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Das Rheingold   04.05.2013   Leipzig, Oper
von rls

Das Rheingold-Banner
Es gab im Vorfeld des 200jährigen Geburtsjubiläums Richard Wagners ein gewaltiges Hin und Her, wie man mit diesem Jubiläum an der Oper seiner Quasi-Vaterstadt (selbst wenn er nicht am Brühl, sondern im damals vor den Toren der Stadt gelegenen Vorwerk Stötteritz geboren worden sein sollte, wofür neuerdings ein paar Indizien gesammelt worden sind, bleibt er zumindest anhand der heutigen Territoriumsgliederung, da Stötteritz längst nach Leipzig eingemeindet worden ist, definitiv Leipziger) umgehen sollte, speziell im Hinblick auf das Monumentalwerk schlechthin, "Der Ring des Nibelungen". 2010 hatte man mit einem konzertanten "Ring" begonnen, aber Peter Konwitschnys Weggang von der Oper anno 2011 mischte die Karten noch einmal neu, und nun gibt es, beginnend mit dem Jubiläumsmonat und noch bis ins Jahr 2016 reichend, tatsächlich auch einen explizit für Leipzig designten szenischen "Ring" (womit die gleichfalls diskutierte Variante, sich 2013 die besten Jubiläums-"Ringe" anzuschauen und dann den allerbesten als Gastproduktion nach Leipzig zu holen, vom Tisch sein dürfte), für den ein eingespieltes Team verantwortlich zeichnet: Regisseurin Rosamund Gilmore hat mit Bühnenbildner Carl Friedrich Oberle und Kostümdesignerin Nicola Reichert schon mehrfach zusammengearbeitet, und da sie zudem in München schon mit Dirigent Ulf Schirmer "Tri Sestri" von Peter Eötvös auf die Beine gestellt hat, herrscht auch in diesem Sektor schon einmal eine grundsätzliche Kenntnis von der Arbeitsweise der jeweils anderen Fraktion.
Gilmore kommt eigentlich vom Ballett her, hat aber auch schon über 20 Jahre Opernregieerfahrung, allerdings bisher noch nicht mit dem "Ring" - ein Debüt also, ein Leipzig-Debüt für die Regisseurin außerdem, und das ausverkaufte Haus ist natürlich sehr neugierig, was die Debütantin zunächst im "Rheingold", dem ersten Abend der gigantischen Tetralogie, auf die Beine stellt. Ein Interview in der Leipziger Volkszeitung einige Wochen zuvor zeigte sie als eher "demütige" Künstlerin ohne dekonstruktivistische oder gar messianische Neigungen - und am Ende der reichlich zweieinhalb Stunden weiß das Publikum, daß dieser Eindruck nicht getrogen hat. Gilmore bringt nämlich das Kunststück fertig, zu 97% ein "Rheingold" zu inszenieren, das auch locker schon 100 Jahre zuvor hätte laufen können, als das Regietheater noch gar nicht erfunden war. Das gefällt dem Leipziger Publikum erstmal vom Prinzip her - wie man anhand der jüngeren Premieren etwa von "Rienzi" anno 2007 oder des "Holländers" anno 2008 noch deutlich in Erinnerung hat, erwartet man beim Namen "Wagner" hier immer noch Historienfestspiele, und diesen Wunsch erfüllt Gilmore den Leipzigern erstmal. Ob sie damit in die überregionale Geschichte eingehen wird, bleibt natürlich abzuwarten, denn die Welt erklärt sie uns damit nicht (wie speziell das überregionale Feuilleton grundsätzlich erwartet), aber andererseits könnte sie damit auch ein Signal gegen die Regietheaterverdrossenheit des Publikums setzen (für viele Regisseure natürlich wiederum ein Sakrileg). An diesem Abend jedenfalls steht das Publikum so gut wie geschlossen hinter ihr: Exakt drei Buhrufer sitzen irgendwo im Rund, ansonsten herrscht helle Begeisterung.
Was tut Gilmore nun aber, damit ihre Inszenierung eben kein reines Historienfestspiel wird? Da kommen die fehlenden 3% ins Spiel. 2% von ihnen gehen für die Mythischen Elemente drauf - zwölf Personen, die in verschiedenen Kostümierungen von der Harpyie bis zum Nibelungen-Sklaven die diversen stummen Rollen spielen, aber zugleich auch die Umbauarbeiten auf offener Bühne besorgen (ein bissel skurril: die Bühnenreinigung von den Resten der zersplitterten Glasscheibe, nachdem Alberich den Rheintöchtern das Gold geraubt hat) und zudem einige Balletteinlagen geben, über deren Qualität sich der Rezensent, der zu dieser Kunstform bisher keinerlei Beziehung aufbauen konnte, kein Urteil anmaßt. Hier und da sind sie allerdings auch für bestimmte Trickeffekte nützlich, etwa die Szene, wenn sich Alberich in einen Tatzelwurm verwandelt, der dann auf der Bühne aus den Gliedern der zwölf Mythischen Elemente samt eines riesigen Rinderschädels nachgebildet wird. Viele dieser Szenen sind, so bemerkt man auch als Ballett-Nichtkenner, deutlich vom Ballett her gedacht, was bei Gilmores Werdegang ja auch nicht verwundert, sondern fast schon logisch erscheint. Tja, und dann wäre da noch das letzte Prozent: Im Programmheft steht ein Beitrag über den Humor in Wagners Werk, und den betont Gilmore in der Inszenierung deutlich stärker als viele Kollegen. Zentrale humoristische Figur ist natürlich Loge, aber auch einige andere Protagonisten dürfen gelegentlich ein wenig über die Stränge schlagen, ohne daß freilich das Ganze in Klamauk ausartet. Wer übrigens am Humorgehalt der ganzen Tragödie zweifelt, lese nicht zuerst den besagten Beitrag von Sergej Liamin, sondern vergegenwärtige sich den unfreiwilligen Humor des Dichters Wagner, dessen Verse bisweilen anmuten, als habe er soeben das Lehrbuch "Alliteration heute" verschlungen, und diese Steilvorlage nutzt Gilmore natürlich in passenden Momenten gerne.
Apropos Beziehung zum Original: Die Regisseurin nimmt Wagner gern beim Wort. Wenn Alberich mittels seiner Ringkraft ruft, daß die unterworfenen Nibelungen zittern sollen, dann tun die das auf der Bühne auch. Dazu ist auch Michael Rögers Beleuchtung ebenso simpel wie naturalistisch und unterm Strich effektiv: Die Nibelungenschmiede sieht aus wie ein zünftiges Höllenfeuer, und auch der Schlußregenbogen wird nicht etwa mit irgendwelchen Hilfsmitteln symbolisiert, sondern spannt sich über die Bühne mit dem alten, schon etwas abgewohnten Schloß der Götter, wohingegen das Zikkurat von Walhall bisher nur als Modell auftaucht, ergo für die Fortsetzungen noch mancherlei kreative Möglichkeiten für Oberle bietet. Und noch etwas ist interessant: Oberle und Gilmore treiben den Naturalismus, den Vergangenheitsbezug, den Direktzugriff auf Wagner noch weiter, indem sie dessen bekannte, nicht überzubewertende, aber auch nicht wegzudiskutierende Judenfeindlichkeit mit abbilden. Daß der sich verschlagen windende Loge einige Negativstereotype des Juden (im Sinne des entworfenen Feindbildes) transportiert, spricht diesbezüglich jedenfalls für sich. Jeder deutsche Regisseur, der eine solche Figur auf die Bühne zu stellen wagen würde, bekäme sofort eins mit der alles tötenden Antisemitismuskeule übergebraten, aber die Britin Gilmore steht diesbezüglich zum Glück außerhalb der Diskussion. Wer statt dessen Oberle eins überziehen will, wird gleichfalls fündig, wenngleich an ungeahnter Stelle: Der Fugenbewuchs auf der Terrasse vor der alten Götterburg ließe sich an der Stelle, wo der Weg in die Nibelungenwelt führt, mit wenigen weiteren bewachsenen Fugen zu einem Hakenkreuz rekonstruieren - ein gut versteckter Hinweis auf den verschlungenen Weg, der Wagner und den Nationalsozialismus verbindet und der dem Künstler einige Anhänger einbrachte, über die er selber als prinzipieller Humanist eher weniger glücklich gewesen sein dürfte ...

Die Riesen fordern ihr Pfand ein  Zur Kooperation gezwungen: Wotan und Loge

Familienbande I  Familienbande II
Im musikalischen Bereich fällt zunächst auf, daß einige Protagonisten des konzertanten 2010er "Rheingoldes" wieder mit dabei sind, zumeist in ihren damaligen Rollen, an einer markanten Stelle aber auch nicht: Tuomas Pursio ist von Donner zu Wotan "befördert" worden - und das war keine gute Idee: Er singt nicht schlecht, aber richtig Bäume ausreißen kann er auch nicht. Das soll er in etlichen Szenen auch nicht (schließlich ist Wotan in der Oper keinesfalls als souveräner Alleinherrscher gekennzeichnet), aber gerade dort, wo er sich dann doch als tatkräftiger Krisenmanager zeigt, hätte man ihn gern schlagkräftiger gehört. Vom Rest unterschreitet keiner ein gutes Niveau (vielleicht Sandra Trattniggs Freia noch, die irgendwie gestalterisch wie sängerisch völlig im Abseits steht, und auch Karin Lovelius als Fricka fällt nicht weiter auf - da fehlt zum perfekten Hausdrachen doch noch einiges), und es gibt etliche, die teils deutlich daraus hervorragen: die souverän-mächtige Nicole Piccolomini als Erda, der im Vergleich zu 2010 deutlich stärkere Dan Karlström als Mime, die optisch geerdeten Stephan Klemm und James Moellenhoff als Fasolt und Fafner (bei letzterem ebenfalls eine Steigerung im Vergleich zu 2010, wenngleich noch ein wenig mehr Brachialität beiden zu noch mehr Effekt verholfen hätte), der nicht ganz an den brillanten 2010er Eike Wilhelm Schulte heranreichende, aber dennoch seine Sache sehr gut machende Jürgen Linn als Alberich und ganz besonders Thomas Mohr als Loge. Dessen qualitativer Quantensprung zu 2010 verblüfft am meisten, und er erntet am Ende logischerweise auch den stärksten Applaus. Ach ja, und dann ist da noch einer, der über sich hinauswächst: Ulf Schirmer am Dirigentenpult. 2010 war er trotz prinzipiell starker Leistung noch nicht auf der Ideallinie angekommen, was die Lösung des Wagner-Grundproblems angeht, daß das Orchester so transparent agieren muß, daß es an bestimmten markanten Stellen zwar wild tobt, aber dennoch die Solisten nicht zudeckt. Das gelingt 2013 in an Perfektion grenzender Weise, und daß man dadurch hier und da den Eindruck hat, das Gewandhausorchester sei in puncto Energieentfesselung noch keineswegs am oberen Ende angekommen, sei angesichts des Gesamtbildes gerne geschenkt. Ein paar Einsatzwackler in verschiedenen Bläsern werden sich im Laufe der Zeit sicherlich noch geben - ansonsten herrscht hier eine Meisterleistung, die vom Publikum gleichfalls entsprechend honoriert wird. Und bis auf die drei Buhrufer dürfte wohl jeder im ausverkauften Rund den nächsten Teilen entgegenfiebern - im Dezember 2013 geht's mit "Die Walküre" weiter. Weitere Infos: www.oper-leipzig.de

Fotos: Tom Schulze/Oper Leipzig



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