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Bernd Harder: Die jungen Satanisten
von rls anno 2003

Bernd Harder: Die jungen Satanisten

Ein weiteres Buch für den Giftschrank? Mitnichten. Bernd Harder legt ein über weite Strecken sauber recherchiertes, quellenkritisches, angenehm undogmatisches (wenn auch zweifellos engagiertes) und komprimiertes Werk zum Phänomen "Satanismus respektive Okkultismus in der Jugend von heute" vor. Die Tatsache, daß Jugendliche von heute auf der Sinnsuche auch mit dem Satanismus bzw. verwandten quasireligiösen Strömungen in Berührung kommen, ist bekannt und nur durch völliges idealtypisches Augenverschließen hinwegzuleugnen. Harder möchte den Gründen nachforschen, warum aus manchen Jugendlichen Satanisten werden und aus anderen, die die gleichen Einflüsse hatten, eben nicht. Gleichzeitig unterzieht er die genannten Einflüsse, sowohl die realen als auch die vermeintlichen bzw. dafür argumentativ herangezogenen, einer Durchleuchtung. Den Einstieg versucht er mit Fallbeispielen zu finden, die teilweise medial derart emporgehoben wurden, daß sie dem kritischen Blickfeld schon fast wieder entzogen sind. Das betrifft (logischerweise) sowohl den Ruda-Mord von Witten als auch den schon wieder fast 10 Jahre vergangenen Mord von Sondershausen (man darf gespannt sein, was die radikale Szene aus Anlaß dieses "Jubiläums" für Aktionen entfalten wird), die Aktivitäten von Burzum-Häuptling Varg Vikernes in Norwegen und den Gruppensuizid von der Göltzschtalbrücke, während das Porträt eines eigentlich richtig liebenswerten Jungsatanisten aus einer Teeniezeitschrift bereits in die weniger radikale, dafür aber auch verbreitetere Strömung verweist.
Apropos Strömungen: Das nächste Kapitel widmet sich einer Klassifizierung der Jungsatanisten, die natürlich den Mangel jeder Statistik aufweist, daß sie vielschichtige Persönlichkeiten (auch ein Satanist ist per definitionem eine solche) in ein enges Raster zwängen muß, aber als Grundtypologie erstmal recht brauchbar erscheint. Wir hätten also zur Auswahl: Narzissistische Pseudo-Intellektuelle; Außenseiter; Kriminelle und Sadisten; Depressive und Selbstmordgefährdete.
Hochwichtig ist Kapitel 3 einzustufen: Harder unterzieht zwei angebliche Tatsachenberichte von Aussteigern aus der satanistischen Szene, den "The Black Omen"-Bericht einer gewissen Ramona und die in Buchform unter dem Titel "Lukas - Vier Jahre Hölle und zurück" erschienenen und von einer (anonymen!) Sekten"expertin" gesammelten Erinnerungen ebendieses Jugendlichen namens Lukas, einer expliziten Untersuchung mit dem Ergebnis, daß beide (die seit Jahren in christlich-fundamentalistischen, aber auch allgemein-medialen Kreisen als wichtige Quelle gelten) erfunden sind. Harders Schlußplädoyer dieses Kapitels: "Es ist zu hoffen, dass diese Geschichte alsbald in der Versenkung verschwindet."
Zurück in die Realität: Harder rollt im vierten Kapitel einige tatsächliche Exempel von Jugendsatanismus auf. Das beginnt noch einmal mit einer ausführlichen Darstellung der Geschenisse von Sondershausen, geht über einen primitiven Jugendsatanistenzirkel namens Exodus (der nichts mit den zahlreichen Bands dieses Namens zu tun hat) und landet schließlich im Internet, wo von "Privatsatanisten" bis hin zu den großen Organisationen wie der "Church Of Satan" so ziemlich jeder seinen Senf zum (natürlich in jedem Falle authentischen) satanistischen "Lifestyle" abgeben kann. Auch diese Zeugnisse (die noch das komplette Kapitel 5 bilden) unterzieht Harder einer vergleichenden, wertenden und (für Außenstehende) nachvollziehbaren Analyse.
Damit kommen wir in Kapitel 6, das für uns bei CrossOver das interessanteste ist: "Antichrist Superstar - Der Teufel in der Rockmusik". Nicht sonderlich ausführlich, aber gut recherchiert (bis auf zwei, drei Kleinigkeiten, die Autor und Lektor durch die Lappen gegangen sind) galoppiert der Autor durch die Annalen der Rockmusik und führt seine Untersuchungen bis zur Gegenwart weiter. Marilyn Manson bildet ein Hauptthema dieses Kapitels - Harder weist hierzu einerseits die fundamentalistischen Ablehner in die Schranken, andererseits aber macht er auch die Kehrseite von Mansons Leben deutlich, die dieser selbst in seiner Autobiographie analysiert hat: "Ich habe einen chinesischen Glückskeks aufgebrochen und auf dem kleinen Zettelchen stand: 'Wenn alle deine Wünsche erfüllt sind, werden viele deiner Träume zerstört sein.'" Harder dazu: "Ironischerweise hat Marilyn Manson sich mit seinem LaVey'schen 'Teufelspakt' zur hemmungslosen Selbstbefreiung durch Drogen-, Sex-, Psycho- und Selbstverstümmelungsexzesse wenig mehr geschaffen als seine eigene Hölle. Die Tragik seines Lebens scheint letztlich nicht darin zu bestehen, dass er etws nicht erreicht hat - sondern dass er tatsächlich alles bekommen hat, was er wollte." Die weiteren Unterkapitel befassen sich anschaulich mit Backward-Masking, Marketingsatanismus, dem Einsatz von Satan als Symbol sowie in Abgrenzung dazu dem "realen" Satanismus und dessen verschiedenen Ausprägungen in einzelnen Metalbands. Harder fällt erneut positiv durch Nachvollziehbarkeit in der Argumentation auf (er zitiert z.B. Texte und übersetzt sie auch). Daß er "Haarus Longus Satanas?" nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hat, bringt ihm logischerweise noch einen Extrapunkt ein :-)
Realität und Fantasy mischen sich im nächsten Kapitel, denn hier geht es um "Satanismus in der aktuellen Populärkultur". Das allerpopulärste Beispiel steht gleich am Anfang: "Harry Potter" wird aus fundamentalistischen Kreisen gern eine satanische Ader angedichtet, die Harder fein säuberlich relativiert. Über die Station Stephen King kommen wir zum "Exorzisten", der angeblich auf einer wahren Begebenheit, also einer Dämonenaustreibung, beruhen soll - das ist nicht generell falsch, aber hier wurde aus einer Mücke medienwirksam ein Elefant gemacht, stellt Harder fest. Richtig kultig (im doppelsinnigen Zusammenhang) wird's im nächsten Unterkapitel, wenn Harder die moderne "Hexenbewegung", die selbst vor Teeniezeitschriften nicht haltmacht, genüßlich auseinandernimmt und etwa aus einem neuzeitlichen "Hexenkochbuch" zitiert: "Für Hexen-Dates gilt grundsätzlich: Je beschissener dein Essen, desto tiefer dein Dekolleté." Da kann das letzte Unterkapitel über Fantasy- und Rollenspiele natürlich keinen mehr draufsetzen.
Nun kommt aber noch Kapitel 8: "Hinter der Maske: 10 Argumente für den Satanismus - und wie man ihnen den Boden entzieht". Da lugt dann doch der "vernünftige" Erwachsene aus dem Autor heraus, der sich eigentlich gerade mit solchen pauschalen Urteilen in den ersten sieben Kapiteln zurückgehalten hat und einen ausgleichenden Dialog zwischen Eltern bzw. sonstigen Bezugspersonen und "gefährdeten" Jugendlichen anstrebte (obwohl man ihm seine christliche Sozialisation deutlich anmerkt, aber alles andere wäre auch unehrlich gewesen). Einige der in diesem Kapitel folgenden Ratschläge sind allerdings viel zu stark aus Elternperspektive geschrieben und bieten zu wenig Gesprächsansätze, die über eine bloße Konfrontation (mit unerquicklichem Ergebnis) hinausgehen (z.B. 8.2. "Ist doch ganz egal, ob ich an Gott oder an den Teufel glaube" - mal ganz abgesehen davon, daß die Aussage grundfalsch ist, denn ohne Gott ist der Teufel genausowenig denkbar wie umgekehrt und damit auch ein Glauben an den einen oder anderen nicht möglich; darauf geht der wenig hilfreiche Antworttext aber ganz und gar nicht ein). Die Idee zu diesem Kapitel könnte allerdings (dies ist eine Vermutung, keine Feststellung) auf dem Acker des Verlages gewachsen sein, welcher selbst im christlichen Spektrum arbeitet (und auch bedeutend konservativere Literatur wie das "Schwarzbuch Satanismus" der Grandt-Zwillinge verlegt hat). Gerade dieses Kapitel bedarf also einer kritischen Reflexion, während der Rest des Buches (übrigens in einem unterhaltenden und flüssigen, aber nicht flapsigen Stil geschrieben) zu großen Teilen ungeprüft in die Lehrbücher für den Religionsunterricht übernommen werden könnte (und sollte!). Das Schlußplädoyer gleicht also dem zu Klaus Deptas "Rock For Jesus": Solche Bücher sollte man kostenlos an Schulen verteilen und nicht "Wir wollen nur deine Seele".

Bernd Harder: Die jungen Satanisten. München: Pattloch 2002. 240 Seiten. ISBN 3-629-01649-9. 14,90 Euro






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