund postmodernistischer Auswirkungen ist zwar ein frommer Wunsch, mehr allerdings - zieht man empirische Befunde hinzu - leider auch nicht.
K.-H. Bieritz lässt es schon im Titel seines Beitrages richtig krachen. "Gerüchteküche - Vom Gottesdienst in der Erlebnisgesellschaft" ist dieser überschrieben und an Hand des Film "Die Truman-Show" werden zunächst (scheinbar) reale und virtuelle Welten gegenüber und in eins gestellt. Im weiteren wird auf der Grundlage von Schulzes Aussagen über die "Erlebnisgesellschaft" der Unterschied zwischen Erlebnis und Event geklärt, um dann in einem Rückschwenk diese Unterscheidung in die Welt der "Truman-Show" einzuführen. Das geschieht nicht nur überaus effektvoll, sondern ist darüber hinaus ein echtes Lesevergnügen. Die Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Gottesdienstes und den Einsatz von Musik darin sind in hohem Maße plausibel, so dass unser "Film" denn auch ein gutes Ende findet.
C. Reich fragt in ihrem Artikel nach der Kirchenmusik im Kontext der Erlebnis- und Spaßgesellschaft. Die Erweiterung des Begriffs der Erlebnis- um Spaßgesellschaft ist dabei eher ideologisch denn analytisch begründet. Ihr Artikel liest sich so wie man es von einer Professorin für Kirchenmusik und Hymnologie und praktizierenden Kirchenmusikern mit mangelnden eigenen Erlebnissen in der Spaßgesellschaft erwartet. Das mag für die einen nur folgerichtig, für andere hingegen enttäuschend sein.
Schließlich die schriftliche Fassung des Hauptreferat von J. Koenot, das ebenso heißt wie sein veröffentlichter Essay: "Hungry for Heaven". Da das Referat im Wesentlichen die Inhalte des Essays wiedergibt, soll an dieser Stelle auf die Besprechung desselben (bei CrossOver sogar im Zwei-Pack) verwiesen werden.
Folgend ist eine Zusammenfassung der im Rahmen des Forums gehaltenen Workshops zu finden. Hier geht es neben Improviationserfahrungen (O. Volquartz) um die Entstehung und Verbreitung christlicher Popularmusik (W. Dalferth), Ausbildungsmodelle für christliche Musiker (H. Naumann), Videoanalysen zu Westernhagens "Jesus" (G. Buschmann), ein Referat über Ekstase (G. Fermor), theologische Wahrnehmung als Entertainment (H. Schroeter-Wittke), Präsentations-, Wahrnehmungs- und Funktionsmuster populärer Musik (R. Hafen) und Thesen zur Popularmusik als Feld ästhetischer Praxis (H.-M. Gutmann). Alle Beiträge sind knapp gehalten und ergänzen die vorangestellten Referate mehr oder weniger sinnvoll. Auch weniger wäre manchmal mehr gewesen. Andersherum interpretiert bringt es durch verschieden Lesarten auch eine interessante Vielfarbigkeit.
Das Schlusswort der Tagung wird durch die bereits erwähnte Generaldebatte aller Anwesenden eingeleitet und wiederum in überzeugender Weise von W. Kabus gehalten. Auch wenn die "poetisch-philosophischen Überlegungen" (Kabus) auf den gedanklichen Säulen von Heidegger und Sartre nicht umfassend sein können, der kämpferische Elan, der in den "12 Loccumer Thesen" steckt, fasziniert. Die Thesen geben dabei neben einer Zusammenfassung auch die Möglichkeit des Ausblicks. Und wenn ich es richtig gelesen bzw. verstanden habe, so wird in 2 oder auch 3 Jahren eine neue Publikation vorliegen, die "... gewissermaßen der Nachfolger der Publikationen "Popularmusik und Kirche ..." ist, wie diese eine Tagungsdokumentation ..."

Wolfgang Kabus (Hg.): Popularmusik und Kirche - Positionen, Ansprüche, Widersprüche. Peter Lang 2003. 45,50 Euro. ISSN 1434-873X, ISBN 3-631-50880-8. www.peterlang.de



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