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Party.San Open Air 2016   11.-13.08.2016   Schlotheim-Obermehler
von ta

Ach je. Dass die Startbedingungen für ein Festival nicht jedes Jahr optimal sind, ergibt sich ab einer bestimmten Anzahl an Festivaljahren einfach. Kann ja tausend persönliche oder nichtpersönliche Gründe haben. So auch beim schönsten Metal-Festival der Bundesrepublik. 2010 stand das Zelt bereits beim Aufbau in einer Pfütze und war am Abreisetag die Pfütze selbst. 2014 musste ich zum ersten Mal seit 15 Jahren allein auf ein Festival reisen. Und 2016 - schweigen wir drüber. Manche Winkelzüge des Lebens sind einfach Mist. Das musste jetzt mal gesagt werden.
Es war jedenfalls bereits am Donnerstag klar, dass für mich das PSOA 2016 nur aus diesem Donnerstag bestehen würde. Und da CrossOver nur selten die Kapazität hat, Delegationen auf Konzerte zu schicken, endet dieser Rückblick auch mit dem Donnerstag.

Aber vor dem Ende steht gottlob noch eine Mitte. Und vor der Mitte der Beginn. Und vor dem Beginn Irrsal und Wirrsal. Finsternis über Urwirbels Antlitz. Am sechsten Tag Leipzig. Und von da kommend II. Das ist der Beginn. II tragen Kapuzen, haben tiefschürfende Liedtitel wie "Genocide Ritual" und trommeln ihren Black Metal rau, urig, mäßig bewegt. Schon OK.

Dann ein Déjà-vu. Wir sind plötzlich in den späten 90ern, als es noch nicht chic war, Kapuzen zu tragen und eine Black-Metal-Band auch aus lieben Kerls bestehen durfte. So wie die Schweden Mörk Gryning, die sich 2005 mit der Begründung, sie hätten den Bezug zum Black Metal verloren, aufgelöst hatten. Und die mit ihrem Reunion-Gig auf dem Party.San 2016 nochmal bekräftigen, dass die Begründung seinerzeit sehr aufrichtig war. Einfach nichts an diesem Auftritt ist konsistent. Das geht bei der Optik los: Die Musiker sind wechselweise blutbeschmiert, einfach weiß, einfach dreckig oder haben ganz auf Bodypaint verzichtet. Die Musik ist konfus, wechselt abrupt von sehr starken Riffs in peinliche und überlaute Keyboard-Teppiche, ab deren Auftauchen man nichts mehr ernst nehmen kann. Vom Bassisten kommen dazu Hardcore-mäßige Shouts. Sänger Avatar keift in den Songs garstig, hat sich für die Pausen aber liebevolle deutschsprachige Ansagen ausgedacht, etwa "Seid ihr gut? Wir seid auch gut!" oder "Das erste Mal unsere Existenz haben wir auch Vinyle bekommen." Das ist einerseits seiner Komik wegen schon wieder unterhaltsam, zumal es wie gesagt starke Momente gibt. Aber Mörk Gryning haben im Gegensatz zu anderen dem Black Metal entstammenden, aber der Avantgarde zugeneigten Bands kein reflektiertes Verhältnis zu der Szene entwickelt, aus der sie ursprünglich stammen. Was sie an Elementen der Tradition aufnehmen, wirkt relikthaft, unpersönlich und eher einem Zwang entsprungen, siehe Optik. Konzeptuell ist hier noch eine Menge aufzuholen. Aber wer weiß, ob dieser Auftritt überhaupt mehr als eine Eintagsfliege aus Spaß an der Freude war.

Bei Gruesome ist das Konzept dann wieder einheitlich. Musik, Klamotte und Stageacting sind eine filzstiftdick gezeichnete Hommage an das Tampa der späten 80er, insbesondere Death zu unseligen "Scream Bloody Gore"- und "Leprosy"-Zeiten, wobei es gesanglich auch Parallelen zu Obituary gibt. Absolut nicht mein Bier, aber grundehrlich in seiner Epigonenhaftigkeit, denn mit "Open Casket" und "Land Of No Return" gibt es im Laufe des Sets gleich zwei Schuldiner-Cover.

Zu Tribulation steht in meinen Notizen nur "Keine Ahnung/CD-Stände angeguckt/Bestimmt wie sonst". Hab schon Ärger dafür bekommen, weil die sehr gut gewesen sein sollen. Die darauffolgenden Necros Christos sind musikalisch eine der stärksten Bands des diesjährigen PartySan. Punkt. Sie sind aber eher eine Club-Band. Auf der großen Festivalbühne und bei Tageslicht kann die bewegungsarme und uncharismatische Show nicht vollständig durch Atmosphäre kaschiert werden. Zudem ist die Bassdrum zu laut abgemischt, so dass ihre um Doom und Spiritualität erweitere Auslegung von Bolt Thrower nicht völlig zur Geltung kommt. Das habe ich fesselnder erwartet. Trotzdem gut, weil, wie gesagt, Mucke geil und so.

Die Bombast-Metaller Arcturus sind gleichfalls musikalisch über alle Zweifel erhaben. Und auch sie haben das Problem, dass mit Einsatz der Doublebass nicht mehr viel vom Rest zu hören ist. Schade drum, zumal das Party.San eigentlich immer mit einem super Sound punktet. Ansonsten ist der Gig aber eine souveräne Punktlandung, bei der man sogar die Spielfehler nicht missen möchte. Er startet mit "Evacuation Code Deciphered", die erste Strophe beginnt und wird prompt instrumental performt, da Sänger Simen Hestnęs noch nicht auf der Bühne steht. Wäre bei Necros Christos noch peinlich gewesen, ist hier aber OK, weil Arcturus ja eh etwas neben der Spur stattfinden. Pippi-Langstrumpf-Zöpfe, Wollmützen, Wangenrouge, Silberfolienkostümierung und was eben alles sonst noch dazugehört lassen die Traditionalisten im Publikum kopfschüttelnd fliehen. Setlisttechnisch werden fast alle Alben berücksichtigt: Das inzwischen zwanzig Jahre zurückliegende Debüt mit "To Thou Who Dwellest In The Night", der streitbare Neuling mit "Arcturian Sign", "Game Over" und "Angst" (als Closer) und die Alben dazwischen mit den gigantischem Volltreffern "Chaos Path" und "Shipwrecked Frontier Pioneer"; lediglich "The Sham Mirrors" wird ausgespart, was bei engen 45 Minuten Spielzeit aber verschmerzbar ist. Highlight ist neben Simens abgedrehter Gesangsperformance das Schlagzeugspiel von Hellhammer. Während mich sein Extrem-Drumming bei Mayhem gerade live nicht überzeugt, ist das detailreiche, verjazzte, dabei jederzeit groovige Spiel auf einer Bühne mit Arcturus eine Ohrenweide.

Es folgt der heißeste Scheiß der Gegenwart. Mgla sind in aller Munde und selbst wenn man die Begeisterung um diese Band wie der Autor dieser Zeilen nur zu 80% nachvollziehen kann, ist es doch schon ein Erlebnis, diese Begeisterung überhaupt zu erleben. Bei keiner anderen Band dieses Tages hatte ich das Gefühl, dass eine so große Menge Menschen hier nachhaltig berührt wird von dem, was gerade passiert. Weiter vorne im Publikum ist gut Bewegung, weiter hinten wird es ruhiger, aber jeder wirkt konzentriert und bei der Sache. Hut ab, wem das als Musiker gelingt. Bei Mgla stimmen die Rahmenbedingungen: Brillanter Sound inklusive sauber getriggerter Drums, eine stimmungsvolle Lichtshow, die nur aus den Farben Blau und Weiß besteht, sowie wie bestellt ein atmosphärischer Nachthimmel im Hintergrund. Und so wird es trotz ähnlich statischer Performance wie bei Necros Christos ein vollends überzeugender Gig, mit wechselweise von "With Hearts Toward None" und "Exercises In Futility" stammenden Episoden, die an Melodie und Groove nicht geizen, ohne dabei auch nur eine Sekunde kitschig zu sein. Und egal mit wem man sich danach unterhält, O-Töne a la "Das war jetzt schon der beste Gig dieses PSOA" sind Standard. Der späte Slot war definitiv berechtigt.

Bei den Oldies von Obituary gönne ich mir eine Pause, welche an dieser retrospektiven Stelle durch Abhandlung der Zeltbands gefüllt werden soll. Die sind ja oft ein Schmankerl des Party.San, leider in diesem Jahr besonders an den zwei Tagen, die ich nicht wahrnehmen kann. Der Donnerstag gestaltet sich als Themenabend von War Anthem Records, die der Ausrichtung nach nie meine Baustelle waren, aber das ist Geschmackssache. Ered, Graveyard, LIK und Bombs Of Hades bewegen sich alle mehr oder weniger im Old School Death Metal und legen durchweg engagierte Auftritte auf die Bühne, werden aber im Handumdrehen von den Veteranen Purgatory getoppt, die auch mit 23 Jahren Geschichte im Rücken eine Vitalität wie ein Newcomer ausstrahlen, sich von A bis Z die Rüben abschrauben, musikalisch angenehm häufig auf Blastbeat-Sperrfeuer setzen und von einem rammelvollen Zelt extremst abgefeiert werden. Nicht sonderlich subtil, aber geil.

Auf der Hauptbühne beenden Paradise Lost den Donnerstag. Die sind auch Veteranen und spielen diesen Status mit einem beinharten Set voll aus. "Pity The Sadness", "Dead Emotion", "Rapture", "Eternal" und "Embers Fire" vertreten die doomige Früh- bis Mittneunziger-Phase dieser bekanntermaßen im Laufe ihrer Karriere sehr phasenreichen Band und die neuen Tracks "No Hope In Sight" (als Opener), "Flesh From Bone" (sehr geil) und "Beneath Broken Earth" sind ja ebenfalls schwerer Doom-Stoff. Straighte Auswahl, meine Herren. Der Rest der Spielzeit dient einigen Unvermeidbarkeiten: "Hallowed Land" und "As I Die" im Doppelpack relativ früh verschossen, sowie gegen Setende "The Enemy" und als Zugabe "Say Just Words", die einzige Softienummer des Sets.
Nicht nur die Auswahl der Stücke ist heavy, die Briten strahlen auch selbst wieder mehr Power aus als zuletzt. Insbesondere die Gitarrenfraktion um Gregor Mackintosh und Aaron Aedy hat sichtlich Spaß daran, mal wieder dick loszuriffen und gleicht sich beim Headbangen gegenseitig aus: Was Aedy an Haupthaar fehlt (nämlich alles), hat Mackintosh mit seiner baumlangen Rastamatte inzwischen zuviel. So richtig vom Publikum goutiert wird der an die Festivalbedürfnisse angepasste Gig zwar nicht, aber ich persönlich habe deutlich weniger Bums und Spielfreude erwartet und strecke daher beide Daumen nach oben.

Und das war es auch schon. Vidargängr, Obscura, Immolation, Sulphur Aeon, Mosaic, Rebaelliun - schön wäre es gewesen, euch zu sehen. Wir verschieben das auf später.



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