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Lady Macbeth von Mzensk   13.04.2014   Altenburg, Landestheater
von rls

Es gibt Werke, die sich als schicksalhaft für das weitere Wirken des Komponisten entpuppen. Im Falle von Dmitri Schostakowitsch handelt es sich dabei um die Oper "Lady Macbeth von Mzensk", nach "Die Nase" sein zweiter (und, wie sich zeigen sollte, auch letzter) Beitrag zu diesem Genre. Schon "Die Nase" war in den frühen 1930er Jahren in der Sowjetunion sehr erfolgreich gelaufen, und nach ihrer 1934er Uraufführung feierte auch "Lady Macbeth von Mzensk" einen Triumph nach dem anderen, übrigens auch im Ausland - bis Anfang 1936 Stalin, der bekanntlich ein großer Opernfreund war, eine Vorstellung in Moskau besuchte, die ihm offensichtlich sehr mißfiel. Zwei Tage später erschien in der "Prawda" der bekannte Artikel "Chaos statt Musik", der den Komponisten mehr oder weniger ungespitzt in den Boden rammte und, obwohl nicht mit einem Autorenkennzeichen versehen, offensichtlich von Stalin selbst stammte oder zumindest von ihm redigiert wurde. Schostakowitsch wurde vom gefeierten Komponisten zum Volksfeind und blieb nur durch eigenes kluges Taktieren sowie den Umstand, daß er für Stalin offensichtlich noch nützlich sein konnte, am Leben. "Lady Macbeth von Mzensk" allerdings verschwand umgehend von den sowjetischen Bühnen und tauchte dort auch erst Jahrzehnte später in der Urfassung wieder auf, nachdem Schostakowitsch in der Post-Stalin-Ära eine "entschärfte" Fassung unter dem Titel "Katerina Ismailowa" erstellt hatte, die wiederum sehr positiv in der sowjetischen Kulturwelt aufgenommen wurde. Noch zuvor hatte interessanterweise allerdings die deutsche Erstaufführung der Originalfassung stattgefunden, und das nicht etwa in der DDR (was auch arg verwunderlich gewesen wäre, denn schließlich herrschte dort noch Klein-Stalin aka Walter Ulbricht), sondern in Düsseldorf, nachdem sich zuvor schon Kassel bemüht hatte, eine Genehmigung zur Aufführung zu bekommen, aber gescheitert war. Somit stimmt die Geschichte im Programmheft, erst 1980 sei die Originalfassung "im Westen" wieder aufgeführt worden, nicht ganz. "Katerina Ismailowa" wiederum fand 1974, also noch zu Lebzeiten des Komponisten, auch den Weg auf die Geraer Bühne, und 29 Jahre später wagte sich Intendant Kay Kuntze nun auch an die ursprüngliche "Lady Macbeth von Mzensk", die ein Jahr später auch noch drei Vorstellungen in Altenburg erlebt, von denen der Rezensent bei der Premiere dabei ist.
Die einleitend genannten Geschehnisse natürlich nicht ahnen könnend, hatte Schostakowitsch geäußert, eine ganze Serie von Opern schreiben zu wollen, die sich mit der Rolle der Frau in bestimmten Epochen der russischen bzw. sowjetischen Geschichte auseinandersetzt, und "Lady Macbeth von Mzensk" sollte diese Serie einleiten. Die Handlung spielt in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der ländlich geprägten Gegend südlich von Moskau, wo die Quasi-Titelfigur Katerina Ismailowa, aus bescheidenem Umfeld stammend, mit dem reichen Kaufmann Sinowi Borisowitsch Ismailow verheiratet ist, aber damit in einem goldenen Käfig gelandet ist: Ihr Gatte, gleichermaßen herrisch wie unzugänglich, ist dienstlich oft auf Reisen, und dann ist da noch Boris Timofeijitsch Ismailow, Sinowis Vater und in den beiden genannten Eigenschaften seinen Sohn nochmal übertreffend. Diese beiden machen Katerina das Leben zur Hölle, zumal sie praktisch keine Aufgaben zu Hause zu erfüllen hat, aber auch den Hof nicht verlassen darf, ergo quasi an Langeweile stirbt, zumal es außer einer Sammlung von Heiligengeschichten keinerlei Bücher im Hause gibt. Zudem ist Sinowi entweder impotent oder zeugungsunfähig (oder beides - die erklärenden Materialien sind sich da nicht so ganz einig), aber die Tatsache, daß kein Stammhalter für das Kaufmannsunternehmen geboren wird, wird Katerina in die Schuhe geschoben. Als diese sich in den neuen Knecht, den Hallodri Sergej, verliebt, passiert eine Katastrophe nach der nächsten: Katerina vergiftet zunächst ihren Schwiegervater, indem sie Rattengift unter ein Pilzgericht mischt, dann ertappt Sinowi Sergej und sie, worauf auch er sterben muß, und schließlich wird während der Hochzeitsfeier von ihr mit Sergej die im Keller lagernde Leiche Sinowis entdeckt, so daß das Brautpaar festgenommen und ins Arbeitslager geschickt wird. Auf dem Weg dorthin bandelt Sergej mit der attraktiven Mitgefangenen Sonjetka an und luchst Katerina schließlich noch ihre warmen Strümpfe ab, worauf die völlig verzweifelte Katerina Sonjetka bei einer Flußüberquerung ertränkt und sich selbst hinterherstürzt.
Den Stoff hat Schostakowitsch einer Novelle von Nikolai Leskow entnommen, die dieser wiederum nach einem wahren Fall geschrieben haben soll - falls die alten Gerichtsakten des Kreises Orjol, zu dem Mzensk gehört, noch existieren sollten, kann der Interessent selber nachforschen, ob das so stimmt. Interessanterweise heißen sowohl die Novelle als auch die Oper im russischen Original "Lady Macbeth des Kreises Mzensk", was im Vergleich zur deutschen Version einen bedeutenden Unterschied ausmacht: Die Ismailows wohnen demnach wahrscheinlich auf einem Landgut (sie sind auch landwirtschaftlich tätig und besitzen u.a. eine Mühle), was den Isolierungsfaktor Katerinas viel verständlicher macht, als wenn sie in Mzensk selbst wohnen würde, was zwar nur ein Ackerbürgerstädtchen, aber eben doch eine Stadt war, wo der gesellschaftliche Umgang ein ganz anderer gewesen wäre. Und noch ein Fall ist interessant: Die Figuren tragen partiell Namen, die auf jüdische Herkunft schließen lassen - ein Aspekt, dem im vorliegenden Fall und vor dem Hintergrund der antijüdischen Stimmungen im Rußland des 19. wie in der Sowjetunion des 20. Jahrhunderts nachzugehen lohnen würde, vor allem da Schostakowitsch viel später, beispielsweise in seiner 13. Sinfonie, letztgenannte Strömungen mehr oder weniger direkt angriff.
Diesen Aspekt greift Kay Kuntze in seiner Inszenierung nicht auf, und er verzichtet auch darauf, die Handlung mittels Bühnenbild und/oder Kleidung in eine bestimmte Zeit zu versetzen - er erzählt einfach nur die Geschichte, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und die bietet schon genügend Dramatik, um den Zuschauer die gesamten knapp drei Stunden zu fesseln, obwohl es, wie böse Zungen behaupten könnten, in den ersten drei Akten eigentlich im wesentlichen um Sex und im vierten Akt um die negativen Folgen der Leidenschaft geht. Entsprechend hat Schostakowitsch auch die Musik gestaltet, die in vielen Szenen an Deutlichkeit kaum zu überbieten ist (man versteht durchaus, warum Stalin die Oper mißfallen haben könnte ...), egal ob es um einen akustisch imitierten Herzschlag oder eben um einen Koitus geht. Trotz einiger Einsatzwackler bringt das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera unter Laurent Wagner diesen Naturalismus auch gekonnt aus dem Graben bzw. den Käfigen (die beiden Harfen und das Schlagwerk passen nicht mehr in den Graben und müssen daher links und rechts der Bühne in Käfigen spielen). Zehn Blechbläser (drei Trompeter, vier Hornisten, zwei Posaunisten und ein Tubist) erfüllen zudem eine Sonderaufgabe, indem sie bestimmte Szenen auf offener Bühne akustisch untermalen (u.a. den zentralen Koitus der Oper, der vom Zuschauerraum aus nicht einzusehen ist) und daran offenbar einen Heidenspaß haben - wann darf man als Orchestermusiker schon mal in Unterwäsche auf der Bühne stehen? :-) Von solchen Gimmicks zaubert Kuntze noch ein paar aus dem Hut, auch durchaus düstere, wenn beim ersten Koitus das Bett plötzlich nach oben fährt, angehoben von einer Freddy-Krüger-kompatiblen Hand. Auch über die toten Ratten, die von der Decke hängen, und die Uhr ohne Zeiger kann man lange philosophieren, ebenso über folgende interessante Konstellation: Katerina vergißt, den Rest der vergifteten Pilzmahlzeit zu beseitigen, was erst die Köchin Axinja erledigt, die einen Bettler daran hindert, die Pilze zu essen - genau jener Bettler entdeckt später aber dann die Leiche Sinowis im Keller.
Schostakowitsch hat die Oper im wesentlichen durchkomponiert, die klassische Arie-Rezitativ-Einteilung gibt es also nicht, obwohl Katerina drei große arienähnliche Solopassagen zugewiesen bekommt. Daß er sich damals eingehend mit Mahler beschäftigt hat, hört man vor allem im extrem düsteren vierten Akt, der den Rezensenten auch dann an "Der Abschied" aus "Das Lied von der Erde" erinnert hätte, wenn er dieses Werk nicht zufällig drei Tage vorher in Chemnitz gehört hätte. Als dann (fast) alle tot sind, verzichtet der Komponist allerdings darauf, das Werk einfach ins Nichts laufen zu lassen, sondern setzt dann doch noch einen großen Schlußakkord an, nach dem das Premierenpublikum in laute Begeisterungsstürme ausbricht. Die meisten Bravi bekommt verdientermaßen Valerie Suty für eine exzellente Leistung als Katerina, aber auch Johannes Beck als stimmgewaltiger Boris Ismailow überzeugt, und André Eckert in der Nebenrolle des Popen (köstlich die Szene, wie dieser im angetrunkenen Zustand erst noch die Schuhe des toten Boris mit seinen eigenen vertauscht, bevor er zur Amtshandlung schreitet) holt enorm druckvolle Tiefen aus seiner Kehle. Aufgeführt wird übrigens die deutsche Textfassung von Jörg Morgener und Siegfried Schoenbohm, und anhand der Übertitel werden einige "Textvariationen" der Sänger deutlich, die freilich das Geschehen nicht stören. (Die Übertitel hätte allerdings doch nochmal jemand Korrektur lesen sollen: "Du bist das einzige Glück, dass ich habe" etwa kann man in einer anderen als der eigentlich gedachten Richtung deuten ...) Summa summarum bleibt allerdings eine sehr gute bis exzellente Aufführung, die freilich schon in der Premiere nicht ausverkauft ist. Aber wer nicht hingegangen ist, ist selber schuld ...



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