www.Crossover-agm.de
Hubert von Goisern   16.05.2015   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Über 25 Jahre ist es jetzt her, daß sich Hubert Achleitner in Hubert von Goisern verwandelte, und in diesem reichlichen Vierteljahrhundert hat der Mann die unterschiedlichsten musikalischen Welten erkundet - zuletzt diverse meist südliche Staaten der USA mit Fokus auf Tennessee und Louisiana, und wie so oft hat auch diese Reise ihren Niederschlag in einem neuen Album gefunden, das diesmal "Federn" heißt und selbstredend den ersten Set dieses Abends (des dritten Konzerts der laufenden Tour, wobei diverses Albummaterial aber schon im Herbst 2014 live angetestet worden war) dominiert. Wie schon drei Jahre, drei Monate und einige Tage zuvor an gleicher Stelle kommen Hubert und seine Mitstreiter völlig unprätentiös und ohne großes Intro im Dunkel auf die Bühne und beginnen zu musizieren. Drei der vier Mitstreiter kommen dabei aus Oberösterreich, und man kennt sie bereits seit fast einem Jahrzehnt aus dem Kosmos des Goiserers: Drummer Alex Pohn, Bassist Helmut Schartlmüller und Gitarrist Severin Trogbacher sind nicht nur an ihren Instrumenten versiert, sondern diesmal auch noch viel stärker in die Gesangsarbeit mit eingebunden, auch wenn natürlich Hubert selbst eindeutiger Chef im Ring bleibt. Aber er weiß natürlich, was er an seinen Jungspunden hat, und gibt ihnen ausführlich Gelegenheit, auch ihr Können ins Rampenlicht zu stellen - der Bassist etwa darf gleich im dritten Song "Stoansteirisch" die Soloarbeit übernehmen. Die meisten Leads spielt allerdings, nein, nicht Hubert selber, sondern der fünfte Mann. Der ist neu im Goisern-Kontext: Bob Bernstein stammt aus New Jersey und bedient allerlei Zupfinstrumente aus der Hackbrett-Verwandtschaft (allen voran Pedal Steel), wobei er auch dann, wenn er etwas Gitarrenähnliches bearbeitet, dieses vor sich hinlegt und in Jeff-Healey-Manier bearbeitet. Der Mann ist dann auch der Hauptverantwortliche dafür, daß dem Bluesrock, der auch im neuen Material einen markanten Grundpfeiler des Bandsounds bildet, eine gute Portion Americana beigemischt wird und somit wieder eine dieser kulturellen Brücken entsteht, für deren Erschaffung der Österreicher bekannt ist - in diesem Fall zwischen dem "schwarzen" Bluesrock und dem "weißen" Americana-Sound. Das Gemisch reicht dann je nach Mischungsverhältnis durchaus mal bis in fast puren Country (das flotte "Stoansteirisch"!), aber auch in extrem düsteren und psychedelisch angehauchten Blues (das seltsame "Am helllichten Tag" gleich danach!), und wenn die Instrumentalisten im Slowtempo mal richtig Krach machen, ist selbst der Doom Metal nicht mehr fern. Das freilich tun sie eher selten, aber Slowtempo gibt's trotzdem zuhauf: Nach dem flotten Opener "Alle 100 Jahr" und dem richtig schnellen "Stoansteirisch" nimmt der Goiserer für längere Zeit das Tempo heraus, und als man dann vier Songs später mal wieder Sehnsucht nach was Schnellerem entwickelt und fast ein wenig enttäuscht ist, daß nach "So a Segn", hinter dem sich "Amazing Grace" verbirgt, auch "Singa gang guat", die austrifizierte Version von "Oh Susanna", mal wieder sehr bedächtig anhebt, mutiert dieser im Original altbekannte Song im Mittelteil dann doch noch zu einem flotten Tanzbodenfeger, dem dann allerdings einer jener bombastischen Doom-Schlüsse angehängt wird. Ebenjene Stilistik prägt dann "Snowdown" ganz - auf CD noch der Opener, steht diese gewaltige Walze im Konzert am Ende des ersten Sets, ist all jenen gewidmet, die unter Einsatz ihres Lebens Ungerechtigkeiten aufdecken (das Wortspiel mit Snowdon bedarf wohl keiner gesonderten Erwähnung und das mit "Showdown" auch nicht) und sorgt ein weiteres Mal für Begeisterungsstürme beim Publikum in der nicht ausverkauften, aber doch anständig gefüllten Halle, die diesmal übrigens anders strukturiert ist als anno 2012: Die Sitzplätze befinden sich diesmal nicht im Parterre, sondern hinten auf der Saalempore, so daß unten fleißig das Tanzbein geschwungen werden könnte und ab und zu auch wird.
Die Setpause ist sehr kurz und wird vom Publikum kurzerhand rhythmisch durchgeklatscht (bereits ganz zu Konzertbeginn waren solche Töne zu hören gewesen, als die Band auf die Bühne kam). Den zweiten Set, der auch älteres Material enthält, beginnt die Formation zunächst als Quartett, aber nach einiger Zeit gesellt sich auch Bernstein wieder dazu, und in Quintettform geht das Konzert dann auch zu Ende. Aber bis dahin ist's noch ein gutes Stück, und der auffälligste Beitrag dieses Stücks heißt "Brenna tuats guat", der Opener des vorherigen Albums "Entwederundoder", ein extrem flottes und tanzbares Stück Musik, in dem folgerichtig im Parterre auch alle Dämme brechen und fleißig das Tanzbein geschwungen oder auf und ab gehüpft wird. Davon hätte es durchaus noch ein, zwei mehr geben dürfen (gerne auch das "Hiatamadl", das diesmal wieder durch Abwesenheit glänzt), denn der Rest des Sets ist wieder durch teils extreme Tempoherausnahme gekennzeichnet, sowohl der zweite Hauptset als auch die drei Zugaben, so daß speziell im Zugabenblock dann doch gewisse Ermüdungserscheinungen auftreten, die allein durch Analysetätigkeit nicht kompensiert werden können. Immerhin bleibt zu konstatieren, daß wohl kaum ein Musiker so verrückt sein dürfte, nur wegen eines Songs (der letzten Zugabe "Krippensteiner") extra ein Alphorn auf Tour mitzuschleppen (das übrigens, wie er in der Ansage verkündet, in Mecklenburg-Vorpommern erfunden worden sein soll, worauf älteste Funde aus der Zeit um 800 n. Chr. hindeuten) - aber es bereichert das Schaffen ebenso wie das Euphonium, das andere Blasinstrument, das ebenfalls nur in einem Song ("I bin ganz alloan") zum Einsatz kommt, während ansonsten ein zentraler Fokus auf den verschiedenen Akkordeons liegt, unter denen sich stilgemäß auch ein amerikanisches befindet, das völlig anders klingt als die gängigen europäischen Exemplare. "Weit, weit weg" an die vorletzte Position des zweiten Sets zu schieben beweist Wagemut des Goiserers, denn die extrem nach oben gleitenden Jodlerpassagen muß man nach bereits knapp zwei Stunden Beanspruchung erstmal hinbekommen (und so ganz bruchlos schafft er es dann auch nicht). Dieser Song und "Hearst is nit" werden dafür von recht voluminösen Publikumschören unterstützt, und die prinzipiell gute Laune des Auditoriums bleibt trotz der kleinen dynamischen Schwierigkeiten auch bis zur letzten der wieder ca. 135 Minuten erhalten, unterstützt übrigens durch einen exzellenten klaren Sound nach kleinen Anlaufproblemen im Opener und nur marginalen Durchhörbarkeitsproblemen hauptsächlich im Zugabenteil, in dem Hubert in "Nit lang her" und "Petite Melodie" außergewöhnlicherweise auch noch an einem Keyboard sitzt. Ansonsten zeigt der Daumen prinzipiell abermals nach oben - ein hochinteressantes Konzert eines hochinteressanten Musikers, der es wieder einmal geschafft hat, Neues so in sein Schaffen zu integrieren, als wäre es schon immer da gewesen.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver