www.Crossover-agm.de Werben oder erben - Teil 8: Operator, give me Jesus ...

von Kerstin Braun

Nein, ganz so schwierig wird’s in der heutigen Telefonitis-Folge für den Bandverkauf nicht. Um den potentiellen Veranstalter anzurufen, müssen wir uns nicht von der Telefonistin verbinden lassen, und der Gesprächspartner für Veranstaltungsgesuche heißt im Moment auch nicht Jesus, sondern zum Beispiel Herr Bucher.

Aber ganz so einfach wie mit der Freundin geht’s mit Herrn Bucher nun auch wieder nicht. Der will nämlich nicht zwischen Frühstückskaffee und Frühstücksei angerufen werden und sich flotte Sprüche anhören. Er hat meist eine bestimmte Bürozeit (siehe letzte Folge) und eine bestimmte Vorstellung von Leuten, mit denen er sich länger als drei Sekunden unterhalten möchte. In den meisten Fällen gehören die mit “Ey, Alter, mir wolln ma in dei Ladn spieln” nicht dazu. Andererseits muß man sich aber auch nicht wie ein Telefonverkäufer benehmen, der’s dringend nötig hat. Natürlichkeit und Respekt vor der Person am anderen Ende der Leitung sind gefragt.

Kennt man Herrn Bucher nicht, dann ist es am besten, wenn man ihn zunächst mit “Sie” anredet. Habt Ihr allerdings nach den ersten Sätzen das Gefühl, daß Herr Bucher eher ein salopper Typ ist, seine Gesprächspartner grundsätzlich duzt und selbst auch lieber mit Roland angeredet werden möchte, dann könnt Ihr das natürlich tun. Entfährt das “Du” Euch unabsichtlich und Ihr wißt nicht genau, wie es ankommt, könnt Ihr Euch immer noch dafür entschuldigen - und auf die Reaktion warten, ob es vielleicht doch dabei bleiben kann. Ein wenig Feingefühl müßt Ihr an dieser Stelle entwickeln.

Grundsätzlich ist es wichtig, Herrn Bucher nicht mit Informationen zu bombardieren, damit er Euch die Band abkauft, sondern auch Fragen zu stellen und zuzuhören. Das haben die meisten Telefonverkäufer nicht gelernt oder schnell wieder vergessen, denn auf den ersten Blick scheint es unlogisch: 60% des Verkaufens bestehen aus Zuhören, und nur 40% aus Reden (Fragen!). Nur so könnt Ihr ein Gespräch aufbauen und am Laufen halten und vermeidet damit, so zu klingen, als würdet Ihr einen gelernten Spruch aufsagen. Außerdem wollt Ihr ja tatsächlich auch was vom Veranstalter wissen (siehe letzte Folge: Ob Eure Musik paßt, wie groß der Raum ist usw. - Stichwortzettel vorbereiten!), und wenn er merkt, daß Ihr ihm nicht um jeden Preis was aufschwatzen wollt, wird er auch nicht versuchen, Euch als lästige Anrufer abzuschütteln.

Trotzdem wollt Ihr Roland, Verzeihung, Herrn Bucher, natürlich von etwas überzeugen, sofern er grundsätzlich Interesse zeigt. Und das geht am besten, wenn Ihr dazu aufsteht. Richtig gelesen: Für wichtige Telefongespräche solltet Ihr nicht sitzen, sondern stehen. Es sieht Euch ja (hoffentlich) keiner zu, der das seltsam finden könnte. Herr Bucher sieht das auch nicht? Stimmt, aber er hört es. Natürlich nicht bewußt - aber man hört einer Stimme die Haltung an, nicht nur die innere, sondern auch die äußere. Es gibt natürlich auch schauspielerische Naturtalente, die mit den Füßen auf dem Schreibtisch klingen können, als hielten sie eine Rede vor dem Bundestag. Im Normalfall “hört” aber Herr Bucher auch die Füße auf dem Schreibtisch, und darauf würde ich es lieber nicht ankommen lassen. Ich habe den Tip mit dem Aufstehen auch zunächst für albern gehalten - aber man muß es einfach mal ausprobieren, um festzustellen, daß man im Stehen tatsächlich eine andere innere Haltung entwickelt und damit auch anders spricht und überzeugender wirkt. Man “hört” übrigens auch ein freundliches Gesicht! Radiomoderatoren lernen zum Beispiel in ihrer Ausbildung, beim Sprechen zu lächeln, und wenn das jemand tut, ist es tatsächlich zu hören. Also stellt Euch einfach vor, Herr Bucher wäre im Raum und Ihr würdet direkt mit ihm sprechen - und macht das entsprechende Gesicht dazu. So kommt das am natürlichsten rüber; Ihr sollt ihn ja andererseits auch nicht schleimig angrienen und ihm die Staubsaugerversicherung verkaufen.

Und wie verhandelt Ihr nun mit Herrn Bucher? Ihr habt natürlich feste Vorstellungen, was Gagenhöhe und sonstige Konditionen betrifft (wenn nicht - schlag nach bei Crossover 3/98 respektive hier); die verklickert Ihr ihm jetzt, und entweder schluckt er das oder es hat sich eben erledigt ... nein, so lieber nicht. Herr Bucher soll Euer Vertragspartner und nicht Sparring-Gegner werden, beide zusammen wollt Ihr dem Dritten im Bunde - nämlich dem Publikum - einen schönen Abend bieten und selbst auch noch Spaß daran haben. (Bestenfalls handelt es sich bei Herrn Bucher auch um einen Veranstalter, der sein Musikprogramm bewußt gestaltet und sich freut, wenn sich seine Gäste freuen - schlimmstenfalls ist er ein Geldwäscher, der gelegentlich Bands in seiner Kneipe spielen läßt, damit er Plakate raushängen kann und irgendwelche Leute anlockt, die dann möglichst viel konsumieren sollen. Musik ist egal, Hauptsache billig. Ob Ihr Euch mit diesem Herrn Bucher einlassen wollt, müßt Ihr selber wissen - meist ist das Publikum entsprechend.) Versucht also, die Dinge nicht nur aus Eurer Sicht zu betrachten, sondern auch aus der Sicht des Gesprächspartners. Geht davon aus, daß Ihr gemeinsam mit dem Veranstalter ein Problem lösen wollt, nämlich: Wie bietet man dem Publikum gute Unterhaltung, ohne daß der Veranstalter pleite geht oder die Musiker am Hungertuch nagen müssen? Wenn Herr Bucher merkt, daß Ihr Euch in seine Lage versetzen könnt, wird er auch eher bereit sein, auf Eure Wünsche und Vorstellungen einzugehen.

Es mag Euch als Schwäche erscheinen, wenn Ihr Euch “runterhandeln” laßt, aber das muß es nicht sein. Natürlich gibt es Grenzen nach unten; aber die Bereitschaft, Lösungen zu finden und verschiedene Möglichkeiten anzubieten, ist professioneller, als hundertprozentig alles durchsetzen zu wollen und auf der Rechtmäßigkeit aller Forderungen zu bestehen. Davon habt Ihr meist nichts anderes als einen verärgerten Gesprächspartner und sowohl dort keinen Gig, als auch nicht bei Eurem nächsten Gesprächspartner im Nachbarort. Den kennt nämlich Herr Bucher gut, und als der letztens Euren Namen erwähnte, hat ihn Herr Bucher gewarnt, daß er sich diese arrogante Truppe bloß nicht ins Haus holen soll, mit denen gäb’s eh nur Probleme.

Auch wenn die Verhandlungen diesmal scheitern, ist das noch lange kein Grund, den Hörer auf die Gabel zu knallen. Dann waren die Ausgangspositionen einfach zu verschieden, aber das kann sich ja auch mal ändern. Verabschiedet Euch freundlich - man weiß ja nie, wie und wo man mal wieder auf Herrn Bucher trifft.

Auf die Schnelle:

1. Nicht “zwischendurch” telefonieren, sondern innerlich darauf einstellen, Stichwortzettel bereithalten, aufstehen.
2. Freundlich und respektvoll mit dem Gesprächspartner verhandeln. Nicht zu flapsig, aber auch nicht übertrieben höflich (arg freundlich - “arschfreundlich” sagt man dazu in Leipzig).
3. Dem Gesprächspartner zuhören, Lösungen finden. Gegebenenfalls auch um Bedenkzeit bitten und nochmal zurückrufen.
 

Hier geht's zum 9. Teil von "Werben oder erben".



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