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Mother's Finest   31.10.2015   Dresden, Tante Ju
von rls

Es muß 1993 gewesen sein, als der heutige Rezensent das erste Mal auf den Bandnamen Mother's Finest stieß, nämlich auf Reviews im Kontext des 1992er Albums "Black Radio Won't Play This Record" bzw. der anschließenden Tour. Nicht allzu lange später entdeckte er in einem Kaufhauswühltisch, nein, nicht das eben erwähnte Album, sondern den schlicht "Mother's Finest Live" betitelten Konzertmitschnitt aus dem Jahr 1979, den er prompt im Ware-Geld-Tausch erwarb und der damals noch sehr überschaubaren CD-Kollektion hinzufügte, was zugleich eine gewisse "heavy rotation" im Player bedeutete, wonach der Bandname zunächst als "interessante Liveband, bei passender Gelegenheit mal anschauen" abgespeichert wurde. Unglücklicherweise machten sich Mother's Finest in den Folgejahrzehnten allerdings eher rar oder verstörten die rocksozialisierte Hörerschaft mit rockarmen Experimentalplatten - so dauerte es über 20 Jahre, bis das Vorhaben in die Realität umgesetzt werden konnte, wobei zwischenzeitlich zwar noch nicht alle, aber doch einige der Studioalben in der CD-Sammlung des Rezensenten gelandet sind, u.a. auch das oben erwähnte 1992er Album.
Selbiges aber wird, so stellt sich heraus, paradoxerweise in der Setlist eher stiefmütterlich behandelt - der Fokus liegt auf "Another Mother Further", dem 1978er Durchbruchsalbum, sowie auf dem neuen Studioalbum "Goody 2 Shoes & The Filthy Beasts", das nach ewiger diesbezüglicher Abstinenz anno 2015 nun endlich das Licht der Welt erblickt hat. Das Attribut "paradoxerweise" bezieht sich darauf, daß die Stücke live überwiegend mit einem knackigen Rock- bis Metalfaktor herübergebracht werden, wie er in der Studioversion am ehesten für das besagte Album typisch war. Fünf der heutigen sechs Mitglieder waren seinerzeit für selbiges Werk verantwortlich (der damalige Sechste im Bunde, Sound-Barrier-Gitarrist Spacey T., fungierte offiziell nur als Gastgitarrist), und mit Drummer Dion Derek und Gitarrist John Hayes wurden zwei Musiker neu ins Bandgefüge aufgenommen, die auch noch heute prägenden Einfluß ausüben - dazu kommt als sechster Mann heute Gitarrist Moyses Mo, der schon zur Urbesetzung zählte und bürgerlich übrigens auf den Namen Gary Moore hört, was in der Vergangenheit durchaus schon mal zu Verwechslungen mit seinem populären Namensvetter geführt hat. Heißt praktisch: Mother's Finest haben aktuell zwei Gitarristen, und das hört man dem Livesound im positivsten Sinne auch an, zumal es der Mixer auch noch schafft, bis auf kurze Momente in der Setmitte alles in einer angenehmen, aber trotzdem druckvollen Lautstärke zu positionieren und zudem Bassist Wyzard ausreichend Raum für sein originelles Spiel zu geben, auch wenn der Rezensent angesichts der Beschreibungen aus den vergangenen Jahrzehnten einen irgendwie expressiver agierenden Mann erwartet hätte. Aber sowohl er als auch Drummer Dion spielen sehr songdienlich und zeigen nur gelegentlich Kostproben ihres exzellenten technischen Könnens, wobei Wyzard im Zugabenblock (!) auch noch ein Solo auspackt. Aber im Rampenlicht stehen andere: das singende Gründungsehepaar Joyce Kennedy und Glenn Murdock etwa, das sich die Lead- und Backingaufgaben gerecht aufteilt und unter Beweis stellt, daß es immer noch gleichermaßen technisch sauber wie expressiv singen kann (die Rhythmusgruppe sorgt in feiner Manier für die Backingvocals) - und da sind ja auch noch die beiden Gitarristen, die an diesem Abend den wohl prägendsten Einfluß ausüben, gleichermaßen kantiges Riffing wie phantasievolle Leads auspacken (wozu noch einige wohldosierte Showelemente kommen, etwa wenn Moyses sein Instrument in bester Hendrix-Manier mit den Zähnen bearbeitet) und sich im richtigen Moment auch zurückzunehmen wissen, etwa wenn Joyce eine berührende Halbakustikversion des Beatles-Oldies "Strawberry Fields Forever" intoniert. Da singt dann auch das Publikum gerne mit, und nachdem Joyce mitbekommen hat, daß sie nicht so schnell und abgehackt sprechen darf, weil die Dresdner sonst ihr Englisch nicht verstehen, klappt auch die Verständigung mit den überwiegend begeisterten Menschen vor der Bühne gut. Die Spielfreude der Band zeigt sich in eindrucksvoller Manier, wenn beispielsweise Glenn ins furiose Finale von "Mickey's Monkey" plötzlich Gesangslinien aus Led Zeppelins "Rock And Roll" einschmuggelt und das Ganze wundersamerweise auch noch perfekt paßt. Einen Keyboarder haben Mother's Finest übrigens nicht dabei - die wenigen Passagen dieses Instrumentes kommen vom Band, und nachdem man sich im fast dancefloorverdächtigen Intro von "Take Control" gefragt hat, ob das so nötig war, gelingt mit dem Einsetzen der Band dann doch eine interessante Balance aus Konserve und Bühnenarbeit. Für besondere Glücksmomente sorgen natürlich die diversen Uralthits wie "Baby Love" oder das erwähnte "Mickey's Monkey", aber diverse jüngere Kompositionen stehen ihnen durchaus nicht nach. Drei Wermutstropfen schütten Mother's Finest allerdings auch in den Kelch: Erstens wird der nicht rocksozialisierte Hörer vielleicht leicht enttäuscht gewesen sein, daß die "originär schwarzen" Elemente im eklektizistischen Mix der Band an diesem Abend vielleicht ein bißchen zu kurz gekommen sind - zweitens und damit in Verbindung stehend ist vielleicht einen Deut zuviel Routine und zuwenig Feuer im Spiel. Drittens schließlich verschwindet das Sextett schon nach 70 Minuten von der Bühne, und am Ende des aus zwei Songs mit integriertem Baßsolo bestehenden Zugabenblocks sind auch erst 85 Minuten vergangen - eine recht unerquickliche Kürze, zumal ohne Vorband (und für 35 Euro Kartenpreis). Da hat selbst Heino am Vorabend in Erfurt 'ne Viertelstunde länger gespielt. Der ist witzigerweise mit seiner "Schwarz blüht der Enzian"-Tour am gleichen Abend auch in Dresden, vor ausverkauftem Haus noch dazu - aber auch die Tante Ju darf sich noch über einen sehr ordentlichen Füllstand freuen und geht nicht wie Ende August bei Bonfire an einer großen Parallelveranstaltung baden. "Rock My Soul" erklingt als letzte Zugabe, die ausdauernden Wünsche des Publikums nach mehr werden leider nicht erfüllt, obwohl durchaus noch weitere Songs im Repertoire abrufbar gewesen sein dürften, etwa Covers von "Born To Be Wild" oder "Satisfaction", die eine reichliche Woche zuvor in Alkmaar noch zum Set gehört hatten. So bleibt die Erinnerung an einen starken und unterhaltsamen, aber nicht vollends zufriedenstellenden Gig.



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