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Das Rheingold   02.05.2010   Leipzig, Oper
von rls

Die letzten Wagner-Opern, die an der Leipziger Oper inszeniert wurden, stießen auf geteilte Reaktionen. In der musikalischen Komponente ernteten die Beteiligten in der Regel gute bis enthusiastische Resonanzen, aber die Regie- und Bühnenbildnerfraktion sah sich oftmals gespaltenen Meinungen gegenüber. Nun winkt aus dem Jahre 2013 ja der 200. Geburtstag Richard Wagners herüber, und die Oper möchte dem großen Sohn der Stadt natürlich ein würdiges Denkmal setzen, ergo einen Ring schmieden. Um nun dem Spaltproblem vorerst zu entgehen, kultiviert man kurzerhand seine Stärken und blendet die Schwächen aus: In den Spielzeiten bis 2013 wird kurzerhand ein konzertanter Nibelungenring zusammengebastelt, pro Saison jeweils einer der vier Teile. Den Vorabend, nämlich "Das Rheingold", gibt es im April und Mai 2010 an zwei Tagen, und dieser bestätigt das glorreiche musikalische Urteil, soviel sei vorweggenommen, ein weiteres Mal.
Das Gewandhausorchester sitzt diesmal also nicht im Orchestergraben, sondern auf der Bühne, und schon allein dieser Fakt trägt viel zur Qualität bei: Die Orchesterdynamik ist so für das Publikum nämlich akustisch deutlich besser nachvollziehbar, und das ist gerade dann wichtig, wenn man einen detailverliebten kompetenten Dirigenten wie Ulf Schirmer am Pult stehen hat (der übrigens viele Passagen lautlos mitformuliert, wie seine Lippen verraten). Die immense Spannung, die sich schon im ruhigen Beginn aufbaut, können nicht mal die Fagotte mit ihrem versemmelten zweiten Einsatz stören, und was das Orchester später speziell bei den naturalistischen Schilderungen leistet, gehört ohne Abstriche zur Spitzenklasse. Da donnern die Riesen schweren Schrittes heran, da schäumt der Rhein förmlich vor Wut, als Alberich den Rheintöchtern ihren Schatz abgeluchst hat, und die Bergwerksszene am Beginn des 3. Bildes versetzt einen förmlich in ein mittelalterliches oder auch noch neuzeitliches Pochwerk. Freilich: Hundertprozentig lösen können Schirmer und seine Leipziger die Wagner-Aufgabe auch nicht, womit sie sich freilich in prominentester Gesellschaft befinden. Wenn der Komponist dem Orchester vorschreibt, an bestimmten Kulminationspunkten zu toben und zu lärmen, dann hat ein Sänger dagegen akustisch nur eine Chance, wenn er verstärkt wird, und das traut sich eigentlich niemand. Leidtragender ist in diesem Falle aber nur Alberich in der Goldübergabeszene und kurze Zeit später noch einmal in seiner Fluchpassage, was im letzteren Fall zu einer paradoxen Konstruktion führt: "Meinen Fluch fliehest du" hört man noch deutlich, aber das folgende entscheidende Wort "nie" geht im lostobenden Orchester unter. Die anderen ähnlich gelagerten Problemfälle bekommt Schirmer mit seinem guten Händchen für Feinabstimmung in den Griff, und die Trompeten verdienen sich für ihr perfektes gequältes Spiel vorm Walhalla-Einzug, die dafür aufgebrachten immensen Opfer symbolisierend, ein Sonderlob.
Was leisten die Sänger, die übrigens fast allesamt mit Leichenbittermiene auf der Bühne stehen? Thomas J. Mayer, der optisch in jedem Wikingerfilm mitspielen könnte, gibt einen stimmgewaltigen Wotan ab, neigt aber zur Überbetonung bzw. Extremhärtung der Auslaute, so daß man überrascht von einer Burk oder einem Feint hört - ein Phänomen, das in leicht abgeschwächter Form auch bei der sonst eigentlich eher breit singenden Maria Radner als Erda zu hören ist. Susan Maclean füllt die Rolle des Hausdrachens Fricka perfekt aus, Tuomas Pursio und Norman Reinhardt als Donner und Froh fallen nicht weiter auf, Dan Karlström koppelt als Mime eine mäßige Aussprache mit einer gut inszenierten Verzweiflung. Von den Riesen agiert James Moellenhoff (Fafner) ebenfalls überraschend unauffällig, während Andreas Hörl als Fasolt einen eher zurückhaltenden, aber gemeinen Gestus an den Tag legt. Thomas Mohr als Loge überzeugt in den Moriendo-Momenten besonders, agiert aber insgesamt eher sachlich als verschlagen. Männlicher Haupttrumpf ist zweifellos Eike Wilm Schulte als Alberich, dem die drei Rheintöchter Eun Yee You, Kathrin Göring und Claudia Huckle kaum nachstehen, auch wenn die Harmonie zwischen ihnen hier und da noch leichte Steigerungsmöglichkeiten aufweist. Von der Bettkante stoßen würde man sie jedenfalls nur als absolut überzeugter Plutokrat. Tja, und dann ist da noch Elisabet Strid als Freia, die die Opferrolle in nahezu perfekter Form ausfüllt und mit ihrer Mimik dafür sorgt, daß doch noch ein bißchen mehr als die reine Musik von der Bühne gen Zuschauerraum schwebt. Die wie erwähnt brillante Orchesterleistung noch mit ins Kalkül gezogen: Vermißt hier irgendjemand einen Regisseur?



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