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Mitch Ryder & Engerling   18.03.2014   Leipzig, Moritzbastei
von rls

20 Jahre ist es her, daß US-Bluesrocklegende Mitch Ryder erstmals gemeinsam mit dem Gitarristen Gisbert "Pitti" Piatkowski und den Musikern der Band Engerling, beide durchaus gleichfalls mit Legendenstatus unter den qualitätsbewußten (nicht nur) ostdeutschen Bluesern behaftet, auf Tour in der Alten Welt ging. Ein solches Jubiläum muß natürlich würdig begangen werden, und was bietet sich da mehr an als eine Fortsetzung der Tradition, alle Jahre wieder im Spätwinter oder Vorfrühling gemeinsam durch die Lande zu ziehen und die Anhänger feinsten Bluesrocks zu verwöhnen? Eben, nichts, und so wurde die 2014er Tour als Jubiläumstour deklariert, von welcher der Rezensent den Finalgig in den Katakomben der Leipziger Moritzbastei zu Gesicht und zu Gehör bekam.
Nun hatte man sich für diese Tour aber etwas Besonderes einfallen lassen. Jedwede normale Revivalband geht auf Tour und spielt zu 95% die gleichen Lieder wie auf der Tour zuvor, der Tour danach und der übernächsten Tour. Nicht so bei Mitch Ryder & Engerling: Wer die jüngste Livescheibe "It's Killing Me", mitgeschnitten auf der 2012er Tour, besitzt, wird möglicherweise von der Setlist überrascht gewesen sein. Mit "Mercy" steht nämlich nur ein einziger auf besagter Scheibe enthaltener Track auch im Liveset der 2014er Jubiläumstour, alles andere ist neu - wenngleich so neu natürlich auch wieder nicht, denn die ersten Aufnahmen von Mitch Ryder datieren aus den Mittsechzigern, und an die erinnert der Mann an diesem Abend etwa mit dem cool vor sich hin shuffelnden "Too Many Fish In The Sea". Aber er beleuchtet natürlich auch andere Phasen seines Schaffens, etwa in Gestalt des 1979er "Freezin' In Hell" oder des ein Jahr später entstandenen "War", und er überrascht generell mit der Zusammensetzung der Setlist. Deren erste Hälfte gehört nämlich überwiegend kompaktem und phasenweise auch recht hartem Bluesrock, während die ungewöhnlicheren Songs in der zweiten Sethälfte versammelt sind und diese abwechslungsreicher, aber eben auch inhomogener erscheinen lassen, je nachdem, wie man's gerne sehen möchte. Dem Publikum in der gut ge-, jedoch nicht überfüllten großen Veranstaltungstonne der Moritzbastei gefällt das Gehörte jedenfalls offenbar, und man stört sich nicht einmal an den beiden großen Soundproblemen des Abends. Erstens dauert es sehr lange, bis sich Engerling-Chef Wolfram "Boddi" Bodag akustisch gegen die beiden Gitarristen (neben dem eingangs erwähnten Piatkowski noch Engerling-Co-Gründer Heiner Witte) durchzusetzen vermag - in der kompletten ersten Sethälfte geht sein Keyboardspiel ziemlich unter. Zweitens ist Mitchs Frontmikrofon so eingestellt, daß er zwar gesangsseitig durchaus laut genug zu vernehmen ist (auch wenn Bodags zweite Stimme ihn manchmal fast übertönt), aber man ihn in den Ansagen nur dann versteht, wenn kein Instrument dazu spielt und das Publikum auch nicht klatscht. Auf die letztgenannte Schwierigkeit stellt sich das Auditorium schnell ein: Man applaudiert direkt nach Songende wie wild, aber sobald Mitch zu einer Ansage ansetzt, wird es schnell mucksmäuschenstill im Rund. Und der Mann kann mit einer gekonnten Mixtur aus Demut, trockenem Humor und Enthusiasmus überzeugen - zudem weiß er, was er an seinen Mitmusikern hat, und stellt diese daher gleich dreimal vor. Neben "Dauergast" Piatkowski an der rechten Bühnenseite (ein Sympathikus, der den halben Gig lang strahlt wie ein Honigkuchenpferd) ist an diesem Abend übrigens noch ein zweiter Gastmusiker auf der Bühne: Schlagzeuger Ronny Dehn vertritt den etatmäßigen Engerling-Trommler Hannes exzellent - auch er ist ein alter Hase mit Erfahrungen beispielsweise bei East Blues Experience, aktuell sitzt er bei Silly auf dem Drumhocker, und zur Härte des anfänglichen Bluesrocks trägt sicherlich auch sein saftiges Spiel bei (er hat auch Metal-Erfahrung - der Rezensent hätte ihn vom Avalon-Album "Vision Eden" kennen können, wenn dieses Album bei ihm nicht noch auf dem großen Stapel der Ungehörten läge). Daß Bassist Manne rein optisch locker auch bei Amon Amarth einsteigen könnte, sei nur am Rande erwähnt. Diese Truppe jedenfalls überzeugt mit einer Riesenportion Spielfreude und legt einen perfekten Teppich für Mitchs Gesang. Der Rezensent hat diesen Mann noch nie live erlebt und kann daher keine Vergleiche zu früher anstellen, aber die hier und da fast brüchig wirkende Stimme paßt zum Material sehr gut, und an diversen Stellen unterstreicht der 69jährige durchaus, daß er noch eine enorme Stimmkraft ins Feld führen kann, wenn der jeweilige Song danach verlangt.
Apropos Songs: Nicht alle stammen aus Mitchs Feder - gleich als Opener erklingt "Rock'n'Roll" von Velvet Underground, und Robert Zimmerman aka Bob Dylan wird gleich zweimal berücksichtigt: mit "The Wicked Messenger" und mit einem Song, der auch in Mitchs Ansage eher mit einem anderen Künstler in Verbindung gebracht wird: "All Along The Watchtower" im ersten Zugabenblock, nachdem das mit seinen doppelläufigen Gitarren fast ein wenig Wishbone-Ash-Feeling hervorrufende "Moondog House" den regulären Set abgeschlossen hatte und der besagte erste Zugabenblock ungewöhnlicherweise mit einer Akustikballade eröffnet worden ist, nämlich "Heaven Takes You Back". Vier weitere Zugaben schließen sich noch an, darunter ein weiteres Kuriosum: Welche Band setzt schon als vorletzte Zugabe ausgerechnet ein Baßsolo an? Mitch Ryder und Engerling tun's, und Manne Pokrandt kann mit seinem bundlosen Instrument die Leute tatsächlich gut unterhalten, wobei er eine Loopstation nutzt, um eine Art songorientiertes Feeling zu erzeugen, was richtig gut funktioniert und sich wohltuend vom ideenarmen Gefrickel manches Kollegen abhebt. Eingerahmt wird dieser Programmpunkt wiederum von zwei Coverversionen: "It Wasn't Me" von Chuck Berry und als krönender Abschluß das mit end-, aber nicht sinnlosen Instrumentalparts ausstaffierte Doors-Stück "Soul Kitchen". Schaut man danach auf die Uhr, bemerkt man überrascht, daß Mitch Ryder und Engerling über zweieinhalb Stunden gespielt haben - da erreicht mancher nur ein Drittel so alte Kollege auch nur ein Drittel dieser Spielzeit. Und der Rezensent fühlt sich richtig gut unterhalten - zwei, drei Stücke gefallen ihm weniger (darunter ausgerechnet das erwähnte "Mercy"), aber selbst diese reißen Können und Spielfreude der Beteiligten noch ein Stück nach oben. Ein sehr starker Gig, der hoffen läßt, daß diese Musikerkonstellation auch im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens noch viele Bühnen rocken wird!

Setlist:
Rock'n'Roll
Long Hard Road
Ain't Nobody White
Betty's Too Tight
The Wicked Messenger
War
The Terrorist
The Thrill Of It All
That's Charm
Do You Feel Alright?
Dear Lord
Freezin' In Hell
Mercy
One Hair
Too Many Fish In The Sea
Moondog House
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Heaven Takes You Back
All Along The Watchtower
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Herman's Garden
It Wasn't Me
Bass Solo
Soul Kitchen



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