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Die Walküre   25.06.2011   Leipzig, Oper
von rls

Der konzertante Leipziger "Ring des Nibelungen", den die Oper von Wagners Geburtsstadt im Vorfeld des 200. Geburtstag des Komponisten auflegt, findet nicht als zeitnah geschlossener Zyklus statt, sondern verteilt auf vier Jahre, und nach dem überwiegend hochklassigen Auftakt mit der Zutageförderung des Rheingoldes anno 2010 reitet bei diesem Konzept logischerweise anno 2011 "Die Walküre" durch die Lande. Der Rezensent kann wie schon 2010 die Premiere nicht besuchen und wählt daher den zweiten und auch letzten Auftritt, der personell mit einer Ausnahme der Premiere gleicht.
Die Tatsache, daß bei der konzertanten Aufführung das Orchester nicht im Graben, sondern auf der Bühne sitzt, hatte schon anno 2010 erstaunliche Klangentdeckungen ermöglicht: Manches Detail, was sonst eher im Klangmulm von unten zu verschwinden droht, erstrahlt plötzlich in einem ungeahnten Glanz. Das ist 2011 auch so, wenn nicht noch ein bißchen stärker ausgeprägt: Derart messerscharf hat man gleich die Ouvertüre zum 1. Akt bisher kaum gehört, und der schweißgebadete Dirigent Ulf Schirmer ist offensichtlich gewillt, diese Möglichkeiten auch im großen Umfang auszureizen. Das Gewandhausorchester folgt ihm dabei bereitwillig und baut immense Kontraste beispielsweise zwischen den sägenden Streichern und dem singenden Solocello auf, welchletzteres bisweilen an der Grenze zur Unhörbarkeit agiert und den Zuschauer damit zum atemlosen Lauschen animiert. Und auch im weiteren Verlauf der knapp fünf Stunden gelingen immer wieder instrumentale Glanzleistungen, etwa der strahlende Trompetenglanz in der Szene, als Siegmund das Schwert Nothung an sich bringt. Überhaupt ist die Musik in der Darbietungsform dieses Abends an plastischer Gestaltungskraft kaum zu überbieten, und damit ist nicht an erster Stelle die Kopulationsszene zwischen Siegmund und Sieglinde am Ende des ersten Aktes gemeint (moralische Bedenkenträger und alttestamentarische Fundamentalisten organisieren bitte jetzt Protestdemonstrationen vor Wagner-Denkmälern - S&S sind Zwillinge). Den berühmten Walkürenritt, der den dritten Akt eröffnet, nimmt Schirmer übrigens zunächst als eher leichten Galopp, ihn erst im weiteren Verlaufe der Handlung schärfend und auch lautstärketechnisch an die Geräuschkulisse eines vollbesetzten Fußballstadions heranführend, was dann allerdings das alte Wagner-Problem hervorruft, welches im Verlaufe der Spielzeit öfter aufscheint und überwiegend ungelöst bleibt: Kaum einer der Sänger hat eine Chance, sich akustisch gegen das an den Handlungshöhepunkten grollende, bebende, triumphierende oder Gift und Galle spuckende Orchester durchzusetzen. Freilich: Diese Aufgabe ist immens schwierig zu lösen, aber im "Rheingold" hatten Schirmer und das Orchester eine bessere Lösung hinbekommen.
Untergebuttert werden durch dieses Problem im wesentlichen die acht Walküren im dritten Akt (die man allerdings auch in den normal ausbalancierten Passagen textlich so gut wie nicht versteht - auf Übertitel hat die Oper diesmal verzichtet), aber auch die neunte Walküre, also Brünnhilde, hat vor allem im zweiten Akt darunter etwas zu leiden. Ansonsten entledigt sich Sabine Hogrefe dieser Aufgabe aber überaus kompetent, was noch dadurch an Achtung gewinnt, daß sie in der Premiere noch als Sieglinde zu hören gewesen war. Die singt diesmal Danielle Halbwachs, ebenfalls durchaus gekonnt, wenngleich von ihren beiden Partnerherren in den Schatten gestellt, die im Gegensatz zu den anderen Hauptrolleninhabern aus dem eigenen Personalbestand der Leipziger Oper kommen. James Moellenhoff überzeugt als Hunding nicht nur gesanglich, sondern auch mit den kleinen schauspielerischen Einlagen, die sich die Darstellerriege auch bei dieser konzertanten Aufführung hin und wieder gönnt - er geht also recht patriarchalisch gegenüber seiner Frau zu Werke. Stefan Vinke als Siegmund ist mit seiner bekannten immensen Stimmkraft in hoher Dosierung hier wieder richtig aufgehoben, auch wenn er im ersten Akt schon mal sämtliche Blutvorräte in den Kopf steigen lassen muß, um sich noch Gehör zu verschaffen (man bekommt unwillkürlich Angst, er fiele im nächsten Moment tot zu Boden). Und dann wäre da noch das sängerisch ausnahmslos überzeugende oberste Götterpaar, zudem ebenfalls einige köstliche schauspielerische Einlagen bietend: Iris Vermillion als Hausdrachen Fricka und Terje Stensvold als geschickt zwischen seinen Rollen als Göttervater und Pantoffelheld changierender Wotan. Und wenn der von seiner Frau zu einem Anti-Siegmund-Eid gezwungen wird und daraufhin in finsterste Depression verfällt, wozu das Gewandhausorchester in der Nähe des akustischen Stillstandes schwärzeste Klangfarben malt, da macht sich Höchstspannung breit - und das passiert mehrmals an diesem Abend. Und hätte das Blech in einem dieser Spannungsparts im zweiten Akt nicht ein paar Patzer untergebracht und das ganze Orchester ein paar Ungereimtheiten im dritten Akt vermieden, der Abend wäre fast durchgehend als Weltklasse einzustufen gewesen. Aber man muß sich ja für "Siegfried" und die "Götterdämmerung" noch ein paar Steigerungsmöglichkeiten offenlassen, zu denen auch noch das genannte Transparenzproblem zu rechnen ist. Aber an dem sind schon ganz andere gescheitert ... Die Termine für den "Rest" des "Rings" und alle weiteren Aktivitäten der Oper: www.oper-leipzig.de



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