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Die Walküre   07.12.2013   Leipzig, Oper
von rls

Nach einem komplett umjubelten "Rheingold" im Mai steht nun also der zweite Teil des "Rings des Nibelungen" auf dem Spielplan, noch rechtzeitig bevor das Gedenkjahr für den Komponisten abläuft, während die beiden anderen Teile dann im nächsten Jahr nachgereicht werden. Angst vor einem Aufmerksamkeitsdefizit, wenn 2014 ff. wieder andere Sauen durchs Dorf getrieben werden, oder gar einer Übersättigung, weil 2013 wirklich jede Bühne irgendwas zu Wagner machen zu müssen glaubte, braucht man in Leipzig sicherlich nicht zu haben: Richard W. bildet eine feste Säule in den Spielplänen seiner Vielleicht-Heimatstadt, und so sind auch bei der Premiere der "Walküre" an diesem Samstag vor dem 2. Advent bis auf winzige Restplätze die Reihen vollbesetzt.
Die personelle Konstellation, die sich dieser Oper widmet, ist, von den Sängern abgesehen, prinzipiell die gleiche wie schon beim "Rheingold", und somit durfte nicht vermutet werden, daß Rosalind Gilmore in der Regie etwa völlig von der bisherigen Linie abweichen und etwa plötzlich modernes Regietheater anbieten würde. Das tut sie natürlich auch nicht, und selbst die prozentualen Quoten entsprechen ungefähr dem "Rheingold": "Die Walküre" kommt zunächst erstmal zu 97% als Historienfestspiel herüber und hätte in fast der gleichen Form auch schon 100 Jahre früher über die Bühne gehen können. Vom Rest gehen 2% erneut auf die Zutat der Mythischen Elemente drauf, auch wenn die diesmal im Programmheft nicht mit diesem Namen betitelt werden und es sich diesmal auch nicht um 12, sondern nur um 10 handelt, von denen Ziv Frenkel sogar gesondert benannt wird, da er Grane, das Pferd von Brünnhilde, zu spielen hat (ein erstaunliches Tier übrigens - es kann sogar Gewehre halten, wenn die Herrin mal beide Hände frei haben muß), während beispielsweise den beiden Widdern, die vor Frickas Streitwagen gespannt sind und von denen jeder mit einem halben Gehörn auskommen muß, diese Ehre nicht zuteil wird. Zu den weiteren Funktionen dieser Elemente zählt diesmal u.a. ein Rabe, der als Totenvogel im Hintergrund der Szene, als Hunding Siegmund tötet, seine Flügel ausbreitet, während sich etliche andere Bedeutungen nicht auf den ersten Blick erschließen lassen und sich auch das Programmheft diesmal deutlich bedeckter hält. Tja, und dann hätten wir noch das letzte Prozent zu vergeben - aber dieses bleibt diesmal erstaunlicherweise leer. Wer eine irgendwie nachvollziehbare Meta-Ebene sucht, hat es äußerst schwer und kann sich nur mit einer angedeuteten Entwicklungs- und Gesellschaftskritik behelfen. Das Programmheft phantasiert da etwas von der Zwillingsschande und deren Bedeutung als gebrochenes Tabu für die Liebe, aber daraus entwickelt sich nicht wirklich ein tragfähiges Konzept. Statt dessen bemerkt man eine andere Komponente, die der Fortschrittsgläubigkeit das Wort zu reden scheint: Während Siegmund noch auf die Kraft des Schwertes setzt, verfügen sowohl Hunding als auch die Walküren bereits über Schußwaffen und sind dem einsamen Helden damit in militärstrategischer Hinsicht deutlich überlegen. Daß das mittlerweile schon etwas mitgenommen aussehende Walhall mit seinen aufgereihten Schuhpaaren auch noch an einen Soldatenfriedhof erinnert, wirft möglicherweise schon ein Schlaglicht ins Jahr 2014, wenn die Historiker die Sau "100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkrieges" durchs Dorf treiben werden, was wiederum gut mit der oben genannten Zeitspanne für den Faktor der Historienfestspiele korrespondiert, wenngleich die Tatsache, daß Hunding und Sieglinde ihre Wohnung unter der Erdoberfläche haben, für diesen Zeitpunkt in Mitteleuropa ein wenig anachronistisch anmuten mag. Das Jagdmotiv spielt übrigens eine durchaus wahrnehmbare Rolle, denn sowohl in Wotans Arbeitszimmer als auch in Hundings Wohnung hängen jeweils (komplette) Widdergehörne an der Wand, und Hunding sieht generell so aus, wie man sich einen bayrischen Jäger vor 100 Jahren vorstellen könnte, wozu seine Flintensammlung an der Wand auch bestens paßt.
Im Gegensatz zum "Rheingold" ist diesmal die Sängerbesetzung gegenüber der 2011er konzertanten Variante in den markanten Rollen eine andere - einzig James Moellenhoff als Hunding ist noch dabei. Kurioserweise kann gerade er, der damals eine starke Leistung geboten hatte, diesmal gar nicht überzeugen und steht in den tiefen Passagen irgendwie neben sich, läßt viel zu viel ausfasern und spielt die unglückliche Rolle etwas zu realistisch unglücklich. Die acht Walküren versteht man selbst mit Übertiteln textlich kaum, was bei Eva Johansson als Brünnhilde etwas besser gelingt, aber dafür deren etwas, ähem, kreativen Umgang mit der deutschen Aussprache offenlegt (sie hatte 2011 eine der beiden konzertanten Vorstellungen gesungen, aber nicht die, die der Rezensent erlebt hat, so daß er keine Vergleiche zu damals ziehen kann). Was ihr dagegen ausgezeichnet gelingt, ist der Ausdruckswechsel Brünnhildes von wilder Verspieltheit über tödlichen Ernst bis hin zu schierer Verzweiflung, gepaart mit ein paar Einschmeichelelementen, als Wotan sie für ihren Treuebruch verstoßen will. Markus Marquardt, der sein Wotan-Rollendebüt gibt, nimmt man den zürnenden Göttervater irgendwie gar nicht so richtig ab, obwohl er keine schlechte Leistung bietet - als Held unter Frickas Pantoffel wirkt er authentischer, zumal er rein physisch kleiner ist als seine Gemahlin, gegen deren Willen er sich wieder einmal nicht durchsetzen kann und dadurch die folgenden Verwicklungen heraufbeschwört. Kathrin Göring macht als Fricka ihrer Rolle als willensstarker Hausdrachen mit weiblicher Durchsetzungskraft stimmlich alle Ehre. Die stärksten Gesangsleistungen vollbringen aber zwei andere: Christiane Libor als Sieglinde entwickelt sich langsam zur Wagner-Allzweckwaffe, braucht an diesem Abend zwar etwas Anlaufzeit, schwingt sich dann aber zu einer sängerisch starken Leistung auf und ist damit Guy Manning als Siegmund durchaus ebenbürtig, der enorme Durchsetzungskraft entfaltet, aber auch in den leisen Passagen noch vielfältigste Zwischentöne unterzubringen in der Lage ist. Diese beiden erhalten im Schlußapplaus daher verdientermaßen den lautesten Beifall und donnernde Bravorufe, während interessanterweise diesmal das Orchester durchaus nicht nur von einzelnen Anwesenden ausgebuht wird. Warum? Schwer zu sagen, aber eine Erklärung gibt es vielleicht doch. Akt I nimmt Ulf Schirmer am Pult des Gewandhausorchesters schon enorm plastisch, die Wellenbewegungen in der Einleitung stehen bereits an der Grenze, wo Gestaltungskraft in Übertreibung abkippt - und genau diese Grenze überschreitet er im zweiten und dritten Akt an einigen Stellen. Ein anderes Problem tritt hinzu: Schon im ersten Akt entfaltet das Orchester eine enorm hohe Lautstärke, aber die Balance zu den Sängern bleibt noch gewahrt, von der Kopulationsszene am Schluß mal abgesehen. Im Sinne einer linearen Steigerung nimmt Schirmer das Volumen aber in den beiden folgenden Akten immer weiter nach oben, und da ist es wieder, das alte Wagner-Problem, daß die Instrumente die Sänger gerade in hochdramatischen Momenten zuzudecken pflegen. Freilich gab es selbiges auch schon zweieinhalb Jahre zuvor (damals noch mit Orchester auf der Bühne und vor demselben am Bühnenrand plazierten Sängern) und war damals keineswegs als Grund für Buhrufe empfunden worden. Und gerade die verzweifelten, an der Grenze zum Stillstand zäh dahinfließenden Passagen im dritten Akt gehen als exzellente naturalistische Darstellung von Qual und Seelenpein durch, für die man dieses Orchester eigentlich so liebt, auch wenn das natürlich extrem schwer auszuhalten ist. Nimmt man noch den beeindruckend infernalisch gespielten berühmten Walkürenritt hinzu, hätte das eigentlich für eine positive Bewertung reichen müssen - keine Ahnung, welche Laus da manchem über die Leber gelaufen ist (ein paar Einsatzwackler hauptsächlich im Blech können eigentlich auch nicht der Grund dafür gewesen sein). Trotzdem: Über das genannte Balanceproblem sollte man sich bis zu "Siegfried" dringend Gedanken machen ... Termine auf www.oper-leipzig.de

Sieglinde (Christiane Libor), Siegmund (Guy Mannheim) & Hunding (James Moellenhoff)  Siegmund (Guy Mannheim) & Sieglinde (Christiane Libor)

Fricka (Kathrin Göring), Wotan (Markus Marquardt) & Tänzer  Wotan (Markus Marquardt), Brünnhilde (Eva Johansson), Walküren & Tänzerensemble im Hintergrund

Wotan (Markus Marquardt) & Brünnhilde (Eva Johansson)  Grane (Ziv Frenkel) & Brünnhilde (Eva Johansson)

Fotos: Tom Schulze (Oper Leipzig)



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