www.Crossover-agm.de
Karl-Heinz Göttert/Eckhard Isenberg: Orgelführer Deutschland Band 2
von rls anno 2008

Karl-Heinz Göttert/Eckhard Isenberg: Orgelführer Deutschland Band 2

Nachdem das bewährte Autorenduo in drei Teilen, von denen die letztgenannten zwei auch auf diesen Seiten hier rezensiert sind, interessante Orgeln in Deutschland, Europa und der Welt vorgestellt hat, stand selbstredend die Frage: Wie weiter? Der Orgelbau auf dem Mond ist, wie die Autoren im Vorwort selbst feststellen, noch nicht sonderlich stark ausgeprägt, selbst eine Reise "Per Anhalter durch die Galaxis" erbringt nicht sonderlich viel verwertbares Material, und so kann es praktisch nur noch Ergänzungsbände zu den drei genannten Kategorien geben. Das ist im Falle Europa und Welt aufgrund der in den Rezensionen genannten räumlichen Lücken auch eine reizvolle Aufgabe, Göttert und Isenberg haben sich aber zunächst für einen zweiten Deutschland-Band entschieden - keineswegs zu Unrecht, denn auch hier stehen noch Dutzende vorstellenswerte Instrumente herum, die in den ersten Band nicht mehr hineingepaßt haben, und auch das Füllen weiterer Bände in gewissen Abständen dürfte kein großes Hindernis darstellen, zumal beim Lesen von Band 2 eines auffällt: Die Dichte von in den letzten Jahren restaurierten oder neu gebauten Instrumenten ist erstaunlich hoch. Finanzlöcher bei den Kirchen oder den öffentlichen Auftraggebern hin oder her - es finden sich immer wieder Wege, einen Orgelneubau oder zumindest eine Orgelrestaurierung zu finanzieren, und das Buch zeigt etliche verschiedene Varianten auf, was es gerade für die diesbezügliche Ideenfindung zu einer wertvollen Inspirationsquelle macht.
An der prinzipiellen Struktur des Buches hat sich im Vergleich zum ersten Deutschland- bzw. zum Europa-Band wenig geändert, zum Welt-Band dagegen schon. Der war in kleinerem Format erschienen und hatte auch auf Dispositionsangaben verzichtet (letzteres allerdings nicht ohne Grund, da die über 300 Register diverser amerikanischer Monsterorgeln arg viel Platz gefüllt hätten), mit dem zweiten Deutschland-Band nimmt man die Dispositionsnennung aber wieder auf (selbst wenn es auch hier eine Menge platzfressender Großorgeln zu behandeln gilt) und kehrt auch zum alten größeren Format zurück. Jede Orgel bekommt einen kurzen strukturellen Einleitungsteil, danach folgt die erneut eher literarisch gehaltene und überwiegend mit recht leichter Hand verfaßte Beschreibung (die selbstredend nicht ohne organologische Details wie Hinweise auf bestimmte bemerkenswerte Register auskommt), und selbst die schwankende Bildqualität entwickelt sich fast zu einem ungewollten Markenzeichen der Buchserie (einige der Instrumente sind allerdings auch verflixt schwierig zu fotografieren). Von der regionalen Aufteilung her bleiben Bremen und das Saarland weiße Flecken, auch Sachsen-Anhalt und Brandenburg müssen sich mit je einer Stadt begnügen, wohingegen in anderen Bundesländern eine gewisse Clusterbildung festzustellen ist - aber keineswegs zu Unrecht, denn in bestimmten Regionen ist die Dichte interessanter Instrumente nun mal besonders hoch, und in Band 3 oder 4 kann die Verteilung auch schon wieder ganz anders aussehen. Auch einige Doppelungen zum ersten Band gibt es, allerdings durchaus inhaltlich begründete. Denn hatte man damals, anno 1998, beispielsweise nur über einen Arbeitsstand bezüglich des neuen Instrumentes für die Dresdner Frauenkirche berichten können (und natürlich über die schon damals ausgebrochenen Konflikte, ob man denn nun die 1945 verbrannte Silbermann-Orgel nachbauen oder etwas Neues, Unabhängiges bauen solle - und nicht zuletzt, wer denn bauen solle), so ist das Instrument nun seit einigen Jahren fertig und findet in seiner neuen Gestalt Niederschlag im Buch. (Gebaut wurde übrigens etwas Neues, nicht ganz Unabhängiges, und zwar nicht etwa von einer der traditionsreichen sächsischen Orgelbaufirmen, sondern von Kern aus Frankreich.)
Soweit, so gut. Nur liegt noch ein Hase im Pfeffer: Auch an ein populärwissenschaftliches Buch wie das vorliegende stellt man den Anspruch von faktologischer Genauigkeit, und genau an dieser Stelle hapert es diesmal bisweilen etwas. Der Rezensent kann bei den Kölner "Heimatorgeln" des Autorenduos natürlich nur bedingt mitreden, bei denen seiner sächsisch-thüringischen Heimat aber schon. Gut: Das große klangliche Manko der Dresdner Frauenkirche, daß man in den Seitenschiffen nicht nur nichts sieht, sondern auch nur eingeschränkt was hört, muß man nicht unbedingt thematisieren (kann man aber, wenn man schon so eine ausführliche Stärken-Schwächen-Analyse bringt wie hier im Buch). Als Festival der verpaßten Gelegenheiten stellt sich das Kapitel über den Bautzener Dom heraus: Die seit Jahrhunderten bestens funktionierende Teilung der Kirche in einen evangelischen und einen katholischen Teil wird nur angerissen, die Orgel im evangelischen Teil zwar in der gewohnten Ausführlichkeit behandelt, die im katholischen aber nur nebenbei erwähnt. Dabei wäre gerade hier eine Gegenüberstellung mehr als reizvoll gewesen, nicht nur weil man beide Instrumente auch gleichzeitig zum Vierhändigspiel nutzen kann: Leopold Kohl, der die Orgel im katholischen Teil baute, war auch noch der Lehrmeister von Hermann Eule - auch das verbleibt als Randnotiz in einem Nebensatz, obwohl solche Konstellationen in anderen Fällen viel deutlicher ausgearbeitet werden. Fällt dies aber wie erwähnt nur unter "verpaßte Gelegenheit", so ärgern einen die diversen fachlichen Fehler. So stolpert man im Weiden-Kapitel auf S. 162 über die Info, daß sich Max Reger 1915 nach Jena zurückgezogen habe, um nur noch komponieren zu können, und dort im Folgejahr starb. Das ist gleich doppelter Unsinn: Erstens hatte Reger bis zu seinem Tode noch seine Lehrverpflichtungen am Leipziger Konservatorium und spielte auch noch Konzerte, und zweitens starb er in Leipzig und nicht in Jena. Die Schleusinger wiederum werden sich mit Händen und Füßen wehren, zu Ostthüringen gezählt zu werden, wie S. 84 das behauptet - das kleine Städtchen liegt in der westlichen Hälfte Südthüringens. Gänzlich durch Nonexistenz glänzt der auf der gleichen Seite genannte Ort Rollenbach - es dürfte wohl Rottenbach gemeint sein. Auch mit historischen Fakten ist das so eine Sache: Die Leipziger Teilung der wettinischen Gebiete in einen ernestinischen und einen albertinischen Teil fand schon 1485 statt und nicht, wie S. 80 behauptet, 1675 - daß Eisenberg Ende des 17. Jahrhunderts kurzzeitig Residenzstadt wurde, hing vielmehr mit einem kleinen Sekundogeniturfall in der Geschichte der Ernestiner zusammen. Zudem beweist S. 73, daß man auch mit gewissen Wertungen vorsichtig sein sollte, wenn man als Außenstehender auf eine bestimmte Region blickt und deren "Seele" nicht selbst verinnerlicht hat: So unglaublich ist die Entscheidung, die Wolfgangskirche in Schneeberg nach ihrer Zerstörung am 19. April 1945 wieder aufzubauen, nämlich keineswegs. Wer sich ein wenig mit der "Seele" des Erzgebirges auskennt, weiß, daß es - Staatsatheismus hin oder her - in dieser Region zum Wiederaufbau praktisch keine Alternative gab, selbst wenn dieser relativ lange dauerte.
So beschleicht einen beim Lesen bisweilen doch ein etwas ungutes Gefühl, weiß man doch nicht, ob Göttert und Isenberg auch in anderen Regionen, in denen sich die Autoren wie der Leser auch nicht so gut auskennen, noch ähnliche U-Boote versenkt haben. Zwar schmälert das den generellen Lesegenuß nicht, aber Wachsamkeit ist hier dann doch geboten. Das Urteil bleibt demzufolge etwas zwiespältig, wenngleich man die Problemfälle sogar als Anregung verstehen kann, vor Ort selber nach dem Rechten zu sehen. Eine nicht uninteressante "Strategie" für einen Reiseführer ...

Karl-Heinz Göttert/Eckhard Isenberg: Orgelführer Deutschland Band 2. Kassel et al: Bärenreiter 2008. ISBN 978-3-7618-1710-0. 224 Seiten. 28,95 Euro
 






www.Crossover-agm.de
© by CrossOver