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Fatso Jetson, 3rd Ear Experience, Fever Dog   10.10.2015   Jena, Kulturbahnhof
von rls

"A Desert Storm in Europe" ist diese Tour übertitelt, und obwohl man etwas skeptisch sein sollte, wenn Amerikaner einen solchen ankündigen (die Erinnerung an eine andere Operation Desert Storm ist noch durchaus frisch), so handelt es sich hier um eine herkunftstechnische bzw. musikalisch geprägte Terminologie, und die zieht eine Gefolgschaft in den Kulturbahnhof, die zwar deutlich kleiner ist als die von John Garcia ein knappes Jahr zuvor im F-Haus, aber deswegen nicht weniger enthusiastisch (und wenn auch nur ein Viertel der Garcia-Besucher dagewesen wäre, so wär's im Raum extrem kuschlig geworden, und man hätte keinen Platz mehr zum Schwingen des Tanzbeins gehabt).
Fever Dog eröffnen den Abend, und nach vielleicht 20 oder 25 Minuten sind sie mit dem ersten Song fertig. Selbiger bleibt instrumental, so daß die Aufgabe, die Spannung über diese enorme Spielzeit zu halten, allein auf den Schultern der drei Instrumentalisten lastet. Diese ziehen sich allerdings erstklassig aus der Affäre, überzeugen mit überwiegend flott gespieltem und oft recht psychedelisch angehauchtem Jamrock, bauen aber an den richtigen Stellen einige Verharrungen ein, bevor Danny Graham an der Gitarre sich wieder ins Nirwana spielt. Die anderen beiden Songs des Sets sind etwas kürzer, wobei "The Great Tree" durch sein markantes Hauptriff auffällt und damit gekonnt davon ablenkt, daß das Mikrofon etwas zu leise eingestellt ist und man Dannys leicht angerauhten Gesang daher nicht so gut wahrnehmen kann wie die instrumentalen Beiträge - aber sowohl hier als auch in "Nexus" sind die Gesangspassagen sowieso nur sporadisch vertreten. Letzterer Song steuert auf eine große Klimax zu, während derer Danny auch mal auf dem Boden liegend spielt, und das Publikum ist beeindruckt, kann die kalifornischen Wüstenbewohner aber nicht zu einer Zugabe überreden. Drummer Joshua Adams ist übrigens bereits nach fünf Minuten Arbeit so heiß, daß er sich seines Shirts entledigt.
3rd Ear Experience haben mit Robbi Robb eine wahre Legende am Mikrofon und der Gitarre stehen - der Mann war mit den Asylum Kids und Tribe After Tribe das musikalische Sprachrohr der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung und lebte entsprechend gefährlich, bis er das Land Hals über Kopf verlassen mußte und in den Frühneunzigern wegweisende African-Rock-Alben einspielte. Auf einen grünen Zweig kamen Tribe After Tribe allerdings trotzdem nicht. 2012 gründete Robb 3rd Ear Experience und spielte in einer gerade mal dreitägigen Session das erste, fast 80minütige Album "Peacock Black" ein, dem 2014 ein weiteres folgte. Und für die enorm detailreichen Songs des Quartetts brauchte man in der Tat hier und da ein drittes Ohr, das die im Livesound etwas unauffälligeren Schichten der Musik offenlegt - wenn der Organist orgelt und nicht psychedelisches Rauschen und Zischen erzeugt, hört man ihn bisweilen ein wenig schlecht durch, außer wenn die Kollegen in zarteren Passagen schmelzen, was sie etwas öfter tun als Fever Dog. Dafür gibt es ein paar mehr Gesangspassagen, aber auch nicht wirklich viele, und man hätte zu gern verstanden, was Robb nach dem vielfach wiederholten "I have a message" im Opener dann wirklich für eine hat - aber gerade da kommt der Mikrofonsound mal nicht gegen das Instrumentalgewitter an. Der Basser sorgt übrigens für interessante Gesangsharmonien, der Drummer hat ein Dauergrinsen im Gesicht, und auch hier passiert nach fünf Minuten etwas: Der Organist steigt auf seinen Stuhl und spielt stehend und vornübergebeugt weiter, partiell auch mit anderen Körperteilen als den Händen. Vier Songs voller Spielfreude bietet das Quartett, und im letzten derselben wird nicht nur der Organist zum Zweitschlagzeuger (was ihm nicht weiter schwerfällt - er ist nämlich mit dem Drummer von Fever Dog identisch, hat sich mittlerweile aber wieder ein Shirt übergezogen), sondern der Erstschlagzeuger spielt mit seinen Sticks auf Robbs Gitarre - ein Zirkuskunststück, das man auch schon bei Tribe After Tribe hatte bewundern können. Das Auditorium ist begeistert, vor der Bühne wird fleißig gebangt, aber eine Zugabe ist aufgrund des Zeitplans auch hier nicht drin.
Denn es kommen ja noch ein paar gute Freunde Robbs, nämlich Fatso Jetson, die zu den ältesten Stoner-Rock-Bands zählen (und bei denen in der Frühzeit mal ein gewisser Brant Björk spielte), aber im Gegensatz zu Kyuss oder den Queens Of The Stone Age eher ein Undergroundthema blieben, was, womit wir wieder bei der einleitenden Erörterung sind, quasi bis heute zutrifft. Auch hier geht's phasenweise allerdings ziemlich psychedelisch zu, indem der Basser noch ein Spezialeffektgerät bedient und damit auch viel Geblubber und Gezische erzeugt, bisweilen sogar gleichzeitig mit seinem Baßspiel. Trotzdem agieren Fatso Jetson summiert viel kompakter und songorientierter, und so verwundert es nicht, daß ihre Setlist mehr Songs umfaßt als die der beiden Vorbands zusammen. Außerdem gibt es reichlich Gesang vom Gitarristen, so daß Instrumentalstücke hier eher die Ausnahme bleiben. Neben der musikalischen Komponente ist hier auch die optische interessant: ein Lehrertyp (der Gitarrist) und ein Computernerd-Typ (der Bassist - übrigens Brüder), dazu ein Drummer im GG-Allin-Shirt und mit einer Mischoptik aus Mick Mars von Mötley Crüe und Ärzte-Bela, der allerdings nicht etwa Flaschenbier trinkt, sondern ein Glas (!) Rotwein (!!) neben seinem Schlagzeug stehen hat. Trotz der Andeutung einer Ballade sind hier aber natürlich keine verkappten Romantiker am Start, und der Drummer entledigt sich auch bald seines durchgeschwitzten Shirts. Abwechslungsreiche Songs, anspruchsvoll, aber rhythmisch durchaus nachvollziehbar, versetzen das Tanzbein nicht nur des Rezensenten und den Oberkörper der hübschen Blondine rechts neben ihm in Bewegung, der Sound ist schön klar und energietransportierend, aber in angenehmer Lautstärke, und obwohl sich das Auditorium gegen Setende etwas lichtet (offenbar fahren irgendwann die letzten Straßenbahnen oder Busse), kommen Fatso Jetson ohne eine Zugabe nicht davon. Die besteht allerdings aus einer Jamsession, zu der Fever-Dog-Danny nach einer gefühlten Ewigkeit der Instrumentneuverkabelung (während die drei anderen schon fleißig drauflosjammen) mit einsteigt und einen interessanten Gig auf stilgerechte Weise abschließt.



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