Pust 09.05.2015 Leipzig, Täubchenthal von rls
Skandinavische Ensembles sind immer wieder gern gesehene Gäste beim A-Cappella-Festival in Leipzig, aber trotz einer gewissen Regelmäßigkeit zaubern die Festivalhäuptlinge Amarcord immer mal wieder ein neues Kaninchen aus dem Hut, so an diesem Abend Pust: Die Norweger sind schon seit 2003 aktiv, haben vier Alben herausgebracht, etliche Wettbewerbe gewonnen und auch schon die eine oder andere deutsche Bühne beackert - aber in Leipzig konnte man sie noch nicht erleben, weder beim A-Cappella-Festival noch zu anderen Gelegenheiten. Und das Sextett zeigt während der knapp zwei Stunden, daß es durchaus auch noch auf eine andere Leipziger Großveranstaltung passen würde, nämlich aufs Wave Gotik Treffen, irgendwann zu mitternächtlicher Stunde als Chill-out-Act: Obwohl sie generell durchaus eine gewisse Stilvielfalt an den Tag legen, kommen doch große Teile des Sets ziemlich entschleunigend von der Bühne geschwebt. Dabei markiert der Opener "Hverdagssorgene, glem dem alle" zunächst die Außengrenzen: Vokalisen mit traditioneller Harmonik, teils klangflächenartig, bilden einen Pfeiler, Vokalpop mit latenter Jazzneigung (hier im Mittelteil des Songs eingeflochten) den anderen. Was sich eher trocken liest, entfaltet live zumindest über weite Strecken großes Faszinationspotential, wozu gleich die extrem sphärischen Vokalisen in "Innocent" oder der ähnlich extrem vibrierende, dabei aber ähnlich extrem zurückhaltende Schlußton im angehängten "Frans Kafka" ihr Scherflein beitragen. Selbiges wie später auch "Eg kan ro" stammt von einer Formation namens The Flesh Quartet, aber der Set wird dominiert von Eigenkompositionen oder direkt für das Sextett geschriebenem Fremdmaterial, und wenn sich die Truppe schon anderweitiges Fremdmaterial vornimmt, dann zumindest in sehr individuellen Arrangements. Die lautmalerischen Talente der sechs Sänger kommen in "Fram dansar ein haugkall" besonders stark zum Tragen, etwa in der "leiernden" Begleitung oder dem düster-witzigen Schluß (nein, das ist kein Oxymoron!). Bassist Mads Iversen, der auch schon für die erste und etwaiges Eis sofort brechende Ansage gesorgt hat (er meint schelmisch, bei so einem großen Publikum, das zudem auch noch oben auf den Balkontraversen steht, fühle er sich wie ein Rockstar), sorgt im Intro von "Sagostunden" für ein perkussives Element, indem er gegen sein Mikrofon schlägt und damit so etwas wie eine Bassdrum imitiert, aber ansonsten setzt das paritätisch besetzte Sextett ausschließlich auf die Stimmen. Witzigerweise lassen sich anhand der Abendmode farbtheoretische Studien anstellen: Hätte Sopranistin Camilla Susann Haug ihr violettes Kleid gegen ein magentafarbenes eingetauscht, es stünde die klassische subtraktive CMYK-Farbenmischung auf der Bühne (Altistin Elisabeth Anvik in Cyan, Sopranistin Anna Hilde Grov in Gelb und die Herren in Schwarz). Den stärksten Applaus in der ersten Sethälfte bekommt Tenor Jostein Hasselgard für seinen Solopart in Stings "Moon Over Bourbon Street", angebluest und ebenfalls radikal entschleunigt prima ins Gesamtbild passend, wobei Iversen hier mit einzelnen Tupfern eine Baßgitarre imitiert und die anderen vier sich auf einige Fills und die erste Hälfte des Hauptsolos beschränken.
|