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Christian Dornbusch/Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien
von rls anno 2004

Christian Dornbusch/Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien

Daß dieses Buch im signalroten Einband daherkommt, dürfte kein Zufall sein, obwohl ich die Optik der restlichen in der "Reihe Antifaschistischer Texte" im Unrast-Verlag erschienenen Bücher (abgesehen von den tatsächlich anders gestalteten, die auf den beiden letzten Seiten beworben werden) nicht kenne. Jedenfalls ist auf den insgesamt 544 Seiten genau das drauf, was der Titel samt Untertitel suggeriert: eine Bestandsaufnahme der unter dem schwammigen Terminus RechtsRock subsumierten Musiksparte sowie eine Sammlung von Gegenstrategien, mit denen sich die Betrachtung trotz anders vorgegebener inhaltlicher Reihenfolge anzufangen lohnt, da man damit relativ schnell fertig ist. Wer nämlich konkrete Gegenstrategien gegen RechtsRock und dessen unkontrollierte Ausbreitung sucht, wird über weite Strecken enttäuscht und findet "nur" allgemeine Strategien vor, wie man das Abdriften von Jugendlichen in die rechtsextreme Szene zu verhindern trachtet, teilweise auch konkrete Projektvorstellungen (etwa über die Brothers & Sisters Keepers, ein afro-deutsches Musikprojekt, das in seinem HipHop politische Themen und das Problem des Andersseins hier in Deutschland thematisiert und mit den Erlösen aus den Musikproduktionen verschiedene integrative Projekte fördert), aber kaum Infos, wie man denn nun im ganz realen Leben mit Leuten umgehen soll, die einem von der neuen Landser-CD, die sie sich aus dem Internet gezogen haben, vorschwärmen und die so ganz nebenbei über ihren Nigger-Bashing-Score der letzten Woche schwadronieren. Soll heißen: Viel Theorie, aber wenig Praxisorientierung findet sich in diesem Teil des Buches.
Bis man dorthin gelangt, hat man aber den ersten Teil schon durchgelesen, und das ist der wirklich wertvolle. Trotz ähnlicher Publikationen beispielsweise von Baacke/Farin/Lauffer oder Farin/Neubauer und der Tatsache, daß das Buch bereits von 2002 stammt, also faktologisch schon wieder neue Entwicklungen festzuhalten sind, besticht die in mehrere Kapitel aufgeteilte Bestandsaufnahme doch durch große Detailvielfalt, Quellenreichtum, eine vielschichtige Art der Herangehensweise und einen guten Szeneüberblick. Nur ein Totalausfall hat sich eingeschlichen, nämlich Georg Seeßlens "Gesänge zwischen Scheitel und Glatze. Anmerkungen zu den musikalischen Idiomen der RechtsRock-Musik", der sich in theoretischen pseudophilosophischen Einflußkomplexen ergeht, deren Relevanz für die praktische Szeneentwicklung zumindest phasenweise stark bezweifelt werden darf, und der auf den letzten Seiten beweist, daß der Autor vom extremen Metal und dessen vermeintlichenn oder tatsächlichen Querverbindungen nach rechts wenig bis keine Ahnung hat. Diesem Totalausfall stehen aber diverse Highlights gegenüber, etwa die entwicklungsbegleitende Abhandlung der beiden Herausgeber namens "20 Jahre RechtsRock", Liane M. Dubowys Analyse rechtsorientierter Fanzines oder der Blick über die Grenzen von Nick Lowles unter dem Titel "Die Internationale des Hasses", wo die RechtsRock-Szenen außerhalb Deutschlands zumeist recht detailliert und kenntnisreich aufgeschlüsselt werden, wenn auch auf die offen rechtsradikale Szene beschränkt (alles andere hätte den Umfang des Beitrages vermutlich gesprengt, allerdings bleiben so Graveland oder Nokturnal Mortum außen vor). Gleichzeitig macht dieser Beitrag den strukturellen Hauptkonflikt in der internationalen rechtsradikalen Bewegung deutlich: Wie soll man als Westeuropäer oder Amerikaner mit den rechtsradikalen Organisationen beispielsweise in Polen oder Rußland umgehen, wo doch Polen und Russen nach interner Szenedefinition alles andere als zur arischen Rasse gehörig sind? An dieser Frage sind (man muß fast sagen: zum Glück) schon ganze rechte Bewegungen und Organisationen zerbrochen. Eine besondere Betrachtung verdient das letzte Kapitel dieses Komplexes, "Evolas Jünger und Odins Krieger. Extrem rechte Ideologien in der Dark-Wave- und Black-Metal-Szene" aus der Feder von Johannes Lohmann und Hans Wanders. Hier fällt phasenweise eine gewisse Begriffsverwirrung auf (Exempel: daß Industrial, Gothic Rock und noch etliche andere Spielarten unter dem Begriff Dark-Wave subsumiert werden, ist Unsinn), und generell läßt sich die Position der Autoren als weit links und wenig "erdverbunden" charakterisieren - nicht jede Art der Beziehung zur Heimat ist gleich in einen rechten Kontext zu rücken, nur weil der multikulturelle und wurzellose Stadtbewohner von heute solcherart Gefühle nicht mehr nachvollziehen kann. Ansonsten ist aber auch dieses Kapitel lesenswert, wenngleich einige Fehler sowohl orthographischer als auch inhaltlicher Natur ein paar dunklere Wolken an den sonst recht blauen Himmel zaubern.
Ein reichliches Viertel des Buches nimmt schließlich noch der Statistikteil am Ende ein. Auch der ist nicht ganz fehlerfrei (so gehen ein paar interne Verweise schlicht und einfach ins Leere), aber trotzdem als wichtiges Nachschlagewerk zu gebrauchen, wenn man sich über den Status einer Band, eines Labels, eines Zines oder eines Symbols informieren möchte. Nachteil des Verzeichnisses wie des gesamten Buches ist eben nur, daß es sich auf dem Stand von Sommer 2002 befindet. Aber Neuauflagen oder andere Publikationen zum gleichen Themenkreis werden neuere Redaktionsschlußdaten haben und Lücken schließen. Bis dahin kann kritische Lektüre des Buches dem an diesen Themenkreisen Interessierten bzw. von ihnen Betroffenen empfohlen werden.

Christian Dornbusch/Jan Raabe (Hrsg.): RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien. Münster: Unrast-Verlag 2002. ISBN 3-89771-808-1. 544 Seiten. 20,00 Euro






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