www.Crossover-agm.de
Zoes Idol, Nu-Nation, Infinity Mind, Flame Of Earth   01.05.2015   Leipzig, Bandhaus
von ta

Nu Metal? Erinnert sich wer? Wait and bleed your boogie on my life into pieces und so? Dieses Ding mit den siebensaitigen Gitarren auf Kniehöhe? Den Obertönen und den adoleszenten Texten? Das Ende der Neunziger für feuchte Höschen, volle Stadien und Platinauszeichnungen sorgte? Gibt's das noch?
Ja, gibt es. Als Nu-Nation im Jahr 2011 aufs Tapet treten, sind feuchte Schlüpfer und volle Hallen schon längst Geschichte, sämtliche Szene-Protagonisten reagieren angesäuert, wenn man ihre Band und das Buchstabendoppel N-U im selben Atemzug nennt, und die Industrie verdaut bereits die Reste des nächsten Hypes Metalcore. Dennoch brechen Nu-Nation anno 2015 zu ihrer bereits dritten Europatour auf, die 26 Daten und am vierten Tag auch einen Halt in Leipzig vorsieht. Nu Metal anno 2015? Mein Gott. Völlig klar, dass kein Grund dieser Welt mich auf dieses Konzert bewegen kann.
Nun ja. Als ich um 20:35 Uhr das Bandhaus betrete, sollten Flame Of Earth bereits seit fünf Minuten spielen, doch im Zuschauerraum steht sich nur eine Handvoll Personen, die verdächtig nach Musikereltern aussehen, die Füße platt. Nach und nach pegelt sich die Anzahl der Gäste auf geschätzte 30 ein und spürbar mehr werden es an diesem Abend auch nicht werden, denn die Zahl der Konkurrenzveranstaltungen ist heute groß. Insofern greifen Flame Of Earth, als sie schließlich mit einer halben Stunde Verzug die Bühne betreten, die komplette Crowd ab. Und die blutjunge Band aus Brandis sorgt unverzüglich für den ersten Aha-Effekt, als Mitglied Marius sich hinters Xylophon stellt. Selbiges Instrument ertönt dann auch das eine oder andere Mal, wenngleich es in keinem Song eine tragende Rolle einnimmt. Der Rest ist simpler Groove-Metal mit Hardcore-Shouts und Metalcore-Breakdowns. Technisch noch mit viel Luft nach oben unterwegs, unterhält die Band insbesondere durch den zappeligen Sänger und Bassisten Daniel. Der bedankt sich gleich in der ersten Ansage allen Ernstes, dass "ihr so zahlreich erschienen seid", gibt intelligente, in diesem kleinen Rahmen aber verpuffende Statements gegen Rassismus und Homophobie zum Besten und ist überhaupt denkbar sympathisch. Also, Ambitionen zeigen Flame Of Earth massig. An der Umsetzung hapert es bisweilen noch. In zwei Jahren könnten die richtig gut sein.
Bei Infinity Mind fallen Anspruch und Umsetzung dann zusammen. Tighte Grooves, verspielte Gitarrenlicks und vielschichtiger Gesang verschmelzen zu ätherischem, tanzbarem Indie-Rock, der nach verschiedenen benachbarten Genres offen angelegt ist und mit fortlaufender Spielzeit insbesondere eine explosive Metalcore/Screamo-Schlagseite entwickelt. Im Mittelpunkt steht aber immer die Melodie, und hier werfen sich Gesang und Gitarre flüssig den Ball zu. Das Publikum ist hauptsächlich wegen Infinity Mind erschienen, weshalb die Band neben dem lautesten Applaus auch die meisten Tänzer und insbesondere Tänzerinnen für sich verbuchen kann. Die lockere Plauderei von Frontmann Philipp ergänzt das Feeling eines Familientreffens perfekt.
Wir schreiben das Jahr 2015 und der Nu Metal ist im tiefsten Underground angelangt. Nu-Nation reisen aus Russland an und keiner will sie sehen. Als die St. Petersburger, die ihren Headlinerplatz mit Zoes Idol getauscht haben, die Bühne betreten, hat sich das Auditorium bereits ausgedünnt. Dennoch gibt die Band Vollgas. Allein der Anblick ist den Konzertbesuch wert. Fünf langhaarige Typen mit der coolen Kombi aus Black-Metal-Shirts und Sportshorts, vier davon mit Rastas über den ganzen Rücken, die permanent im Propellermodus eingesetzt werden, dazu knietief hängende Gitarren und Gehüpfe allerorten. Trotz des hohen Aktionsradius zocken Nu-Nation ihre Songs fehlerfrei, was bei diesem Stil, der extrem auf Tightness setzt, auch notwendig ist. Das hohe Energielevel des Auftritts findet sich nahtlos auch in der Musik wieder, die an Aggro-Metal der Marke Slipknot orientiert ist und in ihren besten und leider noch zu seltenen Momenten atmosphärische Leads über das heftige Stakkato der Rhythmusabteilung legt. In diesen Momenten erinnern Nu-Nation an die großartigen In-Quest, mit deren Sänger Mike Löfberg Frontmann Arthur Khlebnikov auch die Stimmlage teilt. Die wenigen Passagen des Klargesangs seien ihm verziehen. Vergeblich versucht er zu "The Emperor", "Acceleration" und "Echale Pa Arriba" das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Auf seine "Jump, jump, jump"-Rufe reagiert niemand und sämtliche Moshpit-Aufforderungen verhallen in eisiger Stille. Nach dem Auftritt schieben Nu-Nation die ausbleibende Resonanz ganz bescheiden und unbeleidigt auf sich.
Noch vor dem Auftritt der letzten Band setzt sich der Herr an der Abendkasse auf sein Rad und fährt davon. Eine unfreiwillig symbolische Geste von Veranstalterseite - Zoes Idol bilden ein Stück nach Mitternacht das Schlusslicht und spielen hauptsächlich für die anderen Bands. Sie sehen mit deftigen teilergrauten Bärten aus, als könnten sie die Väter der vorherigen Truppen sein, und kochen auch musikalisch ein ganz anderes Süppchen. Der Sound von Zoes Idol ist eine metallisierte Fassung des guten alten Rock'n'Roll mit vielen Stoner-Einflüssen und einem angenehm versoffenen Grundfeeling. Musikalisch-optisch eine stimmige Einheit und an diesem Abend ein guter Ausklang nach den auf Modernität getrimmten Sounds der Bands vorher, auch wenn Zoes Idol wie erwartet nicht mehr viel reißen können. Gegen halb zwei endet ein schwieriger, aber durchweg lohnender Konzertabend mit vier Gruppen, die es im Auge zu behalten gilt und die Rolands Feststellung im Editorial zum Update am 12.04., dass das Bandhaus Leipzig einen "stilistisch vielschichtigen und meist sehr qualitätsbewussten Konzertplan" aufweist, einmal mehr bestätigen.



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver