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8. Sinfoniekonzert   10.04.2014   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Daß sich in Komponistenjubiläumsjahren jeder Dirigent bemüßigt fühlt, von seiner Programmgestaltungsfraktion die Einbeziehung von Werken des Jubilars zu wünschen, ist ein allgemein bekanntes Phänomen. Im Falle Frank Beermanns und der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz liegt der Fall ein wenig anders, denn Beermann hat sich schon in den Vorjahren recht intensiv mit dem 2014er Jubilar Richard Strauss befaßt. Im 8. Sinfoniekonzert der Saison 2013/2014 bedenkt er Strauss nun weder mit einer der gängigen großen Sinfonischen Dichtungen noch mit einer absoluten Ausgrabungen - er wählt einen Mittelweg, nämlich die weder sonderlich populären noch sonderlich obskuren sechs Lieder auf Texte von Clemens Brentano, 1918 zunächst als Klavierlieder geschrieben und 1940 dann noch orchestriert. Dabei stammen die sechs Gedichte nicht als fertiger Zyklus aus Brentanos Feder, sondern wurden erst von Strauss als solcher zusammengestellt. "An die Nacht" beginnt recht düster, wandelt sich später aber zu einer Art düsterer Triumphalität und gibt Julia Bauer die Möglichkeit, mit ihrer wirklich schönen Stimme zu glänzen. Nur in wenigen lauteren Sprüngen nach oben (von denen ihr Strauss durchaus etliche beschert) wackelt sie bisweilen leicht, macht das aber mit viel Ausdruck in den zurückhaltenden Passagen locker wett. Letztere drohen gegen das Orchester immer dann unterzugehen, wenn die Sängerin recht tief agieren muß, aber Beermann schafft es meist, rechtzeitig gegenzusteuern und eine gute Balance herzustellen - und in den Höhenlagen, auch den leiseren, bricht sich die Stimme problemlos Bahn. Besonders deutlich wird diese Verteilung im dritten Lied "Säusle, liebe Myrthe", ein titelgemäß eher lockeres Stück, in dem Strauss der Sängerin zudem eine richtig schöne, sehr hohe und von Bauer prächtig gemeisterte "Mini-Kadenz" beschert. Zwischen diesen liegt naturgemäß Lied 2, und auch in "Ich wollt ein Sträußlein binden" überzeugt Bauer mit Seelengestreichel in großen Höhen. "Als mir dein Lied erklang" wirkt in der Darbietung ganz anders als in der Beschreibung im Programmheft: Das Liebeslied bekommt einiges an Dramatik injiziert und in der letzten Strophe fast so etwas wie eine ironische Brechung, wenn die Behandlung des Frühlings in traurig absteigender Folge geschieht und das Orchesterfinale an ein erzgebirgisches Volkslied erinnert. "Amor" wiederum findet sein Vorbild in Zerbinettas Arie aus "Ariadne auf Naxos" - ein witziges Vabanquespiel mit psychotischem Gelächter, exzellenter vokaler Lautmalerei und vielerlei Gestaltungsmöglichkeiten, die die Sopranistin natürlich gerne nutzt. Das "Lied der Frauen" wiederum setzt einen völligen Kontrapunkt: Der Text besingt die Frauen, die zu Hause warten, während ihre Männer im Krieg sind, zur See fahren oder anderen gefährlichen Tätigkeiten nachgehen, aus denen viele nur als Leiche zurückkehren. (Man vergegenwärtige sich, in welchen Jahren Strauss diesen Liedzyklus schrieb bzw. überarbeitete!) Beermann und das Orchester sorgen dementsprechend für einen düster-bombastischen Beginn, der Donner wirkt sehr naturalistisch, und von Bauers Text versteht man hier kaum noch etwas (kann ihn aber im Programmheft nachlesen), spürt die Dramatik aber umso deutlicher. Der Stimmungsumschwung, als die Männer heimkehren, und zwar nicht im Triumph wie anfangs erhofft, sondern als Leichen, ist perfekt inszeniert und dargeboten, und während Brentano das finale Gebet möglicherweise noch als Trost angefügt hat, wandelt es Strauss in bitteren Sarkasmus um, den alle Beteiligten auch perfekt auf die Bühne bringen, allen voran die Sängerin, deren Stimme immer mehr erstirbt. Wenn es nicht gerade von Richard Strauss stammte, wäre dieses Stück wohl wegen Wehrkraftzersetzung angegriffen worden. Die Spannung zum Schluß hält das Publikum jedenfalls nicht lange aus - einige beginnen recht früh zu applaudieren und tun das dann auch recht ausdauernd.
Mit Gustav Mahler hat sich die Robert-Schumann-Philharmonie nicht nur im 2011er Jubiläumsjahr auseinandergesetzt, und mit "Das Lied von der Erde" findet Beermann einen passenden Partner zu Strauss' Brentano-Liedern. Mahler läßt sich wie Strauss zwar als Spätromantiker einsortieren, und es gibt diverse Parallelen in ihrem Schaffen, aber eben auch markante Unterschiede, die eine Gegenüberstellung dieser zwei Werke für Gesang und Orchester reizvoll machen. "Das Lied von der Erde" soll Mahler nur deshalb nicht als seine 9. Sinfonie deklariert haben, weil er Angst davor hatte, die 9. könne seine letzte sein, da alle großen Sinfoniker der jüngeren Vergangenheit seit Beethoven nicht über ihre jeweilige Neunte hinausgekommen waren. (Ironie des Schicksals: Später schrieb Mahler dann doch noch eine 9. Sinfonie und begann mit der 10. - aber diese konnte auch er nicht mehr vollenden.) An diesem Abend erklingt die Originalfassung Mahlers, nicht die in jüngerer Zeit recht beliebte Kammerorchesterfassung von Arnold Schönberg und Rainer Riehn, so daß Beermann und das Orchester vor der nicht leichten Aufgabe stehen, den beiden Sängern ausreichend akustischen Entfaltungsspielraum zuzuweisen. Das gelingt in "Trinklied vom Jammer der Erde" noch nicht durchgehend: Tenor Bernhard Berchtold geht im ersten Teil noch häufig unter und muß stimmlich schon fast alles geben, um überhaupt hörbar zu sein. Zwar bessert sich die Lage im Laufe dieses Satzes, aber gerade der dramatische Höhepunkt, als sich der scheinbare Geist der Verstorbenen als auf dem Grab hockender Affe entpuppt, läßt dem Sänger an diesem Abend wieder mal keine Chance. Aber auch dann, wenn man ihn besser hört, ist der emotionale Bezug noch nicht richtig hergestellt, läßt die zentrale Botschaft "Dunkel ist das Leben, ist der Tod" den Hörer noch eher kalt. Daß dies nicht so bleibt, dafür sorgt in diesem Fall das Orchester mit dem feisten Schluß dieses Satzes: Gellende Trompeten münden in einen Schlußakkord, der die Grabgrube einstürzen läßt oder alternativ wie ein Elefant mit Flatulenz klingt.
Altistin Monika Waeckerle hat allein schon aufgrund ihrer Stimmlage eine nicht leichtere Aufgabe, zumal ihr Alt auch noch recht gedeckt klingt. Aber "Der Einsame im Herbst", so der zweite Satz, geht Beermann und dem Orchester deutlich transparenter von der Hand, so daß man das geschickte Dynamikmanagement der Sängerin richtig gut durchhören kann. Und wenn's drauf ankommt, gibt Waeckerle auch mal richtig Power, etwa in der plötzlichen Orchestersteigerung der letzten Strophe. Zudem gelingt allen Beteiligten ein enorm spannender leiser Satzausklang.
Danach beginnt der bukolische Teil des Werkes, und dessen "Von der Jugend"-Beginn darf wieder Berchtold ausgestalten - diesmal hört man ihn auch deutlich besser. Orchester und Sänger harmonieren gut, und der Stimmungsumschwung in Strophe 5 genügt auch verwöhnteren Ansprüchen. "Von der Schönheit" ist dann wieder Waeckerles Job, aber hier wird sie in der Pferdeszene unsanft ausgebremst, nachdem der schwelgerische Einleitungsteil den Hörer von den dort besungenen lieblichen Jungfrauen, die am Bach Blumen pflücken, hat träumen lassen. Aber dann kommt eben die Dorfjugend auf ihren Pferden angeritten, und obwohl sich zwischen ihrem Anführer und der Dorfschönsten zarte Bande anbahnen, so trampelt an diesem Abend das Pferd nicht nur die gepflückten Blumen nieder. Dafür überzeugt Beermanns äußerst naturalistische bzw. diese Elemente noch betonende Orchesterlesart - man nehme nur mal die Horntriller im Orchesternachspiel her! Der Schlußakkord ist dann janusköpfig: Der Einsatz erfolgt recht unregelmäßig, aber Stimmung und Spannung sind exzellent. "Der Trunkene im Frühling" schließt den bukolischen Teil ab, eine witzige Bösartigkeit, die Mahler 75 Jahre später wohl als Punkrock vertont hätte und in der Berchtold nochmal dem Affen Zucker geben darf, wenn er den Protagonisten in der abstrusen Schlußwendung dem Alkohol den Vorzug vor dem Frühling, zu dessen Ehre er eben noch den Alkohol konsumiert hatte, einräumt.
Damit ist das halbe Stück vorbei, was die Spielzeit angeht - "Der Abschied", der sechste Satz, dauert summiert ebenso eine knappe halbe Stunde wie die anderen fünf Sätze zusammen. Beermann und das Orchester bekommen ein ultrafinsteres Intro gebacken, und die exzellente entrückte Atmosphäre bekommt auch im weiteren Verlauf nur hier und da einen Lichtblick, wenn da etwa der Mond mit einer Silberbarke verglichen wird. Die Altistin muß hier und da an ihrer oberen Stimmgrenze kratzen, etwa wenn die besungenen Vögel in ihren Zweigen hocken, und wirkt dort recht angestrengt, macht dieses kleine Problem aber mit traumhaften Dialogpassagen mit der Flöte locker wieder wett. "Ich harre sein zum letzten Lebewohl" kann man kaum noch tränentreibender interpretieren als an diesem Abend, und als dann das Orchester seinen großen Mittelteil auch wieder so ultradüster wie die Einleitung hinbekommt, ist die Größe dieser Aufführung klar, welche durch die weiteren Minuten, über die man sich (programmgemäß!) noch zu quälen hat, eine Bestätigung findet. Der Schluß gleicht strukturell übrigens dem von Satz 4: Man ist sich beim Einsatz uneinig, aber Stimmung und Spannung nehmen sehr hohe Werte an, die einige im Publikum wieder nicht aushalten, so daß sie recht schnell mit kathartischem Applaus beginnen. Eine bis auf die beschriebenen Probleme sehr starke Aufführung eines fordernden Werkes!



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