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Onair   10.05.2015   Leipzig, Haus Leipzig
von rls

Neben Leipzig (Sjaella und - natürlich - die Festivalgastgeber Amarcord) stellt anno 2015 Berlin die meisten Künstler des A-Cappella-Festivals: Delta Q hatten (zusammen mit Sjaella) 2014 den A-Cappella-Wettbewerb und somit ein Konzert anno 2015 gewonnen, und auch der Proberaum von Onair ist in der Hauptstadt angesiedelt. Vorschußlorbeeren hat das Sextett bzw. Septett (dazu gleich mehr) einige sammeln dürfen, zumal einige Mitglieder schon mit muSix Erfolge eingeheimst hatten, und so ist das Haus Leipzig denn auch sehr gut gefüllt, als Onair mit Björks "New World" und einem sehr passenden Lichtdesign ihren Gig eröffnen: Passend zum sehr sphärischen Sound des Originals wie der Onair-Adaption ist die Bühne nur in diffuses Licht gehüllt, und erst im Verlaufe von U2s "Beautiful Day" kommt volles Licht zum Tragen, so daß man die Bandmitglieder erkennen kann - jedenfalls die sechs, die auf der Bühne stehen. Mitglied Nr. 7 heißt Sonja Harth und ist laut Besetzungsliste für "Sounddesign" zuständig, also offensichtlich die elektronische Bearbeitung und Verfremdung der von den Sängern kommenden Linien, was in einigen der Songs durchaus staatstragende Bedeutung entfaltet. Man nehme nur mal "Killing In The Name" von Rage Against The Machine, wo Tom Morellos Gitarrensound mit den verfremdeten Vocals eine exzellente Umsetzung erfährt, und auch die Einflechtung von Led Zeppelins "Kashmir" funktioniert dort erstaunlich gut, wenngleich das Arrangement gegen Ende irgendwie ins Leere läuft.
Die bisherige Aufzählung hat schon deutlich gemacht, worum es bei Onair geht: Pop- und Rockmusik (im allerweitesten Sinne) in Umsetzungen für sechs Stimmen plus Sounddesign. Dazu kommt viel Bewegung auf der Bühne, und auch im Saal hätte sich beispielsweise zu Daft Punks 2013er "Get Lucky", das die erste Sethälfte abschließt, solche entfalten können, wenn, ja wenn das Auditorium nicht bestuhlt gewesen wäre. (Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, jemand habe im Plan zwei Konzerte bzw. Orte vertauscht - am Vortag die eher entschleunigenden Pust im unbestuhlten Täubchenthal, nun die partykompatiblen und tanzbaren Onair im bestuhlten Haus Leipzig ...) Daß die Berliner die Kunst des kontrastreichen Setaufbaus beherrschen, beweisen sie mit dem sphärischen "Bumble Bee" der Real Group, das zwischen "Killing In The Name" und "Get Lucky" plaziert wurde. Neben diesen Schweden haben mit The Magnets auch britische A-Cappella-Kollegen ihren Weg in die Onair-Setlist gefunden - und siehe da, "The Art Of Love" funktioniert auch mit einer weiblichen Leadstimme. Bassist Kristofer Benn agiert meist im Stile eines Baßgitarristen, ist aber bisweilen, wie etwa in "Beautiful Day", auch als Solist eingebunden, und mit Patrick Oliver haben die Berliner auch einen exzellenten Beatboxer in der Mannschaft, der enormen Abwechslungsreichtum und sicheres Rhythmusgefühl vereint und (ob nun wegen oder trotz des Sounddesigns) erstaunlich natürlich klingt. In der zweiten Sethälfte darf er sogar ein "Beatboxeritis" überschriebenes Solo abliefern, und obwohl er den optischen Darstellungsdrang hier einen Deut übertreibt, wird dieser Programmteil zu einem Highlight dieses Teils, der als Ganzes kurioserweise deutlich schwächer ausfällt als das bisher Gehörte. Zwar weiß das äußerst vielschichtige und bewegungsintensive "Wolf & I" (Oh Land) noch ebenso zu überzeugen wie "1000 Symbols", ein chinesisches Gedicht, aus dem Onair eine flotte, abermals tanzkompatible Nummer gemacht haben. Aber mit Metallicas "Nothing Else Matters" beginnt die Formkurve plötzlich rapide zu sinken: Extremer Dekonstruktivismus funktioniert im Onair-Kontext irgendwie überhaupt nicht, auch die folgenden Beiträge bleiben eher durchschnittlich, auch der Setcloser "It's Not Fair" (Lily Allen) überzeugt nur aufgrund der enorm starken weiblichen Leadstimmen von Jennifer Kothe und Marta Helmin, landet aber in dramatischer Hinsicht irgendwo im Nichts, und erst die erste Zugabe "Teardrop" von Massive Attack weiß noch einmal alle Stärken der Formation zu bündeln, bevor als zweite Zugabe noch ein Tiefschlag folgt: "Wenn ich ein Vöglein wär" funktioniert in dieser wieder mal stark dekonstruierten Fassung überhaupt nicht, und man weiß nicht so richtig, ob man das jetzt ernstnehmen oder als Parodie auffassen soll. So endet ein eigentlich vielversprechendes und über weite Strecken richtig starkes Konzert mit einem großen Tropfen Wermut im Wein.

Onair

Foto: Holger Schneider/Copyright: Dreieck Marketing



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