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Minerva, Lau   29.01.2016   Jena, Kulturbahnhof
von rls

Aus dem Umfeld des Potsdamer "Brausehauses", eines Undergroundkünstleraktivs, das eine ehemalige Limonadenfabrik nutzt, stammen beide Acts dieses Abends. Die Openerrolle fällt dabei Lau zu, die unter den acht Bands, die der Rezensent in der aktuellen Konzertsaison bisher im Kulturbahnhof erlebt hat, strukturell eine Art Paradiesvogelrolle einnehmen: Ihre Songs sind so kurz, daß sie in nur wenig mehr als einer halben Stunde Spielzeit immerhin gleich zehn unterbringen - diverse Kollegen hatten zu gleicher Zeit gerade mal mit ihrem zweiten Song begonnen. Heißt praktisch: Lau, die früher übrigens mal Tanker hießen, mögen ihren Rock kompakt, einige Songs muten gar ein wenig fragmentarisch an, und die eine oder andere Idee wünschte man sich durchaus noch erschöpfender behandelt. Gute solche hat das Quartett nämlich durchaus, und es weiß auch geschickt auf der Dynamikkurve Eckpunkte zu setzen, indem beispielsweise nacheinander das eher flotte "Ronny" und das zurückgenommene "Acht Sekunden" erklingen. Getextet wird in Deutsch, und es ist schade, daß der einzige kleine Kritikpunkt am Sound ausgerechnet die Mikrofoneinstellungen betrifft, die einen Tick zu distanziert sind, so daß man die Texte nicht durchgängig versteht und so schwer bewerten kann, ob der kultig-kuriose Eindruck nur durch die partielle Soundfragmentierung entsteht oder schon so im Material angelegt ist. Der Sänger, der auch die Leadgitarre spielt, befleißigt sich zudem eines merkwürdigen Mischidioms aus schnoddrigem Gesang Marke Rio Reiser und einem sprechend-appellierenden Gestus, und den Humorfaktor der Band unterstreicht beispielsweise die Tatsache, daß sie einen Song "Komm tanz mit mir" nennen, aber dann mit dem Hörer Schabernack treiben und ihm einige durchaus schwierig tanzbare Rhythmen vorsetzen. Zwei der Songs sind instrumental gehalten, der eine davon brandneu, und diese unterstreichen, daß die Mittel der Band durchaus ausreichen, um auch ohne Gesang spannende Kompositionen zu schaffen. Vergleichsbands zu benennen fällt schwer - wer sich vorstellen könnte, daß Ton Steine Scherben Stonerrock spielen, liegt vielleicht nicht ganz falsch, und wer Dream Diver noch kennt, findet ebenfalls einen brauchbaren Ankerpunkt. Das optisch patchworkige Quartett (Bassist und Drummer langhaarig und optisch bruderkompatibel, Rhythmusgitarrist scheinbar eine halbe Generation älter, Sänger normaler Twen) erntet jedenfalls durchaus verdienten Applaus und schafft es, das eine oder andere Tanzbein im Publikum schon mal warmlaufen zu lassen, aber der letzte Begeisterungsfaktor bleibt aus.
Den gibt es dafür dann bei Minerva - und das, obwohl deren Sänger/Bassist angeschlagen ins Rennen geht und den Gig stimmlich nur durchhält, weil ihm die Cosmic-Dawn-Veranstaltercrew eine große Tasse Tee gebraut hat und zudem die Songs ihm die Möglichkeit bieten, auch mal länger zu verschnaufen, wohingegen er gleich im mehrstimmigen Intro gefordert wird, die Anforderungen aber durchaus gekonnt meistert. Sangespartner sind hier der Gitarrist (mit Mikrofon, aber relativ weit entfernt von selbigem singend) und der Drummer (ohne Mikrofon und daher naturgemäß nur mit einer Hintergrundfunktion), aber solche mehrstimmigen Passagen bleiben im weiteren Verlauf des Sets eher selten. Mit sieben Songs plus einem als Zugabe spielen Minerva zweieinhalbmal so lange wie Lau - sie sind also Freunde ausladender Kompositionen und siedeln irgendwo im Progrock-/Progmetalareal, ohne sich aber irgendwo definitiv verankern zu wollen, mit einer Ausnahme: Spätestens als im dritten Song, der den kryptischen Titel "Urzel Schnurz" trägt, ein Saxophonist mit auf die Bühne steigt und dort auch für den Rest des Sets aktiv bleibt (mit Fast-Ausnahme des Setclosers "All I've Done", der ohne sein Instrument auskommt, ihn dafür aber für einige deutsch deklamierte Zeilen, die die Uniformität und Maschinisierung des heutigen menschlichen Lebens anprangern, ans Mikrofon wechseln läßt), springt einen ein Vergleich zu den frühen King Crimson förmlich an, und das ist beileibe nicht die schlechteste Referenz, die man als junge Potsdamer Band ums Revers gebunden bekommen kann. Der psychedelische Faktor fällt allerdings vergleichsweise niedrig aus, und Klangweltenerforscher wie Robert Fripp sind Minerva auch nicht - sie bewegen sich auf bekanntem Terrain, machen dort allerdings eine exzellente Figur und wissen Spieltechnik und Gefühl gekonnt miteinander zu verbinden. Dazu tritt der Humorfaktor, der sich in den Ansagen Bahn bricht ("Das Leben als Rockstar hat ja auch so seine Schattenseiten - aber die haben wir noch nicht kennengelernt"), und wenn jetzt noch der Sänger richtig gesund gewesen wäre, man hätte von einem durchgängig erstklassigen Gig sprechen dürfen. Dabei kämpft der durchaus und hat auch Erfolg, aber man wird das Gefühl nicht los, die Band doch lieber nochmal hören zu wollen, wenn er wieder richtig fit ist. Allen wüsten Taktarten zum Trotz verstecken Minerva aber trotzdem reichlich Grundsatztanzbarkeit in ihren Songs, und das weiß das Publikum auch zu würdigen und schwingt zumindest zu diesen Gelegenheiten im Verlaufe des Gigs zunehmend das Tanzbein (wenn auch nicht ganz so heftig wie z.B. bei Monomyth sechs Wochen zuvor an gleicher Stelle), während ansonsten eher aufmerksames Mitverfolgen der musikalischen Evolution (die so manch spannendes Ergebnis zeitigt) angesagt ist. Solange die deutsche Szene solche Bands hervorzubringen in der Lage ist, braucht man sich um sie keine Sorgen zu machen und sollte dann bei ihnen nur die Säle füllen - da läßt der Abend nämlich durchaus etwas Spielraum nach oben, obwohl Minerva nicht zum ersten Mal im Kulturbahnhof spielen. Aber die Anwesenden spenden reichlich Applaus, und so kommt das Quartett auch nicht um die Zugabe "Before I Lost My Fight Inside" herum, die aufgrund ihrer Rhythmik eher in die Zuhör- als in die Tanzbein-Kategorie fällt, aber einen starken Gig trotzdem prima abschließt.

Setlist Minerva:
A Child Was Born In The Middle Of Spring
Hastily
Urzel Schnurz
Talk To The Sea
Neuer Song, bisher unbetitelt
Anti Ego
All I've Done
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Before I Lost My Fight Inside



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