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The Quintessential Five, Mixtet   12.05.2014   Leipzig, Schaubühne Lindenfels
von rls

Anno 2013 hatte sich die Jury beim ins alljährliche A-Cappella-Festival eingebundenen A-Cappella-Wettbewerb nicht zur Vergabe eines ersten Platzes entscheiden können, aber dafür zwei zweite Plätze vergeben, was zur praktischen Folge hatte, daß auch zwei Preisträgerkonzerte anzusetzen waren, die man aufgrund der Platzteilung sinnvollerweise auch gleich zusammenlegte. Ergo stehen an diesem Montag zwei aus postsowjetischen Arealen stammende Formationen auf der Bühne der ebenfalls etwas postsowjetischen Charme ausstrahlenden Schaubühne Lindenfels.
Die nördlicheren, älteren und kopfzahlstärkeren Mixtet bestreiten die erste Konzerthälfte und liefern nach Latvian Voices, die den 2012er Wettbewerb gewonnen hatten, ein weiteres Exempel der hohen Stimmkultur in den baltischen Staaten. "Closeness" heißt ihr Programm und besteht überwiegend aus Eigenkompositionen oder Werken heimischer, heißt estnischer Komponisten, überwiegend auch in estnischer Sprache vorgetragen. Da im Publikum kaum jemand dieser mächtig ist, kommen in den Ansagen häufig Erklärungen zum Inhalt, woraus sich dann auch erschließen läßt, warum sich das Ensemble in einem Lied namens "Lähedus" stimmlich in die verschiedensten Tiere verwandeln muß, vom Wassergefügel bis zum Schaf, wobei sich gerade in diesem Werk auch sonst die wüstesten Harmoniefolgen befinden, die etwa gerade den Schluß zu einem besonders merkwürdigen Stück Musik machen. Das geschlechtsparitätisch besetzte Sextett geht einerseits durchaus bis zum sechsstimmigen reinen Textsatz, der bisweilen fast ins Choralartige neigt, setzt andererseits aber auch auf jazzige Zutaten wie Mouthpercussion und besitzt in Veljo Poom einen Bassisten, der nicht nur aufgrund seiner Körpergröße, sondern auch aufgrund seines für sein jugendliches Alter riesigen Stimmvolumens besonders auffällt. Zudem hört man ihn immer gut durch, was mikrofoneinstellungsbedingt für seine beiden männlichen Kollegen nicht immer gilt, auch wenn sie Leadfunktionen auszuüben haben. Horace Silvers "Doodlin'", ein Lied über Flitterwochen, gerät witzigerweise zum Blues, und das gleiche Attribut, also "witzig", läßt sich auch auf "Imelind" (Anders Edenroths "Bumble Bee", allerdings mit estnischem Text), "Splanky" oder "The Uncertainty Of A Poet" anwenden. "Minu Isamajakene" von Martin Körber in einem Arrangement von Karel Kuusk beweist allerdings, daß das junge Sextett auch mit der akustischen Darstellung deutschen Waldes zurechtkommt, selbst wenn dieser ein paar Fiesheiten vor allem in der Höhe bereithält. Aber das Gros des Setfinales bleibt dann doch in Estland, etwa wenn mit "Jaanike" eine Einladung zu einer Mittsommernachtsfeier erklingt, maßgeblich gestaltet von zwei der drei Damen in der Besetzung. Das Publikum ist sehr angetan vom Gehörten, und so packen die sechs Esten als Zugabe neben einer Stückwiederholung noch "Wach auf mein Herz zu singen" aus und verirren sich auch damit nicht im deutschen Wald.
The Quintessential Five waren anno 2013 die mit Abstand jüngsten Wettbewerbsteilnehmer aller Zeiten, und auch anno 2014 senken sie den Durchschnitt aller Festivalsänger immer noch deutlich. Trotzdem legt das Quintett eine schon beachtliche Professionalität an den Tag, wenngleich man bei diesen, nennen wir's beim Wort, Kindern immer noch geneigt ist, einen Kinderbonus einzurechnen, wenn etwa Sopranistin Anna Dojaschwili die englischen Ansagen in einem Tempo herunterrattert, daß selbst Schnellsprechmeister Dieter Thomas Heck blaß um die Nase geworden wäre, und somit das Verständnisproblem beim Publikum nur bedingt zu lösen imstande ist. Die Georgier haben einen sehr bunten Set zusammengestellt, der einerseits Jazz- und Rockstandards in A-Cappella-Fassungen bietet, dem Hörer aber auch einen Einblick in die reichhaltige georgische Folklore ermöglicht. Heißt praktisch: Der Auftritt beginnt mit Dizzy Gillespies "Night In Tunisia" und "Cat Fell In The Well" von Manhattan Transfer, und auch der extrem hohe Schlußton des letzteren stellt die Formation stimmlich vor keinerlei Probleme. Danach geht es mit "Here, There And Everywhere" auf Beatles-Territorium, und Pat Ballards "Mr. Sandman" funktioniert auch in der A-Cappella-Version bestens. Als nächstes erklingt dann etwas völlig anderes, nämlich ein georgisches Weihnachtslied, eine sehr abwechslungsreiche Kompositionen, deren Tempovariationen das junge Ensemble förmlich aus dem Ärmel schüttelt - und auch hier geht es wieder weit in die Höhe, was vielleicht später mal zum Problem wird, wenn alle Beteiligten viermal so alt sind wie 2014, aber die jungen Sänger derzeit nur ein Lächeln kostet. "Shen Xar Venaxi" wiederum gehört zum traditionellen geistlichen Liedgut der Georgischen Orthodoxen Kirche, und The Quintessential Five, hier nur als Quartett ohne Tenor Giorgi Toradse agierend, stellen unter Beweis, daß sie auch diese Stilrichtung beherrschen und quasi als Kulturbotschafter ihrer Heimat agieren können (der Festivalkenner wird sich an den 2010er Auftritt des Ankhiskhati-Chores aus Tbilissi erinnern und vielleicht auch noch das Prinzip, daß trotz aller harmonischer Wendungen am Schluß alle auf dem gleichen Ton landen, im Ohr haben). Zu diesem Zweck besonders geeignet sind auch diverse weitere Tracks der hinteren Sethälfte, die zum Teil in äußerst geschickter Weise typische Jazzelemente mit solchen der georgischen Folklore verquicken. Den Setcloser bildet "Tales Of War", ein großes Epos über den Krieg und seine Opfer, das die Formation allen für die Freiheit Gefallenen widmet, ohne damit eine politische Wertung abzugeben (eine reife Leistung für ihr Alter). Und mit diesem Meisterstück brillieren The Quintessential Five noch einmal in besonderer Weise, setzen die geforderte extreme Expressivität ebenso gekonnt in Töne wie alle Einzelelemente vom sakralen Zwischenspiel bis zum MG-Feuer. Lauter Applaus belohnt die fünf 13- bis 16jährigen Sänger, und die in der vollbesetzten Schaubühne anwesenden georgischen Landsleute tun ihre Begeisterung mit lauten "Sakartvelo"- ("Georgien!"-) Rufen kund. Auch hier dürfen Zugaben nicht fehlen: "Edelweiss" aus Richard Rogers' Musical "Sound Of Music" geht in ein multilinguales Abschiedslied über, und weil das Publikum immer noch nicht genug hat, bekommt es auch hier eine Wiederholung in Form des Schlußteils von "Tales Of War" vorgesetzt. Reife Leistungen zweier Ensembles, die sicherlich nicht zum letzten Mal Gäste des Festivals gewesen sind!



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