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Nephilim, Herfst, The Last Hangmen   16.04.2016   Leipzig, Bandhaus
von rls

Zwei Drittel dieses Packages hatten knapp dreizehn Monate zuvor schon einmal im Bandhaus die Bühne geteilt, und The Last Hangmen, die pünktlich 21 Uhr ihren Set mit einem langen Intro eröffnen, sind eines dieser zwei Drittel. Nun hatte weiland dieser Gig einen markanten Wendepunkt in der Bandgeschichte der Dresdner markiert, war es doch das Debütkonzert des neuen Drummers Frank, der sich damals gerade in der Einarbeitungsphase befand, so daß sein Vorgänger Ronny noch das Gros des Sets spielte und sich Frank dann zum Setcloser "Sleep Tight" erstmals livehaftig hinters Hangmen-Drumkit klemmte. Mittlerweile hat der Neue fleißig geübt, verrät der Sänger, und obwohl er vielleicht nicht ganz so augenfällig virtuos spielt wie Ronny, so gönnt auch er sich neben den traditionellen Rhythmusaufgaben das eine oder andere technische Kabinettstückchen und macht damit deutlich, daß er prima in diese Zusammenrottung von Könnern paßt. Leider kann man an diesem Abend das Können speziell der Gitarristen nur bedingt nachvollziehen, denn das Klangbild gerät einen Deut zu laut und damit gerade in den Gitarren so unscharf, wie es für melodischen Death Metal ungewollt tödlich ist - die Soli hört man überwiegend gut durch, die sonstigen und planmäßig reichhaltig vertretenen Melodien gehen zu sehr im Grundgeräusch unter. Das ist schade und raubt dem Material einen gewissen Teil seines Reizes, aber wenigstens nicht den kompletten, zumal nach dem traditionellen Hypocrisy-Cover "Eraser" an Setposition 3 eine gewisse Besserung eintritt und man besonders im Folgesong sehr interessanten Strukturen lauschen kann. Der heißt "Black Fall Harvest", ist noch unkonserviert und nimmt im Intro zunächst das Tempo von "Eraser" auf, sprintet aber bald im Blastspeed los - und die Variation, die Frank in dessen erster Tempoverringerung spielt, ist so interessant, daß sie auch dann beibehalten werden sollte, wenn sie so nicht geplant und nur ein Verhaspler war. Im weiteren Verlauf geht der Song auch noch in für Hangmen-Verhältnisse extrem schleppenden Doom über und markiert temposeitig somit die beiden Pole des Bandschaffens. Auch einige andere noch unkonservierte Tracks finden sich im Set, etwa das publikumsseitige Mitarbeit erfordernde "Death To The Immortals" oder der Setcloser "Greetings", der vor dreizehn Monaten mitten im Set gespielt worden war, mit seinem epischen Outro aber viel besser ans Ende paßt, wie sich an diesem Abend herausstellt. Der Sänger, nach wie vor ausschließlich der halbhohen Kreischartikulation zugetan und relativ weit in den Hintergrund gemischt, entpuppt sich wieder als sympathischer Spaßvogel, der "Little Ease" mit dem üblichen Metallica-"Smoke On The Water"-Wendnamenverbachsler einleitet, und der Bassist trägt später eine Jeansjacke mit einem Aufnäher der legendären Doom-Amis Winter, deren "Into Darkness"-Meisterwerk der Rezensent zufälligerweise drei Tage vorher auch mal wieder im Player hatte.
Vor dreizehn Monaten nicht dabei waren Herfst, und die Belgier spielen auch nicht als Headliner, wie man es für die internationalen Gäste wohl vorgesehen hatte, sondern entscheiden sich für den Mittelplatz im Billing. Auf den aktuellen Promofotos sind sie noch zu viert, auf der Bühne steht aber ein Quintett - die Gitarrenfraktion ist wieder zweifach besetzt. Nur leiden Herfst anfangs unter ähnlichen Soundproblemen wie The Last Hangmen, denn obwohl die Gesamtlautstärke etwas niedriger liegt, hört man vor allem anfangs wenig von den Gitarreneinzelheiten, was sich im Verlaufe des Sets zumindest beim Leadgitarristen allerdings deutlich bessert, wenn der Drummer nicht gerade sehr intensiv-schepprige Beckenarbeit verrichtet und damit vor allem in Richtung Setende eine starke akustische Dominanz ausübt. Selbiger Mensch, der einzige Kurzhaarige der Band (dafür mit Rasputin-Bart), lohnt allerdings wie schon Hangmen-Frank auch für Nicht-Drummer durchaus eine nähere akustische Betrachtung und erweist sich als absoluter Könner seines Faches, was man dann schrittweise auch für den Leadgitarristen erkennen kann, der seine äußerst geringe Bewegungsfreudigkeit mit phantasievollem Spiel locker wettmacht und dem Bandsound damit den entscheidenden Pfiff gibt. Selbiger ist irgendwo in der Grauzone zwischen Black und Death Metal anzusiedeln und beginnt ab "The Thing From The Deep" an Setposition 3 nicht nur soundlich besser, sondern auch kompositorisch vielschichtiger zu werden, was im Setcloser "Towards New Shores", dem Titeltrack der aktuellen EP, dann in regelrecht hymnischen Passagen mündet, die freilich schon in diversen Songs zuvor, etwa "Mirror", vorbereitet worden sind. Der Sänger ist wie sein Hangmen-Kollege relativ weit in den Hintergrund gemischt und artikuliert sich zumeist deathmetallisch grollend, nur selten höhere, kreischigere Tonlagen aufsuchend. Den Schalk hat allerdings auch er im Nacken, wenn er dem Publikum einen "Song to dance" verspricht, aber dann einer kommt, der tanzende Bewegungsabläufe eher kompliziert macht. Generell hinterlassen die Belgier einen sympathischen Eindruck und räumen zwar nicht gnadenlos ab, ernten aber durchaus positive Reaktionen (wenngleich sie an der stringenten Überbrückung von Songpausen noch arbeiten müssen) und hängen noch einen alten Song namens "Necromance" als Zugabe an, der stärker nach der Sorte ursprünglichem melodischem Death Metal klingt, wie ihn etwa die mittelfrühen Hypocrisy spielten.
Nephilim haben, so stellt man bei einem Blick auf die Bühne mit einer gewissen Überraschung fest, ihre Keyboarderin wegrationalisiert - deren Beiträge kommen jetzt vom Band, und das betrifft sowohl das Tastenspiel samt der zugehörigen Effekte als auch ihre Gesangspassagen als Kontrast zu Christians herbem Gekreisch, wobei man letztere überwiegend gut durchhört und erstere zumindest an strategisch wichtigen Stellen auch. So ergibt sich das nur auf den ersten Blick überraschende Bild, daß Nephilim trotz der meisten abzumischenden Elemente den klarsten und (da liegt doch ein Hase im Pfeffer) auch lautstärketechnisch angenehmsten Sound des Abends einstecken dürfen und zudem Christian auch am weitesten von allen drei Vokalisten im akustischen Vordergrund steht, wenngleich man bei seiner herben Artikulation von den deutschen Texten trotzdem nicht allzuviel versteht. Stilistisch siedelt das Quintett nach wie vor in dem, was man in der Musikgeschichte als Dark Metal zu bezeichnen pflegte und was heutzutage weitestgehend ausgestorben ist. "Ein Sturm bricht los", "Aufbruch" oder die Bandhymne "Nephilim" stehen prototypisch für den Stil der Zwickauer, und wenn Christian eine Ballade ankündigt, dann ist das trotz ruhigerem Einleitungsteil des "Erwachen"-Titeltracks nach wie vor ähnlich unernst gemeint wie große Teile seiner restlichen Ansagen, wenngleich er irgendwann zwischendurch behauptet, es müsse jetzt unbedingt weitergehen, weil ihm gerade kein Blödsinn mehr einfiele. Eine neue, leicht iroähnliche Frisur hat er sich übrigens auch zugelegt, und generell hinterläßt irgendwie die ganze Truppe einen derartig knuddelbärigen Eindruck, daß sich nicht nur das Vorhandensein diverser holder Weiblichkeit im Publikum erklärt, sondern man irgendwie das Gefühl hat, die (technisch fitte!) Truppe könne locker auch noch ein Sideproject im Stile von Freedom Call ins Leben rufen. Elf Songs umfaßt der Hauptset, und als Zugabe legt die Band noch "Ein neuer Tag" nach, demonstrierend, daß sie in den letzten dreizehn Monaten offenbar fleißig geübt hat, denn im Gegensatz zu damals, als der Song gleich dreimal angespielt werden mußte, klappt er diesmal auf Anhieb und schließt einen abermals interessanten Gig auf gutem Niveau ab.



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